100 Leute haben wir gefragt: Nennen Sie eine Kolumne, die sich mit Kassetten beschäftigt. Buzzer, Beep: Tapestry, das Ding heißt Tapes wie nie! Und diese Antwort ist natürlich absolut richtig. Hier hören wir Deep House und ein bisschen was zum Schmusen. Sogar zum Sampeln. Jedenfalls Musk, die vom Band kommt. Weil es so immer noch am schönsten rauscht.
Pierre LX – Loyal & True (Laral Tapes)
Deep House ist wie der Spiegelblick nach etlichen Eskapaden: Fühlt man oder nicht, was dagegen tun ist jedenfalls schwierig, weil: Irgendein viertklassiger Producer findet sich immer, der sich mit fünftklassigen Bongoloops an sechstklassigen Dubchordpresets vergreift. So schnell kann man gar nicht schauen, schon ist aus Gewissheit Gewöhnung geworden. Und dann? Spielt jemand Deep House, und man sagt okay. Das darf und muss und soll nicht sein. Pierre LX, der schon in London und Brasilien und überall war, aber wahrscheinlich in Warschau wohnt, hat für Laral Tapes jetzt ein Tape aufgenommen – eines mit ehrlich gemeintem House und schönen Melodien. Das muss man nicht gut finden, finden die, die immer was schlecht finden müssen. Man kann aber auch sagen: Danke, schön! Weil so was hört man gerne, vor allem nach etlichen Eskapaden.

Francesca Heart – Bird Bath (Leaving Records)
Letzthin bei der Thaimassage: Ich auf dem Bauch, eine Frau mit beiden Füßen auf meinem Rücken. Bis es knackst und ich weiß, jetzt ist es vorbei. Dann, aber: ein Beben, ich schwebe! So muss sich das anfühlen, herrlich, denke ich und werde ganz euphorisch. Schon greift die Frau noch einmal nach meinen Armen. Krachend hebe ich endgültig ab. Das ist die Leichtigkeit. Das ist sie, ja! Als ich sanft lande, ertönt diese Musik. Mein musikalischer Geburtskanal, ein einsamer Garten: Einer, den ein verrückter Landschaftsgärtner nach den Plänen der Teletubbies zusammengeschoben hat. Ich blicke auf, kein Vogel singt, kein Plätschern. Nichts. Nur diese unglaubliche Leere – so überschaubar, dass man sich gleich wieder den Rücken verreißt.

Corben – Transmitter (Hotham Sound Recordings)
Wie ist das Wetter in Vancouver? Gut, sagt Google. Und ein erlesener Kreis der sogenannten Ambientmusik taucht unter. Klingt nach Mandalamalen im Montessorikindergarten. Aber das ist ja kein Nachteil. Oder wie war das beim mittlerweile zu Recht vergessenen Label 1080p? Die haben diesen pazifikbrisigen Videokassettensound quasi erfunden, das heißt: an den Grenzen von Kanadas Westzipfel nachgezogen. Die Siebziger-Presets konnten sich nämlich schwer wehren gegen heiße Liebeslust. Und die Neunziger sind auch schon wieder zu lange her, um sich zu erinnern. Deshalb schnappt man sich den Leierkasten und kurbelt so lange dran rum, bis der Rausch passt. Oder Boards of Canada ihr eigenes TikTok-Trauma bekommen. Ob das mit Corben hinhaut? Eher weniger. Aber muss ja auch nicht alles.

Blaq Numbers – Feels Like Home (Blaq Numbers)
Darf man jetzt nicht lange herumkrämern, Geheimtipp ist Blaq Numbers keiner mehr. Dafür hat das Label aus Leipzig einfach zu oft gedingst. Emanzipierte Goldketten auf Designerloungesesseln, das ist so ein bisschen der Sweetspot dort, und eigentlich bekommt das niemand ansatzweise so gut hin, wobei: Hip-Hop und House können einfach sehr gut miteinander, wenn man die beiden mit echtem Soul zusammenklemmt. Das heißt, die Synthesizer dürfen schön seinfeldig rumfurzen und Piano-Chords waren 1994 auch nicht glanzpolierter. Dazu schenkelt man manchmal in den Jazz, runter in die Ganjahöhle, und landet doch zielgesichert auf allen vieren. Oder zumindest im Club. Also dort, wo die Sonne aufgeht oder unter – ist ja immer eine Frage der Perspektive. Dieser B-seitige Klacker-di-Klack-House macht dann jedenfalls am allermeisten Sinn. Und ein Geheimtipp ist doch noch dabei: Shesokey. Wahnsinn, ja.

Leaaves – Perfunctory Joy (Candlepin Records)
Es war einmal ein Mönch, der wünschte sich nichts lieber, als Musik zu machen. Sein Meister aber sagte, richtige Musik, das ist ein Lebenswerk. Also meinte der Mönch, ein ganzes Leben, so lange soll meine Musik dauern – aber wann weiß ich, dass dieses Leben gut war? Der Meister grinste gütig, nickte und hob seine Hand: Wenn deine Musik erklingt und die Menschen sie hören, dann sollen sie klatschen und jubeln, und du weißt, dass dein Weg richtig ist. Wenn die Menschen dann zu dir kommen und deine Musik hören, sich auf den Boden legen und ihre Augen schließen, dann weißt du, dass dieser Weg auch gut ist. Aber erst, wenn du selbst nicht mehr weißt, wie deine Musik entstanden ist, ja, dann erst weißt du, dass du ein ganzes Leben gearbeitet hast und deine Musik richtig ist.

Tomin – Flores para Verene / Cantos para Caramina (International Anthem)
Tomin macht gerne die Augen zu, wenn er nach einem Wort sucht oder der Antwort. Sein Kopf wippt dann hin und her. Und schon ist wieder ein Lied vorbei. Er, der gerade auf dem sehr guten Label International Anthem veröffentlicht hat, schreibt nämlich, Zitat Beipackzettel: „Skizzen”. Tomin sagt auch Vignette dazu. Oder Miniatur. Aber da muss man schon in realitätsferne Feuilletonkreisläufe vorgestoßen sein, um so was halbwegs ironiebefreit aus der Mundhöhle zu spülen. Jedenfalls, Tomin: Einer, der Flöte spielt und manchmal auch Synthesizer. Der seinen Jazz kennt und die, die ihn mal zu verantworten hatten. Ihr wisst schon, große Namen, die Musikgeschichte. Aber so eine „Hommage”, wie Tomin das nennt, geht ja immer mal wieder durch.

Your Girl Pho – Fate So Wrong (Childhood Intelligence)
Was macht eigentlich DJ Fuckoff, gibt es die noch? Ah ja, Tomorrowland. Na ja, wenn alles gut geht und nochmal eine Pandemie auftaucht, könnte man die Story sicher nochmal bringen. Also: Fuckoff war ja so ein bisschen die Kinderüberraschung von Childhood Intelligence. Zumindest als Import. Damals war ihre Technotouringtröte nämlich noch gar nicht gepustet. Da war alles noch Gangster und Gucci in Neuseeland. Und jetzt zaubert dieses Berliner Label also wieder jemand unbefleckt aus dem zweistelligen Zeitzonenunterschied. Your Girl Pho ist eigentlich zu gut für so eine Kassette, das Ziel müsste ein Feature mit dem Bratsummer sein, mindestens PartyGirl oder so. Vielleicht aber einfach erst mal Jazzinstitut.

BYDL – Untitled XVII & XVIII (V99 bleibt!) (Self-released)
Sagen wir so: Es rauscht. Und dann rauscht es noch mehr. Und weil es nach einer halben Stunde kurz nicht mehr rauscht, rauscht es noch einmal. Bis es dann nicht mehr rauscht, aber im Kopf, da rauscht es natürlich weiter – man ist ja bereits verrückt, man hat jetzt alles zugedeckt mit diesem Rausch. Und dann weiß man plötzlich nicht, ist das der Wasserfall oder das Meer oder das weiße Rauschen? Übrigens, ein sehr guter Film, der von 2001, mit Daniel Brühl. Sofern man auf den steht, klar. Jedenfalls hat hier der Wiener BYDL eine Kassette gemacht, von der Mutationen wie Merzbow schon eine grobe Blaupause geliefert haben in den letzten, sagen wir: 35 Jahren. Ist trotzdem sicher ein radikales Statement, und man weiß ja nie so genau, wohin die gehören.

Love-Songs – Passive Progressive (Phase Group)
Hamburg, immer gerne: Die folgende Dreierkonstellation kommt von dort. Love-Songs, mit so einem Bindestrich dazwischen, haben schon mal was für Bureau B gemacht. Das sagt man am besten sofort dazu, dann kullern später keine Tränen. Love-Songs machen nämlich angewandte Salonmusik. Da muss es entsprechend rascheln und so. Im Publikum stehen auch dementsprechend viele Kunststudenten und machen fleißig Notizen. Oder merken sich die geistreichen Texte, das hat schon was von Schule. Aber für die lernt man ja nicht, man lernt für die Love-Songs. Alles wunderbar, bis auf den Namen – kein Wunder, dass man jetzt zum Label nach Glasgow fährt.

Samo Benko – Plundermania (Self-released)
Ja, gut. Der Mann schreibt von Samples, man kann es auch Plunderphonics nennen – wenn man weiß, was das heißt. Und wenn man wieder mal DJ Shadow hören mag. Ansonsten lässt man es lieber bleiben und sagt, wie es ist, weil: Stehlen ist so ein schönes Wort. Stibitzen klingt dagegen nach Militär. Mopsen viel zu bundesdeutsch. Und klauen ist alles, aber vor allem gemein. Stehlen ist das Wort, das wir suchen. Im Zusammenhang mit Samples kann man darüber streiten. Wo fängt der Diebstahl an und wo kann man sich davonstehlen, ohne dass der Bestohlene merkt, was gestohlen wurde. Ich sage: Mach es wie Benko, und du kommst damit durch.
