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Motherboard: Oktober 2024

Dass die Wurzeln von House in den Warehouses von Chicago und den Ballrooms von Harlem liegen, dass sie queer, trans und nichtweiß sind, hyperspezifisch und eben kein Poesiealbums-Grußkartenquatsch aus „life, love, happiness” – man kann es nicht oft genug wiederholen (selbst wenn es nicht so dringlich gelingt wie Terre Thaemlitz auf DJ Sprinkles Midtown 120 Blues). Dass eine Kontinuität des queeren Club-Undergrounds dennoch bestehen kann, dafür steht der Sound der Glasgower Produzent:in und Vokalist:in Taahliah. Es ist kein leichtes Spiel, sich dem ultimativ vereinnahmenden, dekontextualisierenden „Deep House” und EDM-Mainstream zumindest teilweise zu entziehen. Und ihn doch affirmativ wie kritisch distanziert zu feiern. So geht Taahliahs Debütalbum Gramarye (untitled (recs)), 18. Oktober) den entscheidenden Schritt von Post-Trap und Hardstyle zu hyperreflektierter Pop-Introversion. Ohne dabei den Dancefloor ganz zu verlassen. Wäre es nicht toll, wenn das der Mainstream der Zukunft würde.

Die südafrikanische Über-Diva Ange Madame hat als Angel-Ho bereits eine kleine, aber höchst beeindruckende Diskografie hinterlassen. Und auf den interessantesten experimentellen Plattformen von NON über Hyperdub zu Halcyon Veil veröffentlicht. Ihre aktuelle Persona und ihr neues Album Ange Madame (Jacomina Records, 22. Oktober) agieren etwas weniger elektronisch-experimentell als zuvor. Aber definitiv nicht weniger wagemutig und direkt. Das Fundament des Albums bildet der Funk des frühen Prince, vermengt mit Hochglanz-R’n’B, House und Gqom. Letztlich ist es aber die kraftvoll-intensive, doch geschlechtlich und stilistisch-ambivalente, im ultimativen Wortsinn queere Vocal-Performance der Ange Madame, welche das Album auf einem unglaublichen Energielevel hält. Und das, obwohl hier gar nichts ballert oder knallt.

Die dänische Produzentin Najaaraq Vestbirk alias Courtesy hat mit dem Umzug aus Kopenhagen nach Berlin nicht nur ihr altes Label Kulør (auf dem sich erfolgreiche Producer wie Schacke oder Rune Bagge tummelten) deaktiviert. Sie hat auch ein neues gegründet und es nach einem Buchtitel Susan Sontags „Against Interpretation” genannt. Dabei hat Vestbirk ihren Sound ebenfalls runderneuert. Wo ehedem üppige Analogsynthesizer-Wellen wogten, ebnen nun die geraden oder gebrochen-geraden Bassdrums von House, Nu-Rave und Two-Step den Weg.

Die Referenzen auf Intimate Yell (Against Interpretation, 24. Oktober) sind keineswegs zufällig, so wechselwirken Hommagen an das Sounddesign von Larry Heard und DJ Sprinkles mit Zitaten aus Poesie und bildender Kunst, etwa Mark Leckeys epochemachendem Videostück „Fiorucci Made Me Hardcore”. Vestbirks sorgfältige Produktion hält dabei immer einen wohlkalkulierten Abstand zum Techno- und EDM-Mainstream, ohne diese komplett abzulehnen. Was ebenfalls keine geringe Kunst darstellt.

Seit mehr als zehn Jahren lebt und arbeitet TJ Hertz als Musiksoftware-Entwickler und Produzent in Berlin. Unter dem Alias Objekt hat er dabei stets die Grenzen dessen erkundet und nicht selten überschritten, was noch als Techno, was noch als Clubmusik gelten kann. Auf der ersten EP Ganzfeld (Kapsela, 4. Oktober) seines neu gegründeten Labels Kapsela nimmt er diesen Faden auf. Es ist ein Reissue eines seiner definierenden Tracks von angebrochenem Electro-Techno jenseits der Kategorien. Ein Stück, das in seinem transparenten, aber zupackenden Sounddesign wegweisend war.

In den neu hinzugekommenen Remixen eröffnen sich einige interessante Konstellationen – etwa mit Ambient-Künstlerin Ulla Straus, oder, naheliegender, dem britischen Klappertechno-Spezialisten Djrum. Die zweite EP auf dem Label ist komplett neu produziert. Sie bewegt sich, wie der Titel Chicken Garaage (Kapsela, 25. Oktober) ahnen lässt, mit überdrehtem Two-Step, Reggaeton oder Electro-Breakbeat im oberen BPM-Bereich. Allerdings dadurch gebrochen, dass die sich überschlagenden Beats in Halftime von Ambient-Flächen abgebremst werden. Also gleichermaßen atemlos vorpreschen, aber immer darauf warten, dass der Bass mitwummert.

Der vielseitige Berliner Violinist Alex Stolze ist bei den Tech-House-Soul-Poppern von Bodi Bill ebenso selbstverständlich heimisch wie bei den elektronischen Dark-Jazzern Dictaphone. Auch solo vermitteln seine Stücke jederzeit zwischen Techno und Neoklassik, zwischen Streichquartett und House. Stolze – und das ist rar und wertvoll – knüpft diese Verbindungen mit einem freien Geist. Er findet zu einer ganz eigenen Variante von halbakustischer Electronica, die nicht nur etwas kann. Sondern eben auch etwas will, nämlich: Neues wagen.

Stolzes jüngstes Solowerk Raash ve Ruach רעש ורוח (Neue Meister, 25. Oktober) ist ein tief persönliches Album, in das jüdische Mystik ebenso einging wie der Schmerz um die Opfer der Terroranschläge vom 7. Oktober 2023. Seine Klangwelt bleibt dennoch tief versöhnlich, ist immer an Kommunikation und Austausch interessiert. Sirrende, flirrende Streicher und sanfte, gerade Beats finden jederzeit zueinander in einer frühherbstlichen, milden Melancholie ohne Bitterkeit. Ein Sentiment, das all seine Projekte auszeichnet.

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