Dieser Moment, wenn der Blick für eine Sekunde abschweift von den schönen Körpern vor einem und zu den Lichtern der Stadt da draußen wandert. Dieser Moment, wenn man schon ein bisschen erschöpft ist und sich kurz an den Rand der Tanzfläche setzt, um inne zu halten, die Beine umschlungen, ganz kurz nur, geht gleich weiter. Dieser Moment also, wenn man inmitten all der Gedankenlosigkeit einen Augenblick lang ins Grübeln gerät, die Flasche Bier noch in der Hand, den Bass noch im Bauch. Für diese Momente vor, inmitten oder nach der Party, wenn die Euphorie und die Melancholie sich untrennbar vermischen, für diese Momente, die manchmal schnell vorübergehen, manchmal aber auch für den Rest der Nacht anhalten, für diese Momente ist die Musik von Burial gemacht. Denn die Grenze zwischen Euphorie und Melancholie ist eine schmale, und der Anfangzwanziger aus Südlondon weiß das wie ein weiser, alter Mann. Und mehr noch als sein selbstbetitletes Debütalbum erkundet Burials zweite LP nun diese Grenze, um gekonnt auf ihr zu wandeln.
Natürlich ist Untrue, das wieder auf Kode9s Label Hyperdub erscheint, dem britischen Hardcore Continuum entsprungen, dem endlosen Strom gebrochener Beats aus dem United Kingdom also, deren jeweils aktuelle Mutation weltweit regelmäßig als der neueste heiße Scheiß gehandelt wird und die letztlich doch nichts weiter ist als jeweils eine andere Perspektive auf denselben dunkel funkelnden Kristall. So finden sich auf dieser Platte die röhrenden Bassmassive des Drum’n’Bass, die aufgekratzten Gesänge des 2Step und die hysterischen Keyboardflächen des frühen UK-Hardcore. Diese Geister des mittlerweile zwanzig Jahre langen Raves suchen also auch Burial heim. Nur sind diese Elemente allesamt zeitlupenhaft verlangsamt, mit Introspektion sediert und verschmolzen auf den Pferdeklapper-Beats des Dubstep, weil die nun mal gerade da sind. Sie sind zu reinen Signifikanten entleert, die auf ihre eigentlichen Musiken nur mehr verweisen. Ebenso entleert wie die verhallten Stimmen, die überall durch die Tracks irrlichtern und die nichts Inhaltliches aussagen, sondern ganz direkt reine Emotionen singen, Verlorenheit und Neid zum Beispiel, Eifersucht und Einsamkeit. So erzählt dieses Album auch vom Hadern und Zaudern, vom niedergeschlagenen Optimismus und der fröhlichen Traurigkeit. Erstaunliche Themen für eine Platte mit elektronischer Tanzmusik. Aber sie spricht Gefühle an, die in der Nacht natürlich auch vorkommen und vorkommen müssen.
Damit enthält Untrue zwar Clubmusik. Aber nicht etwa, weil dies Musik für den Club wäre. Sondern weil diese Musik über den Club spricht. Und dafür findet sie eine ungemein poetische, niemals zuvor gehörte Sprache.