Alle Fotos: Michael Mann
Zuerst erschienen in Groove 166 (Mai/Juni 2017).

Labelchefin, Künstlerin, Visionärin – Ellen Allien ist vor allen Dingen eins: 100 Prozent DJ. Seit den frühen Neunzigern ist sie Teil der Berliner Szene und hat in den Nullerjahren mit ihrem Label BPitch Control den Sound der Stadt geprägt wie keine andere. Von der „guten alten Zeit“ möchte sie aber trotzdem nichts hören.

Es ist ein grauer Februarmorgen, als ich mich von meiner Schöneberger Wohnung aus in Richtung Flughafen aufmache. Ich werde die Berliner DJ Ellen Allien auf ihren Gigs nach Barcelona und Mailand begleiten. Auf dem Weg zur U-Bahn, vorbei an den stuckverzierten Gründerzeithäusern des ehemaligen jüdischen Viertels, wird mir wieder einmal bewusst, wie geschichtsträchtig meine Nachbarschaft ist. Hinter mir am Rathaus Schöneberg hielt John F. Kennedy Anfang der 60er seine berühmte „Ich bin ein Berliner“-Rede. Oben an der Hauptstraße erinnert eine Gedenktafel an die legendäre WG von David Bowie und Iggy Pop Ende der 70er. Am Nollendorfplatz traf sich in den 80ern in Clubs wie dem Metropol die Westberliner Szene.

In diesen kreativen Schmelztiegel zog es Ende der 80er auch die in Tempelhof aufgewachsene Ellen Fraatz. Hier lebte die damals knapp 20-Jährige im besetzten Haus, jobbte im Plattenladen Delirium und hinter der Theke des Fischlabors, der Kneipe von Tresor-Gründer Dimitri Hegemann. Eigentlich wollte sie mit dem Geld ihre Schauspielschule bezahlen, fing dort aber an, Platten mit diesem neuartigen Sound aufzulegen, der ihr vom Barkeeper den Spitznamen „Allien“ einbrachte. Die Stationen von Ellen Alliens Biografie haben sich längst in die kollektive Erzählung des Berliner Technomärchens eingeschrieben. Schöneberg wurde zum Ausgangspunkt einer neuen Undergroundkultur.

Grenzallee. Blaschkoallee. Lipschitzallee. Endlos tuckert die U7 entlang der dystopischen Wohnblocks der Gropiusstadt. Am ehemaligen DDR-Flughafen Schönefeld platzt die Wartehalle zu den Security-Checks aus allen Nähten. Der sogenannte Easyjetset, laut Tobias Rapp Voraussetzung und Symptom der globalisierten Technoszene, schwärmt am Freitagmorgen mit dem Billigflieger in die europäischen Hauptstädte aus, um die internationalen Clubs auszutesten. Ich reihe mich ein.

Ankunft Barcelona. In der Hotellobby treffe ich eine gut gelaunte Ellen in Adidas-Leggings, Turnschuhen und weinroter Bomberjacke. Sie umarmt mich, als würden wir uns ewig kennen, und ein bisschen kommt es mir auch so vor. Mit ihrem Label BPitch Control definierte Ellen Anfang der Nullerjahre den Sound Berlins: 2001 erschienen Paul Kalkbrenners erste Releases unter seinem Klarnamen auf ihrem Label. 2005 das erste Modeselektor-Album Hello Mom!. 2008 folgte der Soundtrack zum Kalkbrenner-Film Berlin Calling, ein Jahr später dann Moderats Hitalbum Moderat. BPitch Control wurde zu einem der tonangebenden Labels der Hauptstadt und eröffnete vielen heutigen Mittzwanzigern den Weg in die elektronische Musik.

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