Seit 20 Jahren ist das Watergate aus dem Berliner Nachtleben nicht wegzudenken. Einer der Gründe liegt darin, dass deren Macher:innen sich nicht in musikalischen Nischen und mikropolitischen Debatten verloren haben, sondern eine Club-Erfahrung kreieren, die für mehr oder weniger jeden anspruchsvollen Menschen der Nacht funktioniert. Zum vielfältigen Programm des Clubs gehört ebenso Atas und Zips legendäre Partyreihe New Kids On Acid, der gediegene Tech-House von Matthias Meyer oder La Fleur und seit letztem Jahr auch die höchst beliebte Partyreihe Multisex.
Zu diesem Fels in der Brandung des Berliner Nachtlebens hat das Watergate auch Mitbegründer und Geschäftsführer Ulrich Wombacher gemacht. Zum runden Geburtstag hat GROOVE-Autor Felix Messmer Wombacher im Büro des Clubs besucht. Er wollte wissen, wie sich das Profil des Clubs in seiner Anfangszeit herausgebildet hat, mit welchen Widerständen man in den beiden Jahrzehnten zu kämpfen hatte – und was es nach 20 Jahren Nachtleben noch zu feiern gibt.
Das Watergate wird im Herbst 20. Wo steht der Club für dich als Musik-Ort in der Berliner und der internationalen Clublandschaft?
Ulrich Wombacher: Aufgrund unseres langen Bestehens und der starken Konstanz haben wir uns eine gewisse Eigenständigkeit erarbeitet. Außerdem haben wir früh mit einem internationalen Booking begonnen. In Berlin gibt es das Berghain mit seiner Ausnahmestellung und das Watergate, die immer schon auf internationale Acts gesetzt haben. Das ist vielleicht einer der Gründe, weshalb wir international großes Ansehen genießen. Gäste aus der ganzen Welt kommen zu uns. Dabei tendieren die Leute dazu, in der Fremde die Idole aus dem eigenen Land hören zu wollen. Wenn wir Laurent Garnier buchen, kann man davon ausgehen, dass unser Schuppen voller Franzosen ist. Außerdem sind wir immer noch relativ nah am Underground und nicht von Sponsoring durchseucht.
Mit welchen Herausforderungen musstet ihr bei der Eröffnung vor 20 Jahren kämpfen?
Bevor wir unsere aktuelle Location bezogen, veranstalteten wir regelmäßig Partys im legendären WMF. [Wombacher spricht von der Neunziger-Jahre-Drum’n’Bass-Party Hard:Edged, er selbst war Veranstalter und als Metro Resident-DJ, d.Red.] Dadurch war unser Team relativ eingespielt. Dennoch war unsere erste Party ein Experiment mit offenem Ausgang. Der Laden befand sich noch im Umbau. Wir mussten ein Baugerüst rausschieben, das oberen Stockwerk war noch überhaupt nicht neu ausgebaut. Außerdem war der Barbereich anders eingerichtet, die berüchtigte LED-Decke fehlte noch und die Fensterfront war mit Gipsplatten verschlossen. Ata vom Robert Johnson, mit Perlon-Macher Zip Veranstalter der Reihe New Kids On Acid, meinte eines Abends zu uns: „Dicker, wie bescheuert seid ihr denn? Lasst die scheiß Fenster offen, das ist doch geil!” Er sollte recht behalten. Selbst unser Drum’n’Bass-Publikum hat die Idee sofort angenommen.
Früher fanden häufig Drum’n’Bass-Partys im Watergate statt, inzwischen ist der Club für House und Techno bekannt.
Locations leben von Veränderungen. Man muss sich ausprobieren und den Club durch gewonnene Erfahrungen perfektionieren – sowohl in der Musik, in der Aufteilung der Räume als auch in Bezug auf das soziale Gefüge. Das Watergate ist ein sozialer Treffpunkt, den man dementsprechend gestalten muss. Vor 20 Jahren gab es kaum internationales Publikum. Partys mit mehr als 400 Gästen waren eine Ausnahme. Heute feiern hier auch mal bis zu 800 Leute über eine Nacht verteilt.
Was für Transformationen hat das Watergate durchlaufen?
Unser Club wird 20 Jahre alt, das ist Segen und Fluch zugleich. Welchen Film schaust du dir 20 Jahre lang an? Bei weit über 1000 Partys muss man aufpassen, dass Gäste nicht müde werden. Auf der anderen Seite hat man sich auch einen kleinen Legendenstatus erarbeitet. Es gehört viel dazu, 20 Jahre im Berliner Techno-Dschungel zu überleben. Für viele Künstler:innen waren wir Sprungbrett. Wenn du zwei Jahre im Watergate als Resident tätig bist, kannst du dir ein gewisses Standing erarbeiten. Zu wissen, dass viele Watergate-DJs mittlerweile die größten Clubs der Welt füllen, erfüllt mich durchaus mit Stolz.
Ich mag den Gedanken einer niemals durchgeführten Revival-Party.
Für die Partys zu eurem 20. Geburtstag habt ihr Stars der Szene wie Richie Hawtin, Anja Schneider, Maceo Plex oder Solomun eingeladen. ANNA, Laurent Garnier und Charlotte de Witte waren zu diesem Anlass bereits letzten Monat da. Inwiefern sind diese DJ-Persönlichkeiten für das Watergate und für dich persönlich wichtig?
Wir haben im Booking eine gewisse Tradition, die sollte bei der Geburtstagsfeier auch durchkommen. Solomun ist ein Weggefährte – vor 18 Jahren hat er noch die Decks auf dem Waterfloor zum Glühen gebracht. Richie Hawtin hat bei uns auch unzählige Male gespielt und sofort zugesagt. So ist das Ganze ins Rollen geraten. Unsere Jubiläumsfeier ist eine Art Klassentreffen, bei dem man alte Freunde wieder trifft und melancholisch die letzten Jahre Revue passieren lässt. Man duzt sich. (lacht) Gleichzeitig ist es uns wichtig, die Line-ups mit den neuen Talenten zu ergänzen. Eine reine Retrospektive sollte es auch nicht sein.
Kann die Geburtstagsfeier die Stimmung von früher einfangen?
Für mich persönlich wäre eine Drum’n’Bass-Party das Allergrößte. Damit sind ich und die Watergate-Crew groß geworden. Dennoch wäre es ignorant, meine persönlichen Vorlieben und Erinnerungen über den Willen des Clubs zu stellen. Außerdem hätte ich da den individuellen Anspruch, den Vibe von früher wiederherzustellen. Das ist unmöglich. Einst erlebte Momente können nicht wiederholt werden. Die Szene von vor 20 Jahren würde heute als Rentnergruppe durchgehen. (lacht) Das ist eine schöne Vorstellung und die soll es auch bleiben – ich mag den Gedanken einer niemals durchgeführten Revival-Party.
Der Vibe dort war atemberaubend – 48 Stunden Alice im Wunderland!
Du hast vorhin eure Partys in den Neunzigern im WMF erwähnt. Wie seid ihr in dem Zusammenhang auf die Idee gekommen, einen eigenen Club zu machen?
Wir mussten jedes Mal unser Zeug rein- und rausschleppen: Deko, Visuals, Licht und Anlage, ein riesiger Aufwand, der sich nicht gelohnt hat. Außerdem wussten wir nicht, wie lange wir unseren Slot im WMF noch haben werden. Eines Tages hatten wir die Schnapsidee, einen eigenen Laden aufzumachen. Die Idee war, ihn ausschließlich für unsere eigenen Veranstaltungen zu nutzen. Thomas Prilop, Teilhaber des WMF, bot uns dann das heutige Watergate an – ein Gegenentwurf zu allem, was die Berliner Clubszene davor ausgemacht hat. Das Gebäude war ein wenig abgefuckt und hatte keinen Keller. Dennoch haben wir das Potenzial sofort erkannt. Mit der Aussicht auf die Oberbaumbrücke, mit dem Sonnenaufgang über der Spree hatten die Räume auch damals schon etwas Magisches.
Wie reagierte die Szene damals auf diesen neuen Fokus?
Außenstehende erklärten uns für verrückt. In Kreuzberg war damals auch tote Hose. Niemand kam hier zum Feiern her. Aber Berlin hat sich entwickelt. Plötzlich sind die Clubs nach Kreuzberg gezogen, Berlin wurde global populär und alle wollten in den neuen Szenevierteln leben. In der Stadt herrschte Gründerzeitstimmung. Obwohl wir keine Ahnung hatten, wie ein Club funktioniert, wollten wir mitmischen. So haben wir uns in dieses Abenteuer gestützt.
Was waren deine persönlichen Aha-Momente?
Dass wir nicht drei verschiedenen Musikstile in der Woche promoten können, das war eine wichtige Erkenntnis für die Entwicklung des Clubs. Ein besonders aufschlussreicher Moment für uns war die GROOVE-Party im Jahr 2005. [Chefredakteur] Heiko Hofmann hatte viele relevante Künstler eingeladen. Ricardo Villalobos, Luciano, Sven Väth und Richie Hawtin kamen – und haben bis 13 Uhr durchgebrettert. Das war ein Aha-Moment, ich wusste gar nicht, dass man so lange feiern kann! Schließlich war bei uns Drum’n’Bass-Hasen meistens schon um sechs Uhr morgens Schluss. Zu sehen, dass wir Partys viel länger promoten können – das war ausschlaggebend für die Zukunft des Watergates. Zip und Ata haben dann mit New Kids On Acid alles Dagewesene übertrumpft. Der Vibe dort war atemberaubend – 48 Stunden Alice im Wunderland! So begannen die Leute, sich mit dem Club zu identifizieren. Wenn Partys zwei Tage andauern, wächst die Crowd zu einer kleinen Familie zusammen. Man ist in einer wunderschönen Bubble, die erst platzt, sobald man den Club verlässt.
Einer der Mitbegründer des Watergates, Niklas Eichstädt, und Lewin Schulte, der neue Booker im Club an der Spree, stoßen zum Gespräch dazu.
Niklas, du bist seit den Anfängen dabei. Was war dein Highlight in den letzten 20 Jahren?
Niklas Eichstädt: Der erste Abend mit unserer legendären Lichterdecke war krass. Zu der Zeit hat man LEDs maximal an die Wand geklebt. Wir haben mit der Investition also alles aufs Spiel gesetzt. Hätte das Publikum sie nicht angenommen, wären wir vor der Schließung gestanden. Am Ende war es ein riesiger Erfolg und es hat sich abgezeichnet, dass der Laden überleben kann. Das war nicht selbstverständlich, die ersten Jahre waren schwierig und nervenaufreibend. Jetzt haben wir 20 Jahre auf dem Buckel und sind höchst motiviert, weitere 20 folgen zu lassen.
Lewin, du bist neuerdings Main-Booker im Watergate. Was hast du vor?
Lewin Schulte: Ich will vermehrt jüngere Berliner Crews und DJs ins Watergate holen. Multisex und DJ Heartstring lassen sich hierfür als Beispiele nennen. Letztere machen bei uns eine Sonntags-Reihe, nachdem ihre Partys an den Donnerstagen völlig durch die Decke gegangen sind. Die Etablierung eines Sonntags ist ein wichtiger Schritt für uns. Die Location eignet sich perfekt, um das Wochenende zu guter Musik ausklingen zu lassen. Weg vom Signature Sound des Watergate, hin zu etwas frischem Neuem. Dadurch können wir ein neues Publikum ansprechen, es ist eine Art Verjüngungskur. Der Laden ist zum Glück vielschichtig und hat schon viele Wandlungen miterlebt. Je nach Event tauscht sich unser Publikum komplett durch.
Plötzlich spürte ich wieder das Kribbeln im Bauch. Schließlich sind wir damals auch mit Brecheisen in verlassene Keller eingebrochen, um dort unsere Raves zu veranstalten – natürlich komplett legal.
Zurück zu dir, Ulrich: Neben dem Club betreibt das Watergate eine Booking-Agentur, mit der ihr Namen wie Extrawelt, Matthias Meyer oder Marco Resman vertretet. Außerdem gibt es ein eigenes Label. Welche Beziehungen bestehen zum Club?
Das ist alles organisch entstanden. Wir wollten Mitschnitte von den Clubnächten in einem offiziellen Rahmen veröffentlichen. 2008 haben wir uns mit Onur Özer an unsere erste Compilation gewagt. Plötzlich waren wir ein Label und haben Tracks von verschiedenen Künstler:innen veröffentlicht. Heute beschäftigen wir 28 Mitarbeiter und haben ein florierendes elektronisches Imprint, das sich immer im Einklang mit dem Club entwickelt, denn das Label soll das Geschehen im Watergate abbilden. Von Onurs erster Veröffentlichung über Sebo K , Ellen Allien, Soulclap, Solomun bis jetzt zu Biesmans – wir haben so ziemlich alles gemacht, was zu der jeweiligen Zeit im Club passierte. Das hat uns breit aufgestellt. Die Agentur ist deshalb unersetzlich für uns. Internationale Watergate-Showcases wären ohne sie auch nur schwer umsetzbar. Außerdem ist das Watergate inzwischen eine Marke. Zum Jubiläum erweitern wir unser Merch um ein paar Gimmicks, wie einen W-Trainigsanzug, W-Schmuck – und ein eigens zum Jubiläum produziertes E-Bike.
Wenn du heute jung wärst – würdest du nochmal einen Club hochziehen?
Wahrscheinlich würde ich das nochmal wagen. Ich weiß um die Kraft der Musik und was eine gute Party bewirken kann – Clubnächte sind musikalisches Heroin. Heute, mit den gesammelten Erfahrungen und meinem Alter, kann ich es mir aber nicht mehr vorstellen. Die Zeit war mit viel Stress verbunden. Man muss Nächte durcharbeiten und lebt von Event zu Event. Außerdem herrschten damals andere Voraussetzungen. Alleine eine geeignete Location zu finden, wäre heute eine enorme Herausforderung.
Wie hat sich die Partykultur durch Corona verändert?
Vor der Pandemie kam mir die Clublandschaft eintönig vor. Corona hat viel zerstört und die jungen, wilden Leute versuchten sich in Alternativen, musikalisch wie auch in Hinsicht auf Veranstaltungskonzepte. Das kann man vielleicht ein wenig mit dem vergleichen, was so in den Neunzigern ablief. Die Zukunft war auch da sehr ungewiss. Plötzlich spürte ich wieder das Kribbeln im Bauch. Schließlich sind wir damals auch mit Brecheisen in verlassene Keller eingebrochen, um dort unsere Raves zu veranstalten – natürlich komplett legal. (lacht)
Als die Clubs wieder öffnen konnten, hat auch das Watergate wieder aufgesperrt. Wie war das?
Die erste Clubnacht nach Corona war gigantisch. Man konnte die Gänsehaut der Anwesenden spüren, es wurde vor Glück geschrien und gelacht. Die Kulturszene ist am Ende doch wichtiger, als das in der Öffentlichkeit dargestellt worden ist. Man hat gemerkt: Wir haben eine Relevanz für das soziale Miteinander.
Tony Ettelt, der die Wilde Renate mitgegründet hat, sagte einmal, dass er den Club eines Tages an seine Kinder übergeben werde. Planst du das auch?
Mit dem Gedanken habe ich noch nicht gespielt. Bei den momentanen Entwicklungen in dieser Stadt ist es nur schwer vorstellbar, dass ein Laden wie das Watergate weitere 20 Jahren überleben kann. Wir schauen trotzdem positiv in die Zukunft und geben unser Bestes. Wenn alles passt, schließe ich nicht aus, dass mein Sohn in zehn Jahren Teil dieses Projekts ist, aber er kann auch alles andere werden, Mondfahrer zum Beispiel. Astronauten genießen einen wunderbaren Blick auf unsere Welt. Das wünsche ich ihm!