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Good2U 2025: Ein Echo von Geborgenheit

Zum bereits dritten Mal lockte das Good2U mit der inzwischen etablierten Mischung aus Intimität und musikalischem Traditionsbewusstsein ins und ums Kühlhaus nach Görlitz. Heißt: Auch in diesem Jahr traf eine kompakte Crowd an drei Tagen auf ein Bouquet aus Künstler:innen, das nachhaltige Rave-Kultur atmet. An welchen Stellschrauben in diesem Jahr gedreht wurde, wie die Veranstalter:innen Bewährtes konservierten und wie das Good2U auf ganz eigene Weise Zeitlosigkeit verkörpert, lest ihr im Nachbericht.

Lange nicht mehr gehört: Ricardo Villalobos‘ 18-minütigen Monster-Edit von Shackletons „Blood On My Hands”. Gerade spielen ihn Cassy und Shed, der im Rahmen dieses b2bs mit seinem housigeren Alias Head High auftritt. Es ist ein in jeder Hinsicht symptomatischer Moment fürs Good2U, das sich auch in seinem dritten Jahr dem wahrhaftigen Rave verschrieben hat. Beide Acts teilen eine gemeinsame Vergangenheit hinterm Hard-Wax-Tresen und stehen damit für die reine Lehre, für jene elektronische Tanzmusik, der gerne Zeitlosigkeit attestiert wird. Das trifft aufs just ratternde Villalobos-Meisterwerk mit seinen übermächtigen, hypnotischen Vocals, der fast greifbaren, nagenden Synth-Line, die sich von Anfang bis Ende durchzieht, und dem stoischen Drumming hundertprozentig zu. Das Original brachte Cassy übrigens schon 2006 im ersten Panorama-Bar-Mix unter, was den Aspekt der Zeitlosigkeit noch stärker unterstreicht.

Nicht Cassy und Head High, die Stimmung auf der Loading Bay ist trotzdem prächtig (Foto: Yannik Berger)
Nicht Cassy und Head High, die Stimmung auf der Loading Bay ist trotzdem prächtig (Foto: Yannik Berger)

2023 trat das Good2U mit exakt dieser Mission an: Glaubwürdiger, klassischer elektronischer Tanzmusik eine Bühne zu geben, zu der ein übersichtliches, auskennerisches Publikum tanzt. Keine Hypes, kein Buhlen um Aufmerksamkeit, sich daran erfreuen, was Techno und House sein können, ohne die Genres zu verwässern. Die Zahlen 2025: 900 Personen, die auf drei Floors auf über 30 Acts treffen – den Ambient-Floor, eine ausladende Sitzlandschaft in Pavillon-Optik, nicht mit eingerechnet.

Der Food Court auf dem Good2U, im Hintergrund ziehen sich Visuals über das Kühlhaus (Foto: Daniela da Cruz)
Der Food Court auf dem Good2U, im Hintergrund ziehen sich Visuals über das Kühlhaus (Foto: Daniela da Cruz)

Das Konzept bleibt auch dieses Mal dasselbe: Hype-Vermeidung zugunsten musikalischer Nachhaltigkeit, doch an an ein paar Stellschrauben wurde gedreht: Die inneren beiden Floors, Heatworks und Greenhouse, bekamen eine bessere Belüftung sowie eine musikalisch abwechslungsreichere Programmierung spendiert. Heißt im Klartext: Die strikte Trennung zwischen Techno und House wurde aufgegeben, sodass Acts beider Genres mal diese, mal jene Booth bespielen. Experiment geglückt: Insbesondere die geräumigen Heatworks, in denen sich während der ersten beiden Ausgaben Techno-Set an Techno-Set reihte, profitieren vom geänderten Ablauf und sind besser gefüllt als je zuvor.

So etwa in den frühen Morgenstunden des Samstags, als Amy Dabbs und Mike Starr mit ravigem House eine stattliche, johlende Crowd in Schach halten, die es zu diesem Zeitpunkt in den letzten Jahren eher nicht mehr gegeben hätte. Tatsächlich kochen die Heatworks vor Stabs und Rave-Pianos über, was es schwer macht, den Absprung zu schaffen. Doch wer schon öfter auf Festivals war, weiß: In der ersten Nacht übertreibt man nicht, insbesondere auf dem Good2U, das es in nur zwei Ausgaben geschafft hat, sich einen Ruf für seine ausufernden Closings zu erarbeiten.

Zu Beginn des extrem warmen Freitags übten jene, die es trotz des neuerlichen Zugchaos zwischen Cottbus und Görlitz rechtzeitig aufs kompakte Festivalgelände mit diesmal etwas größerem Campingplatz schafften, sogleich den Good2U-Rhythmus ein: Draußen auf dem überdachten Floor namens Loading Bay, der industrielle Güterhallen-Ästhetik mit Tüll und Flora kombiniert, Warm-ups so lange genießen, bis der Peaktime-Slot in Windeseile vorüberzieht, dann ab ins Kühlhaus mit den beiden bereits angesprochenen Floors. Nicht nur drinnen gestaltet sich das Programm in diesem Jahr cleverer, auch draußen wirkt die Programmierung noch eine Spur durchdachter. Das äußert sich dergestalt, dass sich am Nachmittag und frühen Abend, wie bei Cassy und Head High am Samstag oder sonntags bei Muallem, bereits eine stattliche Crowd auf Empore und ebenerdigem Dancefloor der Loading Bay tummelt. Das liegt natürlich auch daran, dass bei dieser Ausgabe einige größere Namen früher spielen als zuvor.

Die Loading Bay (Foto: Yannik Berger)
Die Loading Bay (Foto: Yannik Berger)

Was uns nochmal zu Muallem bringt. Nach zwei Tagen und Nächten Festival legt sich nur allzu gern der ein oder andere sentimentale Schatten über die Seele. Er, selbst ganz der Raver, scheint das zu verstehen wie kaum ein anderer, als er während seines sonntäglichen Slots von 15 bis 18 Uhr The Space Ladys Cover von „Major Tom” spielt und dann tatsächlich in Carl Craigs Remix von Theo Parrishs „Falling Up” verblassen lässt, wie ein Echo von Geborgenheit. Ein surrealer Übergang, der Gefühl und Floor-Fokus vermählt und damit die Marschrichtung für den Endspurt des Festivals vorgibt.

Einen Tag zuvor, am Samstagmittag, hat die Kickdrum im Pavillon komplett Sendepause. Nalan lässt sich mit Gitarrist auf der freischwebenden Hollywoodschaukel nieder, auf der sonst DJs Ambient-Sets zum Besten geben. Und spielt ein herzerwärmendes Unplugged-Konzert, dem viele gebannt lauschen, während manche wohlig dösen. Ein weiteres clever gelegtes Booking, gefühliger Trip-Hop zwischen Mazzy Star und Portishead sorgt für eine unverstellte Nähe, der man sich schwer entziehen kann – und schafft eine noch intimere Atmosphäre als weiland im ZDF-Morgenmagazin.

Eine spezielle Bühne: Die Couch im Pavillon (Foto: Daniela da Cruz)
Eine spezielle Bühne: Die Couch im Pavillon (Foto: Daniela da Cruz)

Ähnliches vollführen Edward und Yamour während ihres b2bs ab Mitternacht mit gänzlich anderen Mitteln. Bei gemächlicher BPM-Zahl führen sie auf einen Höhepunkt hin, der nie eintritt. Der Groove bleibt konstant, aus ihm schälen sich immer wieder synapsenröstende Melodien, wie etwa die von Schatrax’ „Overcome No Vox”, das mit geisterhaften Pads und einer mächtig wogenden Acid-Bassline zwischen Entrücktheit und Dancefloor-Stringenz vermittelt und bei angenehm gedimmtem Licht zu Momenten der inneren Einkehr führt. Das Good2U pendelt immerzu zwischen diesen Polen: Introspektion und Exzess, Selbstsuche und Gemeinschaftlichkeit. Doch Vertrautheit schadet nicht, auch das nerdigste Festival braucht seine Banger, und nicht umsonst schallt „The Sun Can’t Compare” mehr – deutlich mehr – als einmal von Loading Bay in Richtung Zeltplatz.

Das letzte Set ebendort spielen am Sonntagabend Blasha & Allatt, die schon auf der diesjährigen Nation of Gondwana mit einem gewieften, abgedrehten wie zwingenden Techno-Set überzeugten. Dass Rave ein Genre-unabhängiger Gemütszustand ist, beweisen sie auf dem Good2U als House-Duo, das der Menge vor lauter Hands-up-Momenten schwere Arme beschert und trotz deutlich kleinerer Crowd als in Grünefeld ekstatische Großraumatmosphäre heraufbeschwört. Die flackernden Decken-Visuals intensivieren diesen Eindruck noch.

Foto: Yannik Berger
Foto: Yannik Berger

Anschließend folgt die Zielgerade, was man den Sets anmerkt: Freddy K schrubbt in den Heatworks seinen geradlinigen Techno durch und zieht wie erwartet die wohl größte Crowd aller Acts, Tereza schlägt im Greenhouse kreativ Haken, findet aber mit zunehmender Set-Dauer in einen zu gleichen Teilen verspielten und bretternden Rhythmus. Um 4 Uhr steigen Skee Mask und Victor mit ihrem Closing ein, das den Geist des Good2U mit zunehmender Dauer immer besser einfängt. In den ersten Stunden nach Freddy K bewegt sich die BPM-Zahl noch in höheren Bereichen, je heller es aber wird, desto grooviger die Musik, was schließlich in jenen viskosen Zustand versetzt, der ein gutes Closing ausmacht. Panta rhei, alles fließt, spielt sich im Bermudadreieck zwischen Bar, Dancefloor und Verschnaufpausen im Pavillon ab.

Zeit, nochmal einen Blick auf die Crowd zu werfen: In diesem Jahr tragen auffällig viele Personen, unabhängig des Geschlechts, ein elegant um den Kopf geschlungenes, meist transparentes Tuch. Vielleicht Überbleibsel des kulturellen Großereignisses Dune: Part Two, vielleicht Eingeweihten-Code des portugiesischen Wüstenraves und spirituellen Erweckungserlebnisses Waking Life, sicherlich keine modische Anbiederung an flughafenhangarfüllende DJ-Crews. Sonst zu sehen: Viel Tech-Gear, Zehenschuhe oder Barfußlatschen, die aussehen, als hätte sie HR Giger persönlich entworfen. Manche lassen in bester Neunziger-Manier ihren Sinn für Ironie von der Leine und tragen etwa Pacha-Shirts, andere wiederum sehen mit ihren arg kurzen T-Shirts aus, als hätte sie auf einem Tech-House-Rave in den Zweitausendern ein Wurmloch verschluckt und nun auf einem Closing in Görlitz-Weinhübel wieder ausgespuckt.

Alienesk: Das Schuhwerk mancher Good2U-Besucher:innen (Foto: Maximilian Fritz)
Alienesk: Das Schuhwerk mancher Good2U-Besucher:innen (Foto: Maximilian Fritz)

Den beiden DJs in der Booth, die dieses Jahr übrigens weiter im Raum steht und somit auch hinter sich Tänzer:innen zulässt, kümmert das Erscheinungsbild der Crowd wenig. Sie finden mit jeder Stunde mehr zur Reduktion, spielen am Vormittag Tracks, die weniger Aufgekratztheit und mehr innere Mitte zulassen. Den Slow-Banger „Jaz” von Marcel Fengler etwa, oder Photeks geistesabwesendes „Glamourama”, auch ein „Quadrant Dub” rumpelt durchs schummrige gelb-rosa Licht. Immer schöner wird’s, und irgendwann ist Schluss, wahrscheinlich gegen 13 Uhr, nachdem Victor mit Jay-Zs und Mary J. Bliges „Can’t Knock The Hustle” die unumstößliche Zäsur gesetzt hat. Das finale Duell steigt nun im Pavillon.

Die Heatworks in voller Pracht (Foto: Daniela da Cruz)
Die Heatworks in voller Pracht (Foto: Daniela da Cruz)

Dort tritt ein letztes Mal Muallem auf den Plan, der ein Ambient-Set spielt, das die Heimreise Stunde um Stunde nach hinten verschiebt. Rund um den Pavillon herrscht den Nachmittag über weiter reges Treiben, noch befeuert durch die direkt angrenzende Bar, vor der sich konstant eine Schlange bildet – eine weitere sinnige Neuerung dieser Ausgabe. Zwischen mittlerweile geschundenen Matratzen, Tüll und Gesprächen, die ablaufen, ohne dass etwas gesagt wird, schallt nun eine ganz eigene Mischung aus Wehmut und Kredibilität aus den Boxen. Carl Craigs „Darkness” etwa, oder eine Trap-Version des Boards-of-Canada-Tracks „Wildlife Analysis”. Larmoyanter wird es mit Mark Pritchards und Bibios „Give It Your Choir” oder gar einem Stück von Pop-Star Adele. Kurzzeitig läuft auch der denkbar passendste Soundtrack für die übernatürlichen Wesen, die sich im Pavillon tummeln: Die Titelmelodie der X-Files.

Und so geht die dritte Ausgabe des Good2U schleichend zu Ende. Ohne harten Schnitt, sondern in sanftem Übermut, aufgefangen zwischen all den besonderen Momenten, die in den letzten drei Tagen vorüberzogen. Und irgendwie hätte man ja doch schon wieder Lust. „Because flesh is weak and forms break down. They cannot last forever”, heißt es im eingangs erwähnten Villalobos-Edit. Ob das auf die Good2U-Crowd zutrifft, ist fraglich.

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