Dieser Text ist Teil unseres Jahresrückblicks. Alle Texte findet ihr hier.
Ausgangspunkt für diesen Roundtable sind Berichte, dass ältere DJs, Veranstalter:innen oder Raver:innen im Nachtleben ausgegrenzt werden, und die Beobachtung, dass Feiern wieder generationsspezifischer wird. Die Crowd bei Partys der Postcorona-Generation von Club Heart Broken bis Teenage Dreams ist überwiegend in ihren Zwanzigern. Umgekehrt setzen sich Ältere bewusst von Sounds ab, die als TikTok-Techno gebrandmarkt werden.
Vor der Pandemie schien eine der Stärken der Clubkultur im nachhaltigen Austausch verschiedener Feier-Generationen zu liegen. Warum nun der Reiz stärker zu sein scheint, in der eigenen Generation zu feiern, versuchen GROOVE-Chefredakteur Alexis Waltz sowie GROOVE-Autor:innen Laura Aha, Yeliz Demirel und Christoph Benkeser zu erkunden.
Alexis Waltz: Ich bin Alexis Waltz, Chefredakteur der GROOVE, 49.
Yeliz Demirel: Ich bin Yeliz Demirel, Praktikantin bei der GROOVE, 25.
Laura Aha: Ich bin Laura, ehemalige Redakteurin und Autorin des Magazins, 34.
Christoph Benkeser: Und ich bin Christoph, 32, und damit wohl in der Mitte.
Alexis Waltz: Wir decken also drei Nachtlebens-Generationen ab. Ausgangspunkt für den Roundtable ist ein Gespräch mit Tanith, das eine starke Resonanz bei unseren Leser:innen ausgelöst hat. „Plötzlich lässt man einen Kollegen nicht mehr in den Club, in dem er letzte Woche noch aufgelegt hat”, sagte er da unter anderem „Warum? Weil der Türsteher meint, dass er zu alt sei. Das ist keine Einzelbeobachtung. Gerade zu Beginn des Jahres habe ich mit vielen Veranstaltern und DJs gesprochen, die nicht mehr in den Club gelassen wurden – obwohl sie auf der Gästeliste standen”, sagt er dort. Zunächst mal: Könnt ihr das bestätigen?
Yeliz Demirel: Das hat mich sehr überrascht. Ich nehme die Crowd beim Feiern meist ziemlich durchmischt wahr.
Laura Aha: Vor allem in Berlin erlebe ich die Szene altersmäßig nach wie vor als sehr durchmischt, besonders im Vergleich zu anderen Städten. Das scheint eine neue Entwicklung zu sein.
Christoph Benkeser: Also, die Geschichte geht ja noch weiter, der sogenannte Kollege war vor einem großen Berliner Club und kam da nicht rein, weil ihn die – Originalzitat – „Selekteuse” nicht erkannt haben will. Er hat dann rumgetan, bis die Türsteherin gemerkt hat: Okay, Druck, ich lasse den doch rein.
Laura Aha: Mich interessiert an der Geschichte vor allem, ob wirklich konkret ausgesprochen wurde: „Du bist zu alt, du kommst hier nicht rein.” Wobei, wenn jemand rassistisch oder sexistisch diskriminiert wird, wird das meist auch nicht direkt ausgesprochen. Das ist ja das Problem mit Diskriminierung.
Alexis Waltz: Der Einzelfall ist für unseren Roundtable nicht so entscheidend. Es geht ja eher darum, dass das wiederholt stattfindet und dass wir herausfinden wollen, warum das so ist.
Christoph Benkeser: Aber wo findet das statt? Kennt ihr da wen? Ich nicht.
Alexis Waltz: Tanith hat davon im Zitat berichtet, und uns wurden ähnliche Vorfälle zugetragen. Auf den Line-ups vieler Clubs und Festivals erscheinen oft fast ausschließlich jüngere DJs. Acts, die die Szene in den 2010ern geprägt haben, sind kaum noch präsent.
Yeliz Demirel: Ich möchte niemandem Diskriminierung absprechen, ich denke auch, dass besonders weibliche gelesene Personen ab einem gewissen Alter weniger in der Clubkultur vertreten sind und von Altersdiskriminierung betroffen sind. Das ist ein Problem. Wieso sich Feier-Generationen momentan so spalten, hat aber, glaube ich, eher andere Gründe.
Laura Aha: Was sind aus eurer Wahrnehmung Gründe dafür?
Christoph Benkeser: Na ja, wenn die Alten lauter lustige Dinge sagen, Mickey-Mouse-Techno und Kirmes-Techno und so weiter, dann hätte ich als junger Mensch auch keine Lust, mit denen zu feiern.
Yeliz Demirel: Ich denke, dass es Unverständnis in beide Richtungen gibt. Jüngere Personen werden vielleicht ein bisschen von älteren Generationen belächelt, nicht ernst genommen, weil sich der Sound sehr stark verändert hat. Es wirkt ein bisschen so: „Ihr checkt nicht, worum es eigentlich geht.” Und das mag auch stimmen, lädt aber nicht wirklich dazu ein, voneinander zu lernen.
Christoph Benkeser: Das Geile ist, ich muss es ja nicht checken, ich muss es nur akzeptieren.
Laura Aha: Wobei ja Tanith in dem Interview tatsächlich gesagt hat, dass er durchaus Parallelen vom aktuellen Hyper-Techno-Sound zu Schranz zieht und es diesen Maximalismus auch früher schon gab. Ich glaube nicht, dass es eine reine Soundfrage ist, sondern dass TikTok und Social Media da den größeren Disconnect erzeugen. „No Photos on the Dancefloor” versus „chronically online” – da clasht es natürlich.
Yeliz Demirel: Da hast du recht, durch die Pandemie haben sich die Szenen auch parallel weiterentwickelt – teilweise in andere Richtungen.
Christoph Benkeser: Wenn man seine ganze Identität in die Klubnacht steckt, und das seit 332 Jahren, und dann ändert sich mal drei Millimeter was, dann ist das natürlich sofort ein Skandal. Ein Angriff auf meine Identität.
Yeliz Demirel: Viele junge Leute zeichnen auf Social Media ein gewisses Bild von der Clubszene, von dem sich ältere Personen, die damit selbst aufgewachsen sind, vielleicht angegriffen fühlen. Ich habe in meinem Umfeld aber noch nie wahrgenommen, dass man negativ auf ältere Clubgänger:innen reagiert. Oft sind das ja auch Stammgäste, die schon ewig dabei sind und sich voll auskennen. Das finde ich eher cool.
Laura Aha: Das finde ich spannend. Aber kommst du mit ihnen im Club auch in Kontakt, oder bleibt man eher unter sich?
Yeliz Demirel: Ja, ich quatsche schon mit vielen. Ich finde aber, dass es auch darauf ankommt, wo man unterwegs ist. Im Berghain kommt man zum Beispiel gut in Kontakt mit allen möglichen Leuten. Es überrascht dort auch nicht, wenn ältere Leute unterwegs sind.
Laura Aha: Klar, im Berghain ist es ja völlig normal, dass man sich mit Mitte 30 noch jung vorkommt. Auf der Club Heart Broken stelle ich mir das schon anders vor. Und ich muss auch zugeben: Ich meide diese Partys irgendwie auch, weil ich nicht so recht weiß, ob das mein Vibe ist.
Alexis Waltz: Das ist sicher eine Stärke des Berghain. Bei Partyreihen dagegen dominiert oft eine bestimmte Alterskohorte. Das gilt für die ganz Jungen wie für die Älteren. Die 2022er-Fans eines Trym sind altersmäßig konsistenter als die 2012-Fans von Nina Kraviz.
Yeliz Demirel: Aber ich frage mich, ob das nicht einfach okay ist? Hat das mit Ageism zu tun, oder gibt es vielleicht einfach gewisse Entwicklungen in der Clubkultur – Sound, Ästhetik und alles drumherum –, die bestimmte Generationen weniger ansprechen oder interessieren?
Laura Aha: Die Frage ist: Ist es überhaupt so schlimm, wenn es Partys für unterschiedliche Klientel und Alterskohorten gibt? Das zeigt ja nur, dass Clubkultur mittlerweile so groß und ausdifferenziert ist, dass es „die Szene” eben nicht mehr gibt.
Alexis Waltz: Das ist erst mal nicht schlimm und war bis zu einem gewissen Grad bestimmt immer so. Ich frage mich aber, warum der Sound von Club Heart Broken so uninteressant für ältere Leute ist. Warum verliert ein Inhalt für dich an Relevanz, wenn du ein bestimmtes Alter überschritten hast?
Yeliz Demirel: In der Musik wird momentan viel mit Referenzen zu Artists und Hits aus den 2010er-Jahren gespielt, die ich noch aus meiner Jugend kenne. Es ist verständlich, dass Leute, die keinen direkten Bezug dazu haben, nicht vom nostalgischen Wert gehalten werden.
Laura Aha: Voll. Wie gesagt, nach meinem Eindruck geht es oft nicht um den Sound an sich, sondern um die Art des Feierns, die damit verknüpft ist. Sehr kurze Sets, sehr schnelles Mixing, sehr große Hitdichte und der stete Fokus auf den Drop. Ich war kürzlich auf einer Hardgroove- und Trance-Party im ://about blank und fand den Vibe auf dem Dancefloor sehr auf den Drop fokussiert. Da sind dann alle gehüpft, und dann stand man wieder rum und hat auf den nächsten Drop gewartet. Das ist einfach eine ganz neue Art, DJ-Sets aufzubauen und eine Nacht zu gestalten.
Alexis Waltz: Das ist eine sehr gute Beobachtung, die ich teile. Die Sets funktionieren anders, eher wie man es von EDM kennt – oder auch von DJs, die Pop spielen, wo man auf die Hookline wartet.
Laura Aha: Es ist auch eine große Kränkung für die Realkeeper, dass die Prinzipien „Mainstream” und „Underground” mittlerweile komplett aufgeweicht werden.
Yeliz Demirel: Na ja, aber ich denke mir dann: Wird überhaupt geclaimt, dass man Underground ist?
Christoph Benkeser: Jetzt mal angenommen, mir gefiele genau dieser Sound gar nicht, dann gehe ich doch nicht hin, um dann an der Tür abgewiesen zu werden und danach sagen zu müssen: „Ey, ich kam nicht rein, weil ich zu alt war.”
Alexis Waltz: Da ist zwischen normaler Selektion im Sinne von „Das ist hier nicht deine Crowd” und Altersdiskriminierung allerdings schwer zu unterscheiden.
Laura Aha: Stimmt. Vielleicht sollten wir mal auf dieses Thema zurückkommen. Wie findet ihr den Punkt von Tanith, dass ältere DJs nicht mehr gebucht werden, weil jüngeren jetzt der Vortritt gelassen wird?
Alexis Waltz: Das gab es immer. Vielleicht ist es jetzt krasser, weil viele Ältere nach Corona weniger ausgehen und die Nachfrage nach einem Levon Vincent viel schwächer ist.
Christoph Benkeser: Wie hat das der Krabbenhöft gesagt: „Zum Jungsein bist du nie zu alt.”
Alexis Waltz: Zum Schluss: Was bedeutet das alles? Sind wir bei Abiparty und Après-Ski gelandet, und ist eine Clubkultur mit Traditionen und Werten passé? Oder ist es nur eine Wendung, wie es sie schon oft gab?
Yeliz Demirel: Ich denke, dass dieses schnelle Dopamin für viele gerade ist, was sie brauchen. Das hört man dann natürlich auch im Sound oder in der Art des Feierns. Das wird sich bestimmt auch wieder ändern. Was Werte angeht, habe ich eigentlich den Eindruck, dass das unter jüngeren Raver:innen sogar relativ viel thematisiert wird.
Christoph Benkeser: Ich weiß noch immer nicht genau, worüber wir hier sprechen. Aber vielleicht bin ich einfach zu jung oder zu alt. Zur Beruhigung scrolle ich jetzt einfach durch das Insta-Profil vom Krabbenhöft.
Laura Aha: Es ist schon eine Zäsur, die wir gerade erleben. Die Aufspaltung in verschiedene Sub-Bubbles wird weitergehen, und es wird dann eben verschiedene Partys für verschiedene Bedürfnisse und Kohorten geben. Die Zeit heute wird ja auch oft mit dem Ende der Neunziger verglichen, als die Szene im absoluten Kommerz angekommen war, implodierte und dann wieder in den Underground gegangen ist. Vielleicht erleben wir so etwas gerade wieder. Wenn sich jüngere Menschen die Clubs ohnehin nicht mehr leisten können, müssen sie ja ihre eigenen Sachen starten – und das passiert ja auch gerade. Ich glaube nicht, dass die Werte der Szene verlorengehen, nur weil mal ein paar Jahre auf Albernheit und Abriss gesetzt wird.