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September 2025: Die essenziellen Alben (Teil 2)

Teil 1 der essenziellen Alben aus dem September findet ihr hier, die Mixe hier, die Compilations hier.

JASSS – Eager Buyers (AWOS)

Ja, ein Album, das sollte so ein bisschen wie eines funktionieren, eine Geschichte erzählen, eine Geschichte sein. Was ja einigermaßen schwierig ist, wenn die Story aus dem Samplepack kommt und man hinterher keine Ahnung hat, wieso das jetzt unbedingt zusammengehört. Wenn es dann noch die persönlichste Platte sein soll, muss man sich schon was einfallen lassen. Und es ungefähr so wie JASSS machen. Eager Buyers ist Kunsthochschulengenialität ohne die Kunsthochschule. Also, äh, nur Genialität, die man auch mal, sagen wir, Kunsthochschulenmenschen wie Mark Fisher attestiert hat. Der taugt in manchen Momenten immer noch als kaffeesudkondensierter Baukastenabsatz für ein, na ja, Album. Zum Beispiel dieses hier. Und so schließt sich der Kreis, JASSS ist nicht Burial und macht trotzdem die Musik, die Fisher darin gehört hat. Eine bessere Geschichte muss man sich erst mal einfallen lassen. Christoph Benkeser

Jensen Interceptor – Interception (International Chrome)

Interception ist das zweite Album des International-Chrome-Labelchefs Mikey Melas, besser bekannt als Jensen Interceptor. Und es markiert so etwas wie eine Wende, ein neues Make-up auf einem bekannten Gesicht.
Waren seine bisherigen Veröffentlichungen geprägt von einem sehr harten, Dancefloor-orientierten Electro-Verständnis nahe an noisigem Techno, so lässt das neue Album diese Genre-Begrenzung weit hinter sich – und markiert damit Melas‘ bisher experimentellstes, aber auch bestes Werk.

Die zehn Tracks strecken ihre Fühler in alle Richtungen aus, sei es Electronica Aphex Twin’scher Prägung, sogenannter Ambient-Jungle, Chicagoer Juke-Mutationen oder kontemporäre Bass Music. Und ein wenig Electro ist natürlich auch dabei, alles zusammengefügt mit einer ordentlichen Portion trippiger Psychedelik.
Diese Genre-Offenheit führt zu immer wieder überraschenden Hybriden, Tracks, die genau einzuordnen schwerfällt, die aber gleichwohl beim Zuhören wie beim Tanzen enorme Freude machen. Denn bei aller Experimentierfreude verliert Interception die Tanzfläche natürlich nicht aus den Augen. Was zu einigen mehr als hypnotischen, fast schon rituell anmutenden Dancefloor-Bomben führt.
Das neue Make-up steht Jensen Interceptor auf jeden Fall sehr, sehr gut. Tim Lorenz

Nastia Reigel – Identity (Infrastructure New York)

„Do It Now”. Mit dieser Aufforderung eröffnet Nastia Reigel ihr Debütalbum auf dem legendären Label Infrastructure von Techno-Urgestein Function. Spätestens beim Cymbal-Regen im letzten Viertel des ersten Tracks folgt man der Bitte – und überlässt dem wippenden Fuß die Arbeit. Dass die DJ und Producerin auf diesem Label veröffentlicht, könnte logischer nicht sein. Wie die Faust aufs Auge trifft ihr Stil den Sound, für den Infrastructure steht: hypnotisch-funktional, tief und zeitlos.

Mit Identity vermittelt Reigel den Eindruck, einen Einblick in ihre Persönlichkeit zu gewähren – mit all ihren Höhen und Tiefen. Die Tracknamen („Do It Now”, „Ray Catcher”, „End Up Here”, „Accidents”, „Dream Trade” und „Perfect”) wirken wie eine Abfolge prägender Stationen ihres Lebens und ihrer Karriere – bis hin zu einem Punkt, an dem sich für sie alles perfekt anfühlt. Über das gesamte Album hinweg bleibt sie ihrer musikalischen Handschrift treu. Jedem funktionalen Track fügt sie eine kleine Prise Melodie hinzu. Diese drängt sich nie in den Vordergrund, sondern bleibt im Einklang mit Hi-Hats, Cymbals und Drums. Zwischendurch treten im Titeltrack, „Xoirce” und „End Up Here” Vocals auf, die das Album abrunden. So wie es mit der an sich selbst gerichteten Aufforderung „Do It Now” beginnt, endet es sanfter mit „Perfect” – einem Track, der Reigels inneren Seelenfrieden widerspiegelt. Jacob Runge

Paul St. Hilaire – w/ The Producers (Kynant)

Paul St. Hilaire, der sich hinter dem Pseudonym Tikiman verbirgt, ist eine der wohl prägendsten Stimmen im Dub Techno. Als Dominikaner geboren, seit 1994 in Berlin und an der Seite von Basic Channel aktiv, hat er mit seinem Input das Genre maßgeblich mitgestaltet. Gut 20 Jahre nachdem Moritz von Oswald und Mark Ernestus für ihr Album w/ The Artists unterschiedliche Vokalist:innen verpflichteten, dreht St. Hilaire nun den Spieß um und lädt auf /w The Producers für jeden Track eine andere Produzenten-Persönlichkeit ein – allesamt erlauchte Namen aus dem Spektrum irgendwo zwischen Dub und Techno, von Dubstep-Don Mala bis zum japanischen Puristen Shinichi Atobe.

Veröffentlicht wurde alles auf Richard Akingbehins Kynant Records, das zweifelsohne mitschuldig ist am aktuellen Revival von Dub Techno und wo 2023 bereits St. Hilaires erstes Soloalbum herauskam. Auf den neun neuen Kollabos gibt Tikiman sich wie immer zurückhaltend, seine tiefe Stimme wiegt als zusätzlicher Ballast auf Beats, die eh schon schwergewichtig sind. Damit verleiht er den eisig anmutenden Flächen und Chords des Genres ein warmes, menschliches Element. Egal ob auf den klassischen, Echo-geschwängerten Epen von Cousin und Priori oder den perkussiveren, psychedelischen Experimenten von Azu Tiwaline oder Gavsborg – die ruhige Vortragsweise seiner Verse lässt die loopigen Tracks zum meditativen Dancefloor-Moment verschmelzen. Ein spannender Rundblick auf den heutigen Stand eines zeitlosen Subgenres. Leopold Hutter

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