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A100 in Berlin: Nie wieder Autobahn

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Im September veranstalteten Berliner Clubs und Initiativen einen Demonstrationszug gegen den Ausbau der Stadtautobahn A100. Die Protestaktion fand unter dem Motto „A100 wegbassen” zwischen Ostkreuz und Treptower Park statt – dort, wo sechs Clubs der Autobahntrasse weichen sollen. GROOVE-Autor Viktor Meier war vor Ort, um euch einen Eindruck von der Demo zu verschaffen.

Freitagnachmittag, strömender Regen, Berlin. Vor dem ://about blank haben sich einige Hundert Menschen versammelt. „Dürfen es noch 4,1 Kilometer mehr zu ihrer A100 sein?”, schallt es aus einem Megafon. Unter einem Meer aus bunten Regenschirmen tönt es geschlossen zurück: „Nein, danke vielmals!”

Mit mächtigen Kicks von Hang Aoki und vorbeiziehenden Nebelschwaden aus der kräftig arbeitenden Nebelmaschine wartet der Demorave darauf, sich in Bewegung zu setzen. Sein Ziel: den geplanten Ausbau der Stadtautobahn A100 verhindern. Und damit viele Berliner Clubs vor ihrer Schließung bewahren. Denn auf dem Markgrafendamm zwischen Spree und Ostkreuz stehen einige der beliebtesten Clubs Berlins. Renate, Else, ://about blank und OST – sie alle sind von den Plänen der Bundesregierung betroffen, Neukölln und Lichtenberg mit einem mehrspurigen Asphaltstreifen zu verbinden.

Schirme, Schirme, Schirme (Foto: Viktor Meier)

Noch ist es der harte Kern, der sich an diesem frühen Abend zusammengefunden hat, um mit bloßem Dasein deutlich machen: Wir weichen nicht. Einer, der bei allen bisherigen Protestaktionen dabei war, ist Uli. Unter einem Regenschirm erzählt mir der Mittevierzigjährige, dass er seit zwölf Jahren mit seiner Familie am Treptower Park lebt und doppelt von den Bauplänen betroffen ist: „Zum einen mit meiner Familie und zum anderen liebe ich Berliner Clubkultur. Ich bin seit 20 Jahren dabei und nehme aktiv teil. Kein Club ist mir über die Jahre so ans Herz gewachsen wie das Blank – verschwindet es, würde mir es das Herz brechen.”

Teure Befürchtung

Wie Uli geht es hier vielen. Deshalb ist das Bauprojekt so umstritten. Der 4,1 Kilometer lange und 1,1 Milliarden Euro teure Abschnitt der Berliner Stadtautobahn soll schließlich auch durch dicht besiedeltes Gebiet führen. Anrainer:innen befürchten, dass sich die anliegenden Kieze aufgrund von Lärm und einem weniger diversen Stadtbild verändern könnten. Eine Befürchtung, der man sich heute mit viel Bass entgegenstellen will.

Einige weitere Demonstrationen gegen die A100 stoßen lautstark zum Pulk vor dem ://about blank. Es wird enger. Die Soundanlagen der unterschiedlichen Wägen vermischen sich zu einer Symbiose, als vereinten sich die rund 40 Clubs und Initiativen in all ihrer gegensätzlichen Stärke zu einer wegbassenden Kraft.

In der Trasse vereint
In der Trasse vereint (Foto: Viktor Meier)

„Clubs sind Orte der Begegnung. Autos auf Autobahnen sind es nicht. Es sind Blechdosen der Vereinzelung”, sagt Florian Paloma. Der Mitbetreiber des ://about blank versucht sich weiterhin mit subkultureller Beharrlichkeit in den Weg zu stellen. Dieser Kampfgeist ist auch bei den anderen Clubbetreiber:innen zu spüren. Weil sie auf dem Abschnitt liegen, aber auch weil sie die Auswirkungen spüren würden, sollte das Kulturzentrum verschwinden.

Sagt jedenfalls Julius Hausl, Geschäftsführer des Sisyphos, der mit seinem Club nicht direkt vom Ausbau bedroht ist. „Außerdem sind wir alle befreundet – das ist einfach ein Solidaritäts-Ding.” Im Grunde gehe es um die Standhaftigkeit eines Zentrums und einer Szene, die für die Stadt mehr bieten soll als eine Autobahn.

Keep it real

Als sich der Demonstrationszug über den Markgrafendamm bewegt, erkennt man, dass sich hier in all den Jahren etwas geformt hat, das bedeutend mehr als nur abrissreife Ruine ist. Mit den als Vorhalteflächen angedachten Kultureinrichtungen ist ein Raum entstanden, den Teilnehmende der Demonstration als „richtig ehrliche Gegend” und „eines der letzten Stücke echtes Berlin” beschreiben. Reservierte Fläche also, die eigentlich für zukünftige Nutzungen freigehalten wird. Doch in der Zwischenzeit wurde sie zu einem schwankenden, formbaren Ort, der Kultureinrichtungen, Kleingartenanlagen und Grünflächen, heranwachsende Kieze, Gewerbe und soziale Einrichtungen beheimatet, die auf charmante Art und Weise nicht ganz im Einklang stehen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Orten Berlins, die bereits in privater Hand liegen und wo jedem Quadratmeter eine Funktion zugeschrieben wird, erkennt man auf dieser Trasse Gegenteiliges. Es ist ein breiter Abschnitt, der in weiten Teilen noch vom Land Berlin verwaltet wird. Vorschläge für die Nutzung des Raums sind beispielsweise sozialer Wohnungsbau, der Bau von Kitas, der Fortbestand und die Entwicklung von sozialen und kulturellen Einrichtungen. Oder der geplante Bau einer Autobahn.

Trassenkarte des 17. Abschnitts (Foto: Bürger*innenInitiative A100)

Um zu verstehen, warum die A100 so ein heikles Thema ist, lohnt sich ein Blick in die Geschichtsbücher: Der erste Abschnitt der Bundesautobahn 100 wurde 1958 eröffnet. Um West-Berlin daraufhin besser anzubinden, wurden weitere Abschnitte zu einer halbrunden Struktur gebaut. Die Idee lag darin, ein West-Berliner Autobahnnetz aufzubauen mit der Vision, die halbrunde Strecke, im Falle der deutschen Wiedervereinigung, zu einer Ringstrecke zu vervollständigen. Die Diskussionen um die Verlängerung bestehen also spätestens seit dem Fall der Berliner Mauer, insbesondere um jenen 17. Abschnitt, auf dem gerade lauter Techno wummert.

„Vor allem hier kann man sehen, wie viel Clubkultur den Menschen in dieser Stadt bedeutet”, sagt Marcel Weber, Chef der Clubcommission Berlin „Die Autobahn würde einen Verlust der Vielfalt und der Diversität von Berlin als Stadt bedeuten. Das hören wir übrigens auch von der Wirtschaftsförderung des Landes Berlin: Die Leute kommen her und gründen Start-ups, weil wir eine coole Clubszene haben und nicht weil wir tolle Autobahnen besitzen.”

Haie haben Hunger

Während der Zug die Corinthstraße passiert, kommen Menschen filmend aus ihren Wohnhäusern und schließen sich dem Demozug an. Gemeinsam marschiert man weiter durch die „Betonschneise der Verwüstung”, wie manche Demoteilnehmer:innen den geplanten Autobahnausbau nennen.

Wir kommen an der Renate und dem Club OST vorbei. Die Renate hat erst kürzlich bekanntgegeben, dass sie Ende 2025 schließen müsse. Das OST wäre spätestens mit der Autobahn Geschichte, erklärt mir Briti Beneke von der Bürger:innen-Initiative A100: „Die Clubs sind bedroht, wenn die Autobahn kommt und wenn sie nicht kommt. Denn dann tauchen die Immobilienhaie auf. Unbebaute Fläche erweckt auf jeden Fall Begierde.”

Ende des 16. Bauabschnitts am Treptower Park (Foto: Viktor Meier)

Die Gentrifizierung entlang der geplanten Autobahntrasse habe in den letzten drei Jahren jedenfalls erheblich zugenommen, so Beneke. Vor allem seien viele Eigentumswohnungen entstanden, weshalb der Bezirk bereits Konzepte und Ideen mit Planungsbüros bespricht, falls die Autobahn doch nicht gebaut wird.

Der Raum ist mit den Jahren also immer aufgeladener geworden, birgt viele Chancen und liegt zugleich in der Schwebe. Eine Schneise durch diese Kultur-Agglomeration mit einer Autobahn zu schlagen, scheint für viele hier so, als würde Verkehrsminister Volker Wissing das gerade begonnene Monopoly-Spiel mit einem Wisch übers Brett beenden. 

„Ich nehme hier einen großen Angstraum wahr.”

Weil dieser plötzliche Wisch übers Brett jederzeit kommen könnte, bleibt die Zukunft ungewiss. Marcel Weber von der Clubcommission nimmt die Sorgen der Menschen jedenfalls ernst: „Ich nehme hier einen großen Angstraum wahr. Nicht zuletzt für die Clubs, aber auch für die Menschen, die dort arbeiten, für die Künstlerinnen und Künstler, die dort auftreten. Diese Angst wabert im Hintergrund, weil man sich fragt: Wie lange kann ich hier eigentlich noch sein?”

Hoffnung hilft heute

Auf der Kreuzung vor der Elsenbrücke bleibt der Demozug stehen. Der Regen hat inzwischen nachgelassen. Die Menschen sind in Tanzlaune, es wird immer voller, die Wägen rücken näher und vereinen sich in einem großen Ausrufezeichen aus Gabba, Breakbeat, Tech-House und Techno. „Ich habe sehr viel Hoffnung”, sagt Weber. „Der Protest heute und auch die zukünftigen Proteste werden zeigen, dass es einfach ein wichtiges Anliegen ist, zu sagen, dass eine Autobahn ein Projekt von gestern ist”, so der Clubcommission-Chef.

Nach einem etwas längeren Aufenthalt auf der Kreuzung geht es langsam weiter über die Elsenbrücke. Die Musik wird aufgrund der Instabilität der Behelfsbrücke abgestellt – Vorgabe der Stadt. Die Menschen blicken in die Abendröte über der Spree, fast so, als hätte der Regentanz gewirkt. Hoffnung also. Aber worin? Bereits seit der Rot-Rot-Grünen Regierung 2016 ist der Faktor Zeit ausschlaggebend. Das Thema A100 wurde schon damals mit Hinblick auf die nächsten Koalitionen vertagt. 

Poah tschüsch, das hatten wir heute noch gar nicht so gesehen...
Auf der Elsenbrücke (Foto: Viktor Meier)

Nun regieren SPD und CDU, finden aber keine Einigung. Im aktuellen Koalitionsvertrag wird das Thema ausgeklammert, obwohl der regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) dem Ausbau gegenüber positiv gestimmt ist. Das Dogma der Demonstrierenden liegt deshalb im Hinauszögern, sodass der gesellschaftliche Wandel den Ausbau irgendwann undenkbar macht.

Seit zwei Jahren wird die Trasse von einem Ingenieurbüro untersucht. 2025 soll der Bericht veröffentlicht werden. Dann besteht erneut die Möglichkeit, die Machbarkeit des Projekts anzuzweifeln, je nachdem welche Hindernisse in der Planung auftauchen. Viel Zeit bleibt aber nicht, sagt Briti Beneke. Denn laut Bundesverkehrsministerium soll es ab 2027 in die Feinplanung gehen. „Dann ist es zu spät”, so Beneke. „Mit der Planfeststellung lässt sich ein Projekt nicht mehr verhindern, sondern nur noch verändern. Und so weit sollte man es hier gar nicht kommen lassen.”

Sparen sticht Stille

Nach der Elsenbrücke und dem kurzen Sonnenuntergang-Intermezzo schlägt die Kickdrum zum Glück wieder. Das „Vom Regen zum Sonnenuntergang”-Rom-Com-Ende hätte hier auch niemand ausgehalten. Es muss noch ein bisschen gehackt werden.

Hacken, bis die Autobahn fällt (Foto: Viktor Meier)

Und dann gucken alle nach links: die Else – auch hier ist das Fallbeil gut zu erkennen. Derzeit hängt es noch über dem Club an der Spree. Wann es sich senkt, hängt mit der geplanten Verlängerung zusammen. Und auch mit einer Menge Geld. Die A100 wäre das teuerste Autobahn-Projekt Deutschlands. Genau deswegen könnte sie noch einmal infrage gestellt werden.

„In Zeiten von Kürzungshaushalten besteht immer die Hoffnung, dass auch mal an der richtigen Stelle gespart wird”, sagt mir Marcel Weber nach seiner Demorede. Hunderte Menschen tanzen da zu schnellem Techno. Es ist wahrscheinlich der vollste Moment der Demonstration. Der Sturm vor der sozialpolitischen Stille? Wenn man an diesem Freitagabend in die Menge blickt, merkt man: Die letzte Kickdrum hat hier noch lange nicht geschlagen.

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