burger
burger
burger

Good2U: Die Besinnung aufs Kerngeschäft

Dreieinhalb Stunden Zugfahrt mit der Regionalbahn sind es von Berlin nach Görlitz. Spätestens beim Umstieg in Cottbus wird klar, dass sich dort, kurz vor der polnischen Grenze im Stadtteil Weinhübel, an diesem Wochenende Ungewohntes abspielt. Den kurzen Zug der ODEG kapern mit Campingausrüstung ausgestattete Raver:innen, die von Einheimischen mit einer Mischung aus Interesse und Argwohn gemustert werden. „Ein Festival? Davon haben wir nichts mitbekommen”, sagen zwei Teenagerinnen und lachen.

Kein Wunder, denn obwohl das Good2U vor seiner Erstausgabe vor allem in den sozialen Medien durchaus präsent war, richtet sich das Festival in jeglicher Hinsicht an Eingeweihte. Line-up – Qualität über Hype –, Location – ein altes Kühlwerk mit Ähnlichkeiten zu einem prominenten Berliner Club – und vor allem Größe – die Kapazität lag bei 800 Personen – sprechen ganz bewusst ein Rave-erfahrenes Publikum an, das sich auf das Kerngeschäft besinnt.

Loading Bay Good2U by Manuel Schuller
Die Loading Bay tagsüber (Foto: Manuel Schuller)

Das heißt in diesem Fall: Kurzlebige Modeerscheinungen und vermeintlich zeitgeistige musikalische Trends zu ignorieren und diesen mit traditionellem, bewährtem Techno und House, gebucht von Leuten aus dem Paloma- und Hard-Wax-Umfeld, entgegenzutanzen. Wer jetzt von einer spaßbefreiten, elitären Veranstaltung ausgeht, liegt falsch. Der Fraktion, die bei der leisesten Kritik an Edit- und Kirmestrance-Geballer reflexartig „Lasst den Leuten doch ihren Spaß” bellt, wurde auf dem Good2U bewiesen, dass exakt dieser auch ohne quietschigen, synapsenröstenden Sound auf dem Dancefloor entsteht.

Der war schon am Freitagabend nirgends zu hören: TEREZA spielte ein einladendes House-Set auf der einzigen Außenbühne, der Loading Bay. Anschließend ging es in die Eingeweide des monströsen Kühlhauses, in dem mit Heatworks – technoid – und Hideout – housy – zwei weitere Floors warteten. Erstere beschallten nacheinander Don Williams und Fadi Mohem im b2b mit Victor. Schon nach den ersten Stunden auf dem Gelände bewahrheitete sich also der letzte Teil dieses Zitates aus dem Mission Statement der Veranstalter: „Instead of blindly following socials media trends and current hypes, we strive to bring together an authentic vibe, diversity and quality selectors.”

Good2U Rave by Manuel Schuller
Die Loading Bay des Nachtens. (Foto: Manuel Schuller)

Auch der angestrebte Vibe entwickelte sich zusehends, obwohl die Floors nicht immer prall gefüllt waren: Die Erstausgabe des Good2U verkaufte sich nicht aus. Das ist typisch für ein Festival, das sich auf einem enorm umkämpften Markt erst noch zu etablieren gedenkt. Gleichzeitig führten die teils etwas lichten Reihen besonders innen paradoxerweise zu einem Gefühl wahrhaftiger Rave-Authentizität, waren für diejenigen, die ein Ticket gekauft hatten, also ein absoluter Glücksfall: In den Morgenstunden, in denen das erste Licht des Tages durch die getönten Fensterscheiben drang, wähnte man sich in einem puristischen Afterhour-Club mit Warehouse-Anleihen. Die Set-Dauer einiger Acts tat dazu ihr Übriges: Don Williams spielte beispielsweise in er ersten Nacht vier Stunden lang ein Techno-Set, das sich vom durchdachten Warm-up graduell zum Peaktime-Marker mauserte. Eine weitere Maßnahme, um sich von schnelllebigen Fast-Food-Festivals abzugrenzen.

Apropos Fast Food: Die propagierte Nachhaltigkeit spiegelte sich auch in der Verpflegung wider. Festivals mit gesundem Essen sind zwar keine Seltenheit mehr, derart faire Preise für gastronomische Angebote werden andernorts aber kaum aufgerufen. Architektonisch und infrastrukturell wirken das Kühlhaus und seine Umgebung wie für eine Veranstaltung dieser Art geschaffen. Während die drei Floors industrielle Kälte mit einem warmen Lichtkonzept – und im Falle des Hideouts: Vegetation – kombinierten, hatten Besucher:innen die Wahl zwischen Camping und kleinen Bungalow-Wohnungen, alles nur ein paar hundert Meter von den Floors entfernt. Dazwischen befanden sich befestigte sanitäre Anlagen mit FLINTA-Toilette sowie ein gut sichtbarer Stand des Awarenessteams – auch an dieser Stelle wurde der Grundidee, ein Festival von der Szene für die Szene zu veranstalten, Rechnung getragen.

Good2U Camping by Manuel Schuller
Der Campingplatz des Good2U (Foto: Manuel Schuller)

Der organisatorische Rahmen, so wichtig er auch sein mag, bringt aber nichts ohne gute Musik. „We want the good stuff”, meinten die Veranstalter:innen dazu. „Deep house, funky UKG, driving techno und everything in between” bedeutet das laut Programmheftchen. Von wem der gute Stoff kommt, schien im Vergleich zu Headliner-getriebenen Veranstaltungen gar nicht so wichtig zu sein. Klar, es spielten Acts wie Ogazón, Kaiser und KiNK, die öfter um die Welt fliegen als der Rest auf dem Line-up. Doch genauso achtete man beim Booking auf verdiente Künstler:innen aus der deutschen und besonders der Berliner Szene. Sets von Johannes Albert, Sevensol, Natascha Kann und diversen weiteren Künstler:innen belegten das.

Nichtsdestotrotz: Am meisten war naturgemäß bei KiNK los, der am letzten Abend des Good2U ein dreistündiges Live-Set spielte. Dass der Bulgare eine sichere Bank ist, musste sich im kundigen Publikum nicht erst herumsprechen. Selbst für seine Verhältnisse schnell peitschte er prasselnde Hi-Hats durch die Loading Bay, immer wieder streute er monströse Drops ein, die die von Freitag und Samstag ausgezehrte Crowd nochmals motivierten und ausgelassenes Johlen hervorriefen.

Chillout Good2U by Nicolas Markschat
Die Chillout-Area auf dem Good2U (Foto: Nicolas Markschat)

Wie auch an den Vortagen war die Marschrichtung im Anschluss dieselbe – schön, wenn ein noch junges Festival sofort Abläufe etabliert: Vorbei an der aufmerksamen Bar im Außenbereich, rein ins Kühlhaus, wo Kaiser und anschließend The Lady Machine im b2b mit Reka Zalan spielten. Oder aber doch eine Verschnaufpause – „Be Good2Urself. Know your limits and don’t push your body to extremes”, wie im Programmheft empfohlen und bei der monströsen Hitze noch wichtiger als ohnehin schon – in der liebevoll aufgemachten Chillout-Area: Baldachin-ähnliche Vorhänge, alte Möbel, Lampen und etliche Sitzmöglichkeiten halfen bei der geistigen und körperlichen Vorbereitung aufs Closing von ItaloJohnson.

ItaloJohnson Good2U by Manuel Schuller
Spielten ein famoses Closing: ItaloJohnson (Foto: Manuel Schuller)

Das startete um halb 4, und das dicke END in Versalien auf dem Timetable, das den Schlusspunkt des Festivals markierte, wirkte wie eine Drohung. Man kann es an dieser Stelle kurz machen: Es ist dem Booking hoch anzurechnen, das Trio für diesen Slot verpflichtet zu haben. Mit der bewährten Mischung aus konstantem Groove, einem traumwandlerisch sicheren Balanceakt zwischen Techno und House, der in der Summe keineswegs spröden Tech-House ergab, und jahrelanger Routine hinter den Decks entstand ein Set wie aus einem Guss. Ein Set, das so viel mehr war als nur die Summe seiner Teile. Bis halb 11 hielten ItaloJohnson, die irgendwann zum Duo mutierten, die Spannung aufrecht, nach gut zwei Dritteln auch mit einem kurzen Hitfeuerwerk, das in „Music Sounds Better With You” gipfelte.

Heatworks Good2U (Foto: Nicolas Markschat)
Die Heatworks am morgen (Foto: Nicolas Markschat)

In diesen sieben Stunden im rosa-gelben Dunst, der sich aus den getönten Fensterscheiben im Zusammenspiel mit großzügig eingesetzten Nebelmaschinen und tollem Licht ergab, offenbarte sich das große Plus des Good2U am stärksten: Glaubwürdigkeit, in allen Belangen. Wer eine hingebungsvolle Crowd anzieht, diese mit hochwertiger Musik beschallt und auch abseits davon professionelle Strukturen schafft, wird die Früchte seiner Arbeit, und wenn sie auch langsam und organisch wachsen, ernten. Schon in diesem Jahr fühlte sich das an wie ein einziger großer Club, wie er derart idealtypisch selbst in Berlin kaum mehr existiert. Wie dieser im nächsten Jahr mit höherer Kapazität betrieben wird, ist schon jetzt einen spannende Frage.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

[REWIND2024]: Ist das Ritual der Clubnacht noch zeitgemäß?

Hohe Preise, leere Taschen, mediokre Musik, politische Zerwürfnisse – wo steht die Clubkultur am Ende eines ernüchternden Jahres? Die GROOVE-Redaktion lässt das Jahr 2024 Revue passieren.

[REWIND 2024]: Gibt es keine Solidarität in der Clubkultur?

Aslice ist tot. Clubs sperren zu. Und die Techno-Szene postet Herz-Emojis. Dabei bräuchte Clubkultur mehr als solidarische Selbstdarstellung.

Cardopusher: „Humor steckt in allem, was ich tue”

Luis Garbàn fusioniert lateinamerikanische Rhythmen mit futuristischen Klängen. Wie er dazu kam, erfahrt ihr in unserem Porträt.