Fotos: Wolfgang Tillmans (The Black Madonna)
Zuerst erschienen in Groove 155 (Juli/August 2015).
Marea Stamper ist vieles: Produzentin, DJ, Bookerin, Labelbetreiberin und Sekretärin. Als The Black Madonna schafft sie es seit einiger Zeit, mehrere Leben in einem zu führen. Da sie dabei nicht nur ihre Ruhe, sondern zugleich ihre Haltung bewahrt, lässt sich fast vermuten, dass dieses Leben das richtige im falschen ist. Wir trafen sie im Sommer 2015 zum Gespräch.
In Wolfgang Tillmans’ Kreuzberger Studio gibt es viel zu sehen. An Wänden hängen Poster von Hunden oder abstrakten Gemälden, in den Regalen reihen sich Fotobände und Bücher, selbst der Esstisch ist mit Flugtickets und Briefen übersät. Doch das Durcheinander folgt einer strikten Ordnung, alles hat seinen festen Platz. Tillmans selbst ist die Ruhe in Person. Untermalt von Jazzklängen spricht er in lockerem Tonfall mit seinem Gast. Würde das gesetzte Ambiente nicht durch das Klicken seines Fotoapparats aufgerüttelt werden, sähe an diesem trägen Montagnachmittag nichts nach Arbeit aus.
Das ist es aber. Nicht nur für den Fotografen, auch für sein heutiges Modell: Marea Stampers langes Wochenende neigt sich zögerlich dem Ende zu. Am Freitag war sie im Bob Beaman in München, spielte am darauffolgenden Tag im Robert Johnson in Offenbach und übernahm in der vergangenen Nacht spontan mit nd_baumecker das Closing in der Panorama Bar. Geschlafen hat sie kaum, trotzdem aber ist sie fröhlich und zuvorkommend. Und innerlich steht sie unter Strom, denn zu Hause in Chicago wartet mehr Arbeit. Bevor wir uns in einem spartanischen Dachgeschossapartment zusammensetzen, checkt sie schnell ihr Telefon. „Ich muss sichergehen, dass die Smart Bar nicht abgefackelt ist.“ Manchmal, gibt sie mit einem Grinsen zu, tippt sie während ihrer Sets verstohlen unter dem Pult Mails in ihr Telefon.
„Dance Music kam genau, als ich es brauchte, und bot mir eine völlig andere Welt an.“
Seit ein paar Monaten geht es im Leben Stampers so zu. Seitdem sie 2013 zur Bookerin der seit 1982 bestehenden Chicagoer Smart Bar berufen wurde und dort neben dem mittlerweile verstorbenen Frankie Knuckles ihre Residency aufnahm, verlief ihre Karriere so rapide wie steil. Ihre ab 2012 veröffentlichten Singles auf Labels wie Hometaping Is Killing Music, Stripped & Chewed oder Argot waren nur der Anfang. Und mittlerweile ist sie als DJ gefragt – das spontane Gastspiel in der Panorama Bar in der vergangenen Nacht war bereits der vierte Berghain-Gig des Jahres. Wenn sie auf Tour ist, erzählt sie, richtet sie sich überall zuerst ihr eigenes Büro ein. Die Arbeit folgt ihr überallhin, so auch in das Studio von Wolfgang Tillmans. Ebenso wie er sich Ordnung in das vermeintliche Chaos gebracht hat, hat Stamper sich ihre eigene Struktur geschaffen, um allen Wirrungen standzuhalten. Ähnlich aufgeräumt wirken ihre Antworten, die sie in druckreifen Sätzen abliefert. Während sie in sich geht, schweift ihr Blick zwar nach draußen, doch wie tief sie auch in die eigene Vergangenheit eindringt: Sie bleibt präsent. Stamper verbringt ihre Kindheit und Jugend in Kentucky. Ihr Vater ist Bluesmusiker, die Mutter und deren Mann sind musikvernarrt. „Ich habe als Kind Instrumente gespielt, gesungen, getanzt und war sogar auf einer Performing Arts-Schule“, erzählt sie. In der drögen Einöde Kentuckys wächst Stamper in eine Ausnahmefamilie heran.
Blieben dir damals eigentlich überhaupt noch Möglichkeiten zu rebellieren?
Spinnst du!? Gegen meine Mutter konnte ich in keinem Fall aufbegehren. Die ist noch verrückter als ich. Zu meinen Schulzeiten hatten wir Public Enemy- und Sonic Youth-Sticker auf unserem Auto. Gegen sie zu rebellieren hätte wohl geheißen, stinknormal zu sein. Dasselbe gilt für meinen Vater. Der ist zwar Rock’n’Roll-orientierter, mag aber House Music und die Platten, die ich gemacht habe.
Allerdings bist du mit 16 aus der Schule ausgetreten. Wie haben sie das aufgenommen?
Meine Mutter war total dafür, mein Vater hat nie einen Wind drum gemacht. Ich wurde von der Middle School bis zur High School hindurch schikaniert. So schlimm, dass einer meiner Lehrer mich separat in seinem Büro unterrichtete, damit die Stunde nicht dadurch gestört wurde, dass andere auf mir herumhackten. Im Grunde wurde ich aus der Schule gemobbt. Es war eine schlimme Zeit. Ich hatte die Wahl zwischen der nordamerikanischen Rave-Szene oder weiterhin in dieser Hölle zu bleiben. Dance Music kam genau, als ich es brauchte, und bot mir eine völlig andere Welt an. All das, was ich mochte, teilte ich mit diesen Menschen und wurde als Mitglied der Community akzeptiert und respektiert. Es war eine lebensrettende Erfahrung.