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[REWIND 2022]: Clubkultur und Krise II: Unsicherheit und Bequemlichkeit ergänzen sich

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Den Neustart des Nachtlebens haben viele als großen Knall herbeigesehnt, als eine Art zweiten Feierfrühling. Aber konnte das Jahr 2022 derart hohen Erwartungen gerecht werden? Oder entpuppte sich die Club- und Festivalsaison gar als Flop im Zeichen verschiedenster weltweiter Krisen? Unser Autor Ben-Robin König reflektiert das vergangene Jahr und fragte die Booker Florian Hirsch vom Berliner Club ://about blank, Leo Küchler vom Lighthouse Festival und den DJ O-Wells nach ihren Eindrücken.

Eigentlich ist es unschicklich, direkt mit Karl Lauterbach zu beginnen, doch der „super Sommer” hallt als Mantra immer noch im Kopf nach. Und plötzlich wirkt fast alles wieder wie früher. Wie auch immer sich dieses „Früher” definieren mag, jedenfalls ab 2019, rückwärts zählend. Dem „super Sommer” gegenüber stehen jedoch diverse, nun ja, Unsicherheiten.

Die Frage „Wie geht es dir?” wirkt nicht nur auf persönlicher Ebene bedrohlicher denn je, doch stellt sie sich insbesondere Clubs und Festivals: Wie geht es der Szene? Stecken Club- und Festivalkultur gar in einer, dieses Wort hallt klingend nach, Krise? Mitunter verfestigt sich ein solches Bild, nur um im nächsten Moment durch gegenteilige Erlebnisse abgeschwächt zu werden. Eigene Beobachtungen jedoch haben allenfalls den Wert einer anekdotischen Evidenz, werden schnell zur stillen Post und münden, ehe die Bearbeitungsfunktion genutzt ist, in Medienversagen.

Das ://about:blank am Markgrafendamm in Berlin (Foto: Singlespeedfahrer)
Das ://about blank am Markgrafendamm in Berlin (Foto: Singlespeedfahrer)

Vermutungen, Gefühle und Erlebtes sollen im Versuch einer Antwort daher um Beobachtungen und Eindrücke mit den Bookern Florian Hirsch, Leo Küchler und dem DJ O-Wells erweitert werden. Diffuse Gefühle werden so zwar nicht zur Studie – die Clubcommission arbeitet im Übrigen an einer Umfrage zum Status quo der Berliner Clubs, deren Ergebnisse zur Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht bereitstanden –, bieten aber immerhin mehr Rückschlüsse und regen hoffentlich zu weiterem Austausch an.

Zurück zum Saisonstart: Die Melange aus Gefühlsebene und Erlebnisschilderungen ist verlockend – endlich Sonnenlicht und Wärme, endlich wieder Nächte in Schlangen zubringen, gleich ob vor dem Club oder vor der Clubtoilette. Der Rausch einer bis mehrerer Nächte kann seinen Zauber entfalten, in den Clubs strahlen selige Gesichter, teils noch unbeholfen, lang ist’s schließlich her. Zu lange. Florian Hirsch vom ://about blank beschreibt 2022 zwar als „sehr dynamisch”, doch: „Als die Clubs im März recht plötzlich wieder aufgemacht haben, gab es nach einigen tastenden Wochenenden einen riesigen Ansturm – wir hatten im April die umsatzstärksten Partys unserer Geschichte, aber haben überall auch gemerkt, wie es an vielen Stellen noch klappert und hakt nach zwei Jahren Feierpause.”

Da wurde im Endeffekt einfach Geld verbrannt.

Leo Küchler (Booker beim Lighthouse Festival)

Auch die Festivals konnten sich auf ähnliche Euphorie verlassen. „Die Pandemie hat dem keinen Abbruch getan, es war die erwünschte Explosion der Gefühle”, weiß Leo Küchler vom Lighthouse Festival zu berichten, zählt zugleich diverse Faktoren auf, mit denen sie weitaus mehr Glück als andere Festivals gehabt hätten. Mehr Glück, inmitten des Freudentaumels von Szene und Branche? Die Eventbranche erlebte doch schließlich eine Renaissance ungeahnter Größe, Resident Advisor zählte 2022 einen Zuwachs um 66 Prozent an Electronic-Music-Festivals gegenüber 2019.

Dass das Lighthouse im Mai gewissermaßen den Start der europäischen Festivalsaison markiert, sei letztlich trotz aller Unsicherheiten einer der Glücksfaktoren gewesen, gesteht Küchler ein. Einige mussten verschoben werden, ihr Line-up überarbeiten oder wurden wie das James Wood gar ganz abgesagt. „Es war eine Zitterpartie. Im Grunde haben wir das Festival seit 2019 geplant. Ständig gab es Absagen, Änderungen, Ausweichtermine”, so der Lighthouse-Booker. „Unser Vorteil war, dass wir auf eine eingefleischte Gemeinde von Stammgästen vertrauen konnten.”

Auch die Planung für das Festival im kroatischen Lanterna sei eine Odyssee aus Absagen gewesen, „sehr zäh, sehr zeit- und mittelaufwändig”. Diese ungewisse Phase stetiger Planungen sei der Grund, dass viele Festivals jetzt vor dem Aus stehen oder mit dem Rücken zur Wand, „Da wurde im Endeffekt einfach Geld verbrannt.” Das bestätigt ein Blick auf den Kassensturz anderer Festivals: Die Fusion verzeichnete 2022 einen Verlust über 1,5 Millionen Euro – bei über 70.000 Besucher:innen.

Vom Unbehagen in der Clubkultur

Inmitten der sommerlichen Euphorie stellte sich ein diffuses Unbehagen ein. Etwas stimmte nicht mehr. Hier trifft Spekulation auf nüchterne Rechenspiele. In einer derart verwobenen Branche bedingen die Probleme der einen die der anderen. Als Kernfragen schwirren vor allem „Wo sind all die Leute hin?” und „Wer soll das alles bezahlen?” durch den Diskursraum, in dem Künstler:innen, Publikum und Veranstalter:innen stehen.

Im ://about blank ließ der Zustrom im Sommer wieder etwas nach, weiß Hirsch zu berichten: „Berlin war in diesem Sommer spürbar leerer, auch in den Clubs. Unsere Kernzielgruppe, die eher Ü-30 ist, ist nicht mehr so regelmäßig am Start – bei einigen haben sich die Prioritäten verschoben, viele haben Kinder bekommen, viele sind auch nach dem Clubbesuch oder den klassischen Szene-Festivals erstmal wieder erkrankt oder haben gemerkt, dass sie nicht mehr so viel Feierkondition haben – sowohl vor als auch hinterm Tresen bzw. dem DJ-Pult.”

Diese Entwicklung bemerkt Lennard Poschmann, bekannt als O-Wells, auch an sich selbst. „Ich gehe persönlich kaum noch aus. Nach zwei Jahren Corona bin ich lieber zuhause und koche, manchmal geh’ ich noch essen oder in eine Bar.” Häuslich sei er geworden, fügt er lachend hinzu, denn: „Drei Tage Berghain fordern mittlerweile auch drei Tage Regeneration.”

Die extreme Trockenheit erschwerte die Wasserversorgung, und die allgemeine Veranstaltungsdichte machte aus eigentlich ungeliebten Dixi-Klos plötzlich schwer verfügbare Luxusobjekte. 

In Anbetracht der diesjährigen Anzahl an Festivals haben die Freiluftveranstaltungen aber nicht nur den Clubs das Wasser abgegraben, sondern auch sich selbst. Zu viel Auswahl trifft auf sich überschneidende Termine, sich wiederholende Line-ups und summierende Kosten.

Gerade das Beispiel der Fusion zeigt exemplarisch das Dilemma vieler Festivals. Der Auftakt (von der zweigeteilten Fusion 2021 abgesehen) sollte besonders groß werden. Behaltene Tickets aus den Vorjahren gaben eine gewisse Planungssicherheit in allzu volatilen Zeiten. Gleichzeitig überfiel Russland die Ukraine, stieg die Inflation noch weiter, sorgte, da war ja was, die Pandemie für Personalengpässe. Diese Entwicklungen führten zu Kostenexplosionen.

Beim Lighthouse hätten sich die Kosten der Produktion verdoppelt bis verdreifacht, in anderen Bereichen sogar noch weiter erhöht, so Küchler. Das auf Festivals beliebte Baumaterial Holz war schon vor den genannten Krisen teuer. Von Corona unterbrochene Lieferketten taten ihr Übriges – viel Technik konnte kaum geliefert werden. Auch Wasser und Notdurft stellten Festivals plötzlich vor ungeahnte Probleme: Die extreme Trockenheit erschwerte die Wasserversorgung, und die allgemeine Veranstaltungsdichte machte aus eigentlich ungeliebten Dixi-Klos plötzlich schwer verfügbare Luxusobjekte. 

Doch nicht nur Toiletten und Extremwetter waren schwer handhabbare Faktoren, auch Personal entwickelte sich übergreifend zum Sorgenfaktor. Das Lighthouse habe zu Leo Küchlers Freude zwar ein treues Kernteam, bei vielen Clubs und Festivals sehe man aber, dass die Teams komplett neu sind und extreme Fluktuation herrscht. Bei vielen schwinge noch das Pandemiegefühl mit. Unsicherheit und Bequemlichkeit würden sich ergänzen. „Die Leute reflektieren die Anstrengung. Gastronomie und Clubbetrieb haben ein waschechtes Personalproblem bzw. einen Fachkräftemangel, weil kaum noch Menschen Lust auf Nachtarbeit haben.”

O-Wells (Foto: Neven Allgeier)

Im Berliner Nachtleben scheint es ähnlich zu sein. Florian Hirsch vom ://about blank erzählt von zäher Personalsuche, die früher maximal einen Monat gebraucht habe. „Jetzt aber hat sich die Suche länger hingezogen. Wir haben genügend tolle neue Leute gefunden, aber viele aus der älteren Belegschaft sind nicht mehr so into it wie früher und wollen weniger oder nur noch tagsüber arbeiten. Außerdem haben manche Bedenken, sich an Clubs als Arbeitgeber zu binden, weil niemand weiß, ob diese am Ende nicht doch wieder plötzlich schließen müssen.” Letztlich suchten und suchen nahezu alle Berliner Clubs händeringend nach Mitarbeiter:innen, selbst in klickzahlträchtigen Etablissements, dessen zum Stillschweigen verpflichtetes Personal hier namentlich nicht genannt werden soll, ist es bisweilen schwierig, Schichtpläne zu füllen.

Auch rechnerisch wird das personelle Thema zur Problematik, für Festivals und Clubs gleichermaßen. Küchler sieht ein Dilemma: „Viele wurden für ihre Arbeit bezahlt, durch den Veranstaltungsausfall bleiben die Festivals aber auf den Kosten sitzen”, sagt er. „Gerade in eher familiären Strukturen und Kollektiven wurden Kosten aufgeteilt und Menschen nicht bezahlt, was innerhalb der Teams oft Unmut ausgelöst hat.”

Feiern mag zwar immer schon Luxus gewesen sein; das am meisten besprochene Tabuthema, Geld, ist mittlerweile aber weitaus bestimmender als noch in präpandemischen Jahren. Arbeiten im Club war immer prekär, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs ist in den meisten Läden überschaubar. Im ://about blank bekommen alle den gleichen Lohn, eine Gewinnabschöpfung oder beteiligte Investoren gibt es nicht, niemand wird damit reich. „Wir haben unsere Preise nur erhöht, um die Löhne an die Inflation anzupassen, und kommen damit bereits nicht mehr nach”, so Hirsch. Gestiegene Preise für Baumaterialien, Getränke, Technik etc. seien noch nicht mit eingepreist – man wolle den Eintritt aber nicht noch weiter erhöhen. „Da bewegen wir uns mitten in den ökonomischen Widersprüchen, die sich durch Pandemie, Krieg und Krise natürlich weiter verschärfen.”

Zahlen, bitte!

Inzwischen sind Eintrittspreise jenseits der 20 Euro in namhaften Berliner Clubs keine Seltenheit mehr. Hirsch findet das „beängstigend” und „abschreckend”. Berlins Clubkultur habe ihren Charme schließlich auch durch Party-Hopping entwickelt. „Wenn du eigentlich nur ein wenig tanzen willst, sind 20 bis 25 Euro an der Tür einfach zu viel.” Schließlich kommen die gestiegenen Getränkepreise dazu. Sekt auf Eis hatte sich dereinst als spritzige Bieralternative etabliert, liegt mittlerweile aber im Bereich von sieben Euro. Mate-Mischgetränke als intellektuellerer Vodka-Bull kosten inzwischen gern den Preis eines Cocktails. Der Döner ins Vergessen liegt fast überall bei sechs Euro. Kabinenstopps fordern ebenfalls ihren Tribut. All das mache sich sowohl am Barumsatz als auch an den Gäst:innenzahlen bemerkbar, konstatiert Hirsch: „Angesichts der ökonomischen Krise müssen die Leute ihr Geld mehr zusammenhalten. Nicht, dass sie gar nicht mehr feiern würden, aber wahrscheinlich gehen viele nur noch ein-, zweimal im Monat aus, weil sie sich das nicht mehr leisten können.”

Exzessive Weekender, sprich dreitägige Formate, hätten früher besser funktioniert, bestätigt Hirsch. „Die Leute sind beispielsweise am Freitag in den Club, zwischendurch nach Hause und dann am Sonntag nochmal zurückgekommen. Das passiert nicht mehr in der Intensität wie 2019, viele kommen nur noch für einen Abend.” Im Bereich Planungssicherheit hat sich die Ungewissheit der letzten zwei Jahre demnach allenfalls um Parameter verschoben, bleibt aber bestehen. „Es geht auf und ab”, so Hirsch. Etablierte Formate seien mal voller, mal leerer. Neue Partys seien plötzlich extrem voll, weil sich die Crew über die Pandemie-Zeit ein stabiles Umfeld aufgebaut hat. „Wir können uns dank kleiner Räume zum Glück ganz gut auf die Dynamik einstellen. Wenn du eine riesige Venue füllen musst, ist das entsprechend schwieriger.”

Diese Schwankungen machen sich auch im Berghain bemerkbar. Die Klubnacht ist zwar immer noch einer der größten Party-Selbstläufer der Stadt und soll zuletzt sogar Rekorde in der Auslastung aufgestellt haben. Eine Selbstverständlichkeit ist dies jedoch nicht mehr, der dritte Floor, die Säule, ist derzeit geschlossen. Im Sommer ereilte dieses Schicksal auch den Garten oder die Panorama Bar – teils schlossen sie früher, teils blieben sie ganz zu. O-Wells spielte in der Panorama Bar zuletzt zur Veröffentlichung der gemeinsamen Platte mit seiner Partnerin 41ISSA das Opening, das sich schleppend entwickelte und plötzlich übervoll wurde. „Das Publikum geht mittlerweile eher auf Nummer sicher, es wird weniger experimentiert, weil der Eintritt so hoch ist. Man geht eigentlich nur noch dorthin, wo es garantiert voll ist und man sich gehen lassen kann”, so O-Wells.

Die Leute, die jetzt nachkommen, wollen andere Menschen hinter den Decks sehen.

O-Wells (DJ und Producer)

Gleichzeitig sei gerade den jungen Gäst:innen das Thema Awareness viel wichtiger als früher geworden, wenngleich der Begriff auch gewisse Unschärfen offenbart und zunehmend anfällig ist für reine Imageproduktion, sagt Hirsch aus dem ://about blank. Leo Küchler differenziert noch: „Bei Homo- und Transphobie sowie Übergriffen gibt es immer noch genauso viel Arbeit zu leisten, wie wir es in den Generationen zuvor hätten tun müssen – der Vorwurf, dass man das in der Vergangenheit vernachlässigt hat, bleibt.” Die Qualität der Arbeit habe sich aber entscheidend verändert, so Küchler. „Früher musste man den Menschen erst einmal erklären, was Transphobie ist, inzwischen geht es mehr in die Tiefe und in die Praxis.

Der Wechsel im Publikum sorgt auch für stilistische Umbrüche, die sich auf Sound und Booking auswirken. „Die Leute, die jetzt nachkommen, wollen andere Menschen hinter den Decks sehen”, sagt O-Wells. Küchler teilt ähnliche Eindrücke. „Dieser neue Schwung, der jetzt nachkommt, hat einen anderen Charakter als Crowd und andere musikalische Vorlieben.” Programmatisch sei das eine Herausforderung für Clubs und Festivals. „Bisher gab es meistens schleichende Umwälzungsprozesse, bei denen es alle paar Jahre zu neuen Trends kam. Jetzt fand ein plötzlicher Umbruch statt.”

Die Bookingsituation hat sich dadurch stark verändert. Die Line-ups des Jahres 2022 zeigen viele neue Namen, wurden diverser und jünger. Manche Emporkömmlinge dürften sich ihren Ruhm gar erstreamt bzw. erHÖRt haben und touren nun erstmals durch Clubs und über Festivals. Hirsch freut sich über viele neue Formate, veranstaltende Crews und DJs im ://about blank. „Allerdings hatte man früher mehr Zeit mit Neuentdeckungen, bevor so etwas wie Exklusivität eine Rolle gespielt hat.” Die Praxis, dass DJs nach einem Gig in einem bestimmten Club erst einmal drei Monate nicht in anderen Sphären der Stadt spielen dürfen – man könnte es Platzhirschgebaren oder Marktdominanz nennen, habe sich fast auf den gesamten Berliner Markt ausgedehnt. „Jetzt hast du plötzlich spannende Acts, die letztes Jahr aufgetaucht sind, und inzwischen spielen sie exklusiv nur noch in einem Laden und haben eine Agentur – du hast kaum mehr die Möglichkeit, zu den Künstler:innen eine Beziehung aufzubauen, weil sie so schnell groß werden”, sagt Hirsch.

Leo Kuechler (Foto: Luis Zeno Kuhn)
Leo Kuechler (Foto: Luis Zeno Kuhn)

Die Arbeit mit Bookingagenturen gestalte sich deshalb zunehmend schwierig, bemerkt Küchler. „Wir haben die wirtschaftlichen Entwicklungen über die Pandemie beobachtet und entsprechend gewirtschaftet, so sind wir letztlich auch ohne Minus aus diesem Jahr gegangen.” Das Lighthouse Festival 2022 sei definitiv nicht die größte Produktion seiner Geschichte gewesen. „Die Umsetzung des Bookings mit entsprechenden Einsparungen fand ich aber sehr spannend.”

Manche Agenturen hätten dafür aber kein Verständnis gehabt. „Sie wollten mehr Geld, worauf ich verständnislos reagierte. Ich hab’ auch allen geschrieben, dass ich es unverschämt finde. Gesteigerte Gagen bedeuten ja auch immer, dass das Profil der Künstler:innen größer geworden sein muss. Wie das im Verlauf einer Pandemie, in der alles geschlossen hatte, passiert sein soll, war mir ein Rätsel.”

Küchler beschwört ein wenig den Geist der gemeinsamen Szene, „das vernetzte Biotop, in dem wir alle voneinander profitieren”, wie er es nennt. „Ich kann teilweise verstehen, dass Künstler:innen und Agenturen wieder was reinholen wollen, aber man darf dabei eines nicht außer Acht lassen: Was bringt es den Agenturen, wenn Festivals und Clubs am Ende pleitegehen und es gar keine Gigs mehr gibt?” 

In eine ähnliche Bresche schlägt Florian Hirsch, der von ausufernder Unverbindlichkeit und zunehmender Marktförmigkeit spricht: „Man muss inzwischen immer häufiger damit rechnen, dass ein Act bereits bestätigte Gigs wieder cancelt, weil sich in der Zwischenzeit etwas Lukrativeres ergeben hat.” Außerdem sei die Situation im ://about blank durch die Bookings der Festivals erschwert. „Als Booker in einem Club kannst du viele nicht mehr buchen, die auf den Festivalbühnen spielen”. Schließlich brächten die antizipierten Besucher:innenzahlen der Großevents eben auch größere Gagen mit sich. „In dieser Gagenspirale wollen und können wir als Club mit solidarischer Ökonomie nicht mitspielen.”

„Als Booker in einem Club kannst du viele nicht mehr buchen, die auf den Festivalbühnen spielen.”

Florian Hirsch (://about blank)

Während das notgedrungen die Line-ups der Clubs über den Sommer diversifiziert haben könnte, haben sich viele Festivalplakate recht ähnlich gelesen. O-Wells erkennt dahinter einen Sicherheitsgedanken der Festivalbetreiber:innen. „Was schon funktioniert hat, wird wieder gebucht – das hat letztlich die Kreativität beim Booking ins Stocken gebracht.” O-Wells vermutet den finanziellen Druck der saisongetriebenen Festivals als ausschlaggebenden Faktor. Die Ironie dahinter ist, dass dies nicht nur auf Kosten von Nachwuchstalenten geht, sondern auch durchaus manchem Festival zum Verhängnis geworden sein könnte: Auch ein gutes Programm wirkt plötzlich wenig reizvoll, wenn das halbe Line-up in den letzten vier Wochen anderswo auftrat.

O-Wells macht das Problem an der Repräsentation fest. Gibt es nur einen nett gestalteten Flyer oder ein individuell kuratiertes Line-up? Gemessen daran schien sich die „Escape to Olganitz” genannte Neuauflage des Nachtdigital mit seinem liebevoll gestalteten Programm erfolgreich gegenüber anderen Festivalriesen wie beispielsweise dem Melt! behauptet zu haben, obwohl auch letzteres ein gutes Programm bei kommerziellerer Ausrichtung aufwies.

Leo Küchler blickt trotz der für sein Team erfolgreichen Saison mit gemischten Gefühlen zurück. „Ich habe schon den Eindruck, dass genau so viel ausgegangen wird wie früher. Es ist eigentlich kein Einbruch der Besucher:innenzahlen zu erkennen.” Das Problem sei der Rattenschwanz an Kosten. „Ich will noch nicht sagen, dass wir in eine Krise hineinschlittern, aber viele Clubs und Festivals werden pleitegehen, das Angebot kleiner ausfallen – es wird definitiv eine Art natürliche Auslese geben.”

Worauf wir uns freuen sollten

Florian Hirsch blickt, „auch wenn die Kurve nach unten geht, auf kein schlechtes Jahr” für die Clubkultur zurück, „allein schon weil es endlich überhaupt wieder so etwas wie eine Vergesellschaftung auf dem Dancefloor gab.” Auch er prophezeit eine Zuspitzung der Marktsituation und ein die Nachfrage übersteigendes Angebot. Das Konzept des Stammpublikums habe sich wohl vorerst aufgelöst – „die Berliner Clubs haben heute weniger Identifikationspotenzial als vielmehr einzelne Partyformate, die ja oft auch durch verschiedene Orte tingeln. Man geht dorthin, wo die eigenen Leute hingehen, oder um einen konkreten Solizweck zu unterstützen. Solipartys nehmen generell wieder zu, konkrete Line-ups verlieren an Bedeutung, wie allgemein die musikalische Auseinandersetzung mit Künstler:innen zugunsten von Plattformhypes abnimmt.

Für Clubs sei es nun erst mal wichtig, die nächsten sechs Monate zu überstehen, „dann schauen wir mal, wohin die Reise geht. Das sind schon nicht gerade rosige Aussichten, aber wir haben ja nicht ohne Grund unseren Restart unter den Claim ‚Nie wieder Normalität’ gestellt”, fügt Hirsch mit verkniffenem Grinsen an. Auch wenn sich mit der Gestaltung von Gas- und Strompreisbremse (die Referenzzeiträume des Verbrauchs beziehen sich auf 2021, als Clubs entweder geschlossen oder nur in Außenbereichen geöffnet hatten) bereits neue gravierende Unsicherheiten ankündigen, schließt Florian Hirsch als Vertreter der linken Clubkulturinstanz mit einem Hinweis auf die Rolle der deutschen Kulturpolitik ab: „Man muss sagen, dass die meisten Clubs letztlich wegen der coronabedingten Kulturförderungen sowie den staatlichen Wirtschaftshilfen in den letzten Jahren überlebt haben, weil sie ja ansonsten quasi keine regulären Einnahmen hatten.” Sowohl Neueröffnungen als auch pandemiegeschuldete Umbauten und Investitionen hätten die staatlichen Mittel ermöglicht. „Wir glauben zwar, dass die nächsten sechs Monate auch finanziell sehr eng werden, aber gemessen an dem, was der Krisenkapitalismus weltweit anrichtet, relativiert sich das beim Blick über den eigenen Tellerand.”

Clubkultur 2022 – eine Fahrt auf dem Rollercoaster der Krisen (Illustration: Dominika Huber)

„Nie wieder Normalität” könnte der passende Slogan sein, mit dem dieses Jahr schließt. Fragwürdige politische Appelle zum Heizkosten Sparen haben sich von Sarrazins dickem Pullover zu Schäubles zwei Pullovern und dem solidarisch gedachten „Frieren für den Frieden” entwickelt. Clubs bieten Wärme, der Besuch kommt finanziell aber dem Wochenendeinkauf einer Großfamilie gleich. Die „Feiergrippe” ist vielmehr eine Mischung aus Influenza und RS-Virus, die neben Corona die medizinische Versorgung erneut überlastet.

All das schlägt sich auch auf unser Ausgehverhalten nieder. Als Dienstleister für Alltagseskapismus übt sich die Club- und Festivalkultur stoisch in (vorsichtigem) Optimismus – und doch zeigt sich deutlich die Krise, die nicht so recht als solche ausgesprochen werden möchte, sofern jemand zwischen Sorge und Überarbeitung denn zu reden bereit ist. Auch wenn sich alle Jahre wieder das Gefühl der Teilzeitapokalypse nährt, ist es vielleicht gerade dieser latente Optimismus, an den wir uns mit Blick auf 2023 halten sollten; der nächste „super Sommer” kommt bestimmt.

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