burger
burger
burger

Tanith: „Früher war man froh, dass alle Generationen auf einem Floor funktionieren”

- Advertisement -
- Advertisement -

Thomas Andrezak ist seit 35 Jahren DJ. Als Tanith hat er die Berliner Mauer niedergeböllert. War Resident bei einer der ersten großen Rave-Veranstaltungen im Osten. Und huschte von Mayday über Nature One im Militärlook über die Bühnen.

Heute ist Tanith in seinen Sechzigern und legt noch immer auf. Im Tresor, für Tekknozid, Hauptsache Techno. Drei-, viermal im Monat tauscht er das Haus am See gegen die Clubnacht. „Weil es immer noch so viel Spaß macht wie früher”, so Andrezak.

Zuletzt hat Tanith auch über Alterdiskriminierung im Techno geschrieben. Der Tenor: „Ich erwarte keinen Respekt für das, was wir gemacht haben, aber ich möchte, dass es gewürdigt wird.”

„Müsste alles nicht so sein”, sagt Andrezak im Gespräch mit GROOVE. „Auch wenn ich manche Auswüchse nicht kapiere – die junge Generation soll ihr Ding machen!” Das klingt nicht nach Kampfansage, sondern Verständnis. Eine Tugend, die Tanith bis heute hochhält.

GROOVE: Du bist gerade 62 geworden.

Tanith: Auch das noch! Inzwischen dreh’ ich die Zahlen um, jetzt bin ich 26. Damit bin ich genau im Hauptclubalter. Zwischen 20 und 30 lebt man doch seine wilden Jahre. Da kann man es sich noch leisten.

Du meinst: körperlich leisten?

Und finanziell! Ab 30 verlieren die meisten aber die Lust. Wahrscheinlich lässt die Nacht-Stamina dann nach.

Wie ist das bei dir?

Zwischen 30 und 40 fing es bei mir erst an! Ich war jedes Wochenende von Freitag bis Montag unterwegs. Das würde ich heute nicht mehr packen. Selbst als DJ trete ich kürzer – spiele drei, vier Gigs im Monat, jobbe bequem nebenher. Damit bin ich nicht vom Auflegen abhängig. Aber die Nacht-Stamina leidet auch, wenn man zwei Kinder und einen Hund hat.

Der Alltag hat dich eingeholt?

Früher war die ganze Welt im Club. Heute ist er ein Teil der Welt. Das Wochenende verbringe ich aber ganz gerne mit meiner Familie. Wir haben ein Haus am See. Da lässt es sich manchmal besser aushalten als im Club.

Manchmal?

Ich bin noch genauso gerne unterwegs wie früher. Als DJ habe ich mir in all den Jahren aber eine Narrenfreiheit erarbeitet. Ich kann heute machen, was ich will.

War das früher anders?

Na ja, eine Zeit lang hieß es: Tanith ist der Härteste! Dann hieß es: Tanith macht nur noch Breakbeats! Mittlerweile habe ich diese Zuschreibungen aufgeweicht – auch weil ich immer verständiges Publikum vorfinde. Gerade bei den Jungen!

„Ich habe mit vielen gesprochen, die nicht mehr in den Club gelassen wurden – obwohl sie auf der Gästeliste standen.”

Verstehst du die junge Generation im Club?

Hundertprozentig! Ich finde es super, was sie musikalisch machen. Dabei wurde es schon vor Corona immer schneller. Währenddessen sowieso. Und nach zwei Jahren Käfighaltung war klar, dass niemand zu Hause abgroovt. Manche Auswüchse sind inzwischen aber ein bisschen bedenklich.

Zum Beispiel die Diskriminierung gegenüber älteren DJs?

Ja, das gab es früher nicht. Man war froh, dass alle Generationen auf einem Floor funktionieren. Nach Corona hat sich dahingehend was verändert. Plötzlich lässt man einen Kollegen nicht mehr in den Club, in dem er letzte Woche aufgelegt hat. Warum? Weil der Türsteher meint, dass er zu alt sei. Das ist keine Einzelbeobachtung. Gerade zu Beginn des Jahres habe ich mit vielen Veranstaltern und DJs gesprochen, die nicht mehr in den Club gelassen wurden – obwohl sie auf der Gästeliste standen.

Hast du dafür Verständnis?

Ne, gar nicht! Ich kenne das Spiel seit 30 Jahren. Man war früher froh, dass es die Älteren auch verstanden haben. Jetzt lese ich Beiträge auf Threads, in dem jüngere Raver eine richtiggehende Abneigung gegenüber älteren formulieren. Die Sache ist: Teilweise kann ich sie sogar verstehen.

Warum?

Weil sich manche ältere DJs wiederum schlecht gegenüber jüngeren Generationen benehmen. Sie verdammen alles mit Bausch und Bogen, weil sie damals authentischer und echter gewesen sein wollen. Das ist Blödsinn! Die Jungen machen ihr Business, und das ist okay – auch wenn ich es albern finde, wenn alle nur noch in Lederharnischen rumrennen.

Wieso ist das albern?

Na ja, diese Uniformität hat nichts mit Techno zu tun, oder? Sobald man eine Formel für ein Genre findet, leidet das Interessante darunter. Außerdem kippt es bei harten Sounds ab einem gewissen Punkt ins Infantile. Und das nervt.

„Von riesigen Raves höre ich immer wieder, dass das Publikum sagt: Wir wollen nicht mehr mit den Alten!”

Kannst du das sagen, weil du über 30 Jahre Techno mitgemacht hast? Andere hängen sich schließlich zum ersten Mal eine Bauhauskette um.

Das stimmt, und das ist gut, weil: Techno braucht den jungen Arschtritt, sonst wird er bequem. Mich hat es zum Beispiel jahrelang genervt, dass die vermeintliche Tempo-Obergrenze bei 128 BPM lag. Auf einmal spielen ehemalige Mainstage-Artists auf kleineren Bühnen, weil sie sich nicht verändern wollen. Und neue Namen spielen als Headliner, weil sie begriffen haben: Es muss sich was ändern.

Die Neunziger-Partyreihe Tekknozid ist dadurch wieder in der Gegenwart gelandet: Bei der deutlich jüngeren Eventserie Slave To The Rave. Funktioniert Ageism also auch in die andere Richtung?

Man sucht sich eher die Gemeinsamkeiten. Slave To The Rave machen ja nicht typischen Hardtek, sondern etwas, von dem ich behaupte: Das hat was Innovatives! Mit Tekknozid wollen wir gleichzeitig nicht nur die alten Säcke anziehen. Es soll generationenübergreifend funktionieren. Mit Slave To The Rave ergänzt sich das also gut.

Also kann man auch von seinem Alter profitieren?

Ich hoffe doch! Aber: Von riesigen Raves höre ich immer wieder, dass das Publikum sagt: Wir wollen nicht mehr mit den Alten!

Wie ist das bei dir: Strecken sich dir bei Gigs Hunderte Handyrücken entgegen?

Handys sind doch fast überall verboten. Ich sehe jedenfalls keine mehr. Das hat sich auf der Tanzfläche erledigt wie damals das Rauchen. Ist auch gut. Der Club soll ja ein Safe Space sein. Wenn du völlig druff in einem Reel auftauchst, hat das nichts damit zu tun.

Tanith versteht junge Leute (Foto: Presse)

Wie passt das damit zusammen, dass alle überall zu jeder Zeit von sogenannten Raves posten?

Gut, bei einer gewissen Klientel geht es nur darum zu zeigen, dass man hier gewesen war. Aus der Sache können sich DJs, Veranstaltende und Clubs aber nicht ausnehmen. Ich finde es jedenfalls komisch, wenn man sich für ein Handyverbot ausspricht, den kommenden Gig aber mit einer Aufnahme aus der Booth bewirbt. Deshalb hoffe ich, dass sich das irgendwann erledigt hat. 

Wie schätzt du die Chancen ein?

Auf Dauer ist es doch zu uninteressant, wenn man wieder einen Beitrag von einem DJ sieht, der abgeht wie Hulle, während niemand tanzt. Das wird auch auf TikTok bald nicht mehr ziehen, weil es nur noch peinlich ist.

Das hört sich nach altersmilder Gelassenheit an.

Was heißt Gelassenheit? Ich war schon immer gerne der Beobachter von außen. So sieht man erst, was man da eigentlich tut. Die aktuelle Phase von elektronischer Musik erinnert mich an die Hochzeit von Schranz. Damals liefen alle mit Stachelhaaren und Glitzerhosen rum. Heute mögen sich andere Trends etablieren, aber: Die Richtung ist dieselbe.

Wohin richten wir uns?

Es etabliert sich eine neue Ernsthaftigkeit. Ich denke da an Labels wie Mutual Rytm. Gleichzeitig kommt im UK oldschooliger Drum’n’Bass wieder. Deshalb meine ich: Irgendein neuer Trend wird alles begradigen.

„In meiner Jugend hat Punk ja auch auf alles geschissen, was vorher war.”

Und wie viele machst du noch mit?

Das frage ich mich seit 30 Jahren. Dabei blicke ich immer in Richtung Reggae oder Jazz. Da ist es völlig normal, dass die Alten mit Jungen jammen. Bei Techno wäre das auch möglich: Die erste Generation könnte viel Expertise weitergeben. Das hätte alles seinen Wert. Nicht so, dass die jüngere Generation ausschließlich auf uns hören muss – das wäre Quatsch! Allerdings könnte man voneinander lernen. Ich will nämlich nicht nur auf Oldies-Partys spielen. Genauso hoffe ich, dass junge Leute nicht ausschließen, was vor ihnen passiert ist.

Gerade, weil sich alle auf die…

… Neunziger beziehen, ja! Dabei waren die Meisten damals gar nicht dabei. Sie glauben nur, dass alles heile Welt war und 2Unlimited mit Gabber auf einem Floor laufen konnte. Ich muss ihnen dann erklären, dass das nicht so war. Ich habe aber Verständnis. In meiner Jugend hat Punk ja auch auf alles geschissen, was vorher war.

Ja?

Na ja, wir wussten, dass es The Stooges gab oder die New York Dolls. Diese Vorläufer haben wir akzeptiert. So wünsche ich mir das heute auch. Wenn ich mir aber anhöre, was einem gerade so als neue Musik präsentiert wird, frage ich mich schon…

… ob es noch ein Bravohits-Sample braucht?

Während Corona war die Auswahl wenigstens kreativ. Manche nahmen Fäden von damals auf und haben gediggt. Mittlerweile kommt in jedem zweiten Track ein Anastacia-Sample vor. Dafür gibt es andere Trends, die mir gefallen.

Damit kehren wir zurück zum Anfang: Du bist gerade 62 geworden – wie bleibt man so lange offen für Techno?

Man sucht nach neuen Wegen und solchen, die in die Zeit passen. Das war schon immer so. Techno bedeutet eben auch Offenheit.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Cardopusher: „Humor steckt in allem, was ich tue”

Luis Garbàn fusioniert lateinamerikanische Rhythmen mit futuristischen Klängen. Wie er dazu kam, erfahrt ihr in unserem Porträt.

Polygonia: Durch die Akustik des Ursprünglichen tanzen

Polygonia verwebt Clubkultur mit der Natur und verleiht Techno eine organische Tiefe. Wie und warum sie das tut, erklärt sie im Porträt.

Achim Szepanski und seine Wegbegleiter:innen: Die Ekstase der Revolution

Nach dem Tod von Achim Szepanski erinnern sich Freunde an viel Chaos, komplette Blauäugigkeit und absoluten DIY-Punk.