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Die Platten der Woche mit 1-800 Girls, Christopher Ledger, Duckett, The Trip und Viikatory

1-800 Girls – That’s Just How I Feel (All My Thoughts)

Man kann ja alles kopieren und in den meisten Fällen kommt man damit durch, also: Die Leute mögen es, wenn sie was mögen und es dann mehr davon gibt. Deshalb unterscheiden sich Joghurtsorten und, sagen wir, elektronische Musik ziemlich genau gar nicht. Bis jemand kommt und es ein bisschen anders, nein: ein bisschen besser macht.

Wie schwer kann das sein, sagt 1-800 Girls. Und nimmt das Fred-Again-Set und die letzte Overmono-Platte und ein bisschen Ohrenschmalz. Um das alles zusammenzupanschen. Und umzurühren. Und dann mal zu kosten. Ah, ja, doch! Hört sich so an wie diese Müller-Joghurt-Reinkipp-Dinger schmecken, ganz geil nämlich. Zwar nicht die Mega-News, aber immer wieder schön – wenn quengelige Pitchstimmen rumquengeln über Halbvoll-Halbleer-Beats, und dann der Bass reinkriecht. Kann man nur sagen: Danke Markt, danke Kapitalismus für so viel Auswahl im tanzmusikalischen Joghurtregal. Christoph Benkeser

Christopher Ledger – Access Denied (Another Place/X-Kalay)

Es geht schnurstracks auf den Sommer zu, und wie jedes Jahr stellt sich die Frage, welche Tracks die Open Airs dominieren werden. Zumindest in den letzten beiden Saisons diktierte zackiger Kirmes-Trance auf Autoscooter-Bühnen die Beinchen vor allem junger Raver:innen. Schnell, gleichmäßig, berechenbar und verlässlich.

Das Label X-Kalay geht da einen durchaus anderen Weg, denkt Spaß aus dem Moment heraus und musikalische Langlebigkeit zusammen. Noch eine Spur weiter von den einfachen Freuden entfernt sich Christopher Ledger auf dem relativ frischen Sublabel Another Place, wo er mit Access Denied gleich sechs starke Tracks zwischen House und Breakbeats platziert.

Besonders imponiert ausgerechnet der digitale Chillout-Bonustrack „A Sweet Memory Of Nothingness”, der zartes Glockenspiel mit hektischen IDM-Breaks kontrastiert und damit Unvergänglichkeit schafft. Auch auf dem Floor gibt’s aber was zu holen: „File Inspectors” liefert tollen, gleichmäßigen Dub-House, zu dem man sich wunderbar von oben sehen kann. „From Above” trägt diese Tätigkeit schon im Namen vor sich her und überführt Barkers empfindsames Melodiegespür in ein blechernes Breakbeat-Korsett – wieder dichotom, wieder goldrichtig so. Maximilian Fritz

Duckett – Nothing Happens (Solar Phenomena Music)

Zur Jahrtausendwende produzierte Duckett wüsten Techno der Neil-Landstrumm-Schule, in den Zweitausendern klang er minimalistisch und psychedelisch entrückt. Sein Comeback in den Zehnerjahren leitete er mit meditativen Loop-Studien nach Workshop-Manier ein. Auf Veröffentlichungen auf bekannten Labels wie Berceuse Heroique und Wisdom Teeth wandte er sich mit kleinteiligen, nervösen Breakbeats den Hörer:innen zu.

Diese auf Solar Phenomena wirkt wie ein Rückblick auf sein Gesamtwerk: In „Risking My Life For The Local Cats” zerrt er einen quengelnden Synth-Sound über einen schleppenden Breakbeat, in „Nothing Happens” garniert er eine Beat-Destruktion mit einer elegischen Frauenstimme. Das gelungenste Stück ist „Egg Blanket”, das einen autistischen Stop-and-Go-Groove mit einem verträumten, anmutigen Vocal verbindet. Alexis Waltz

The Trip – Fantasy Traxx (Tessellate)

Wer Festival-Beach-Vibes in vier Tracks erleben möchte, ist bei dieser EP von The Trip richtig. Das Duo ist für das Label Tessellate und die gleichnamige Londoner Party verantwortlich und verschmilzt House, Italo House und Trance zu einem stimmungsvollen Erlebnis.

Herausragend ist „My Paradise”. Der Track beginnt direkt mit eingängigen Vocals, die sich über die gesamte Dauer erstrecken und von einer bouncy Bassline begleitet werden. Die Synthesizer vermitteln tatsächlich das Gefühl, in so etwas wie einem Paradies zu sein. Kim Stuckmann

Viikatory – Voyager​-​1 (Mechatronica)

Der Name ist Programm: So wie die Voyager 1 das äußere Planetensystem und den Weltraum erforscht, führt Viikatory mit der gleichnamigen Platte auf eine interstellare Reise. Verloren und verdammt dazu, für immer in der Kälte des Alls zu treiben, zeigen die Syntheziserklänge und distanziert-kühlen Pads wie in „Cold Mountains”, dass diese Reise kein unbezahlbarer Aktivurlaub ist.

Angetrieben von satten Breakbeats und Sechzehntel-Gezischel führen die Bleeps und unheimlichen Acid-Sounds in eine Zukunft ohne Heilsversprechen. Neben schnellen, hektischen Tracks wie „Cartesian Space” und LUZ1Es Remix von „Universe” mit raketenbetriebener Acid-Line finden sich auch langsamere Titel wieder wie „Equinox” und dessen grooviger Remix von Poly Chain. Julian Fischer

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