hoyah – Set + Setting (BRUK)
Etwas über das Label BRUK oder den Künstler Shmuel Hatchwell in Erfahrung zu bringen, gestaltet sich als eher schwierig. Anscheinend aber lebt hoyah, so sein Künstlername, in Berlin und hat sich für Set + Setting folgendes Konzept ausgedacht: Keine Beats verwenden, Saxofone als Stimme begreifen und dazu möglichst lange vom Computer wegbleiben. Klingt ein bisschen wie die Werbung für ein norddeutsches Bier. Entsprechend hirnbetont fällt das Album aus. Zwar heißt es in den Informationen für die Medien, er habe eine MPC benutzt, um die Saxofon-Samples zusammenzuschustern, und damit ein ja doch potenziell auf Hüfte und Hintern zielendes Gerät zur Hilfe genommen.
Aber erinnern wir uns an das Beat-Verbot: Was wäre dann die Alternative? Da fehlen öfter Fluss und Form. Entweder sind Beats doch da und werden in den Hintergrund geschoben („11752”), oder Spoken-Word-Performances überlagern die Sax-Collagen („The Foreword”, „The Warp”). Oder der Beat fehlt einfach und wird ersetzt durch mittlerweile etwas angestaubte Techniken von Avantgarde-Electronica-Künstler:innen wie Pan Sonic, Oval, Mira Calix; vor allem Drones und Verzerrer-Stakkato. Diese Beliebigkeit verwässert das Album, was schade ist. Zeigt Hatchwell doch in einigen Momenten wie zum Beispiel auf „Treat Me Like A Dance” seine Originalität. Und auch musikalisch glänzt er mitunter, wenn er etwa in „Ergot” vertikale Streifen nebeneinander klebt und so eine Form findet für das noch nicht Gehörte. Christoph Braun
Mike Parker – Dispatches (Field) [Reissue]
Wer kennt Luftblasenlöcher in Graubrotscheiben auf Schulhofpausen? Eigentlich alle. Sie waren ja immer da, man konnte sie schätzen, aber wenn man, wie auch alle, irgendwann mal ein Hormonschleuderheranwachsender war, hat man sie nicht geschätzt, weil: Es gab da ja die coolen Michschnittenkids, und ärmer waren eigentlich nur die mit den Quinoasalat-Eltern dran. Heute denke ich zurück und höre das Butterbrotpapier knistern, hach, so eine schöne Zeit, was würde ich nur geben dafür, einmal noch. Aber schon schießt mir ein, wie viel Zeit vergangen ist. Und da schließen wir den gedanklichen Brückenpfeiler zu Mike Parker. Der war ja auch nie wirklich cool mit seinem zähflüssigen Hypnosetechno, aber halt so ein Slow Burner, wie manche das heute ganz abgeklärt nennen. Parker, das war der Einsteigerkurs auf dem Drumcomputer und der angewandte Scheiterhaufen im sogenannten Sounddesign. Da kam die Magie her, da passierte die tiefenreinigende Teufelskunst. Wer das mal um drei Uhr morgens in idealtypischem Set und Setterie erlebt hat, weiß, was ich meine. Der Rest besorgt sich hurtig das Debüt von Parker zum Selbststudium – Dispatches hieß das Ding und kam schon vor langer Zeit raus, aber 2001 waren Graubrotluftblasen wirklich eine schöne Sache. Christoph Benkeser
Nia Archives – Silence Is Loud (HIJINXX/ Island)
In den letzten Jahren haben viele Produzent:innen Jungle als Vorlage wieder ausgegraben, größtenteils um auf einer Welle von Nostalgie für die besten Jahre des Ravens mitzuschwimmen. Doch wirklich Neues hat sich an der Front nicht getan, mit Ausnahme von Tim Reaper klingen die meisten Tracks doch nur wie Remixe längst ausgelutschter Tropen. Die junge Britin Nia Archives dagegen gibt Jungle endlich einen neuen Anstrich und bezeichnet sich als „Emotional Junglist” — traut sich, poppig über die eigenen Beats zu singen. Ihre Tracks unterscheiden sich dabei vom Vibe der oftmals mit Vocals gespickten Grime- und Drum’n’Bass-Hybriden ihrer vielen männlichen Kollegen, denen eher eine Rap-Ästhetik (sowohl musikalisch als auch inhaltlich) innewohnt, während Nia über die Laufzeit von Silence Is Loud ihre eigene Geschichte und das vielleicht sinnlose Festhalten an einer vergangenen Beziehung darlegt.
Als Produzentin schweißtreibender Breakbeats muss sie dabei vor der Konkurrenz nicht zurückstecken, wie sie bereits auf den vielen Singles und EPs der letzten zwei Jahre bewiesen hat. Doch mittlerweile scheint Nia ihre Nische entdeckt zu haben und füllt eine Lücke zwischen Mike Skinner (The Streets) und Amy Winehouse, schreibt gleichzeitig die britische Clubmusik-Lineage fort und führt dabei doch durch interne mentale Konflikte, was musikalisch erstaunlich gut funktioniert. Obwohl Jungle nunmal schnell und aufregend klingt, gelingt es Nia Archives mit ihrer präsenten, weichen Stimme und ausgezeichneter Abmischung, eine wohlige Portion Neo-Soul in das alte Rave-Genre zu injizieren und damit ihren ganz eigenen Stil zu kreieren. Leopold Hutter
Naum Gabo – F. Lux (DFA)
Bombe! F .Lux von Naum Gabo (nach dem gleichnamigen russischen Avantgardekünstler benannt) überrascht positiv. Jonnie Wiles aus Glasgow (der eine Teil des DJ-Duos Optimo) und Studio-Mastermind James Savage lassen einen ausgetüftelten Ambient-Techno-Drone-Bastard auf die Zuhörerschaft los, der es in sich hat.
Noch liegt alles im Dunkel. F. Lux lädt zur Journey, die mit „Aroa”, einem maschinengenerierten Drone-Ambientstück, beginnt und das Mutterschiff langsam und nachhaltig nach vorne schiebt. Naum-Gabo-Commander und -Assistent programmieren im Kontrollraum die Sounds – Schwingungen, Rhythmik, Cluster. Blendende Lichtblitze ergießen sich in das Dunkel des Weltraums und so öffnet „Tols” die Gehörgänge für alles, was da kommen mag. „Schinokapsala” ist nicht nur ein kleines Dorf auf Kreta, auf diesem Album donnert der gleichnamige Track los, als ob es kein Morgen gibt. Massiver Tribal-Tech, der die Richtung nicht nur für das Mothership, sondern auch auf dem Floor vorgibt. Für die Primetime, für ein experimentelles Set. Warp 1 ist erreicht, und das Schiff gleitet nun mit „Hebust Comet” gleich einem Kometen durch den luftleeren Raum. Und: Es wird kälter. Düster-drony öffnet sich mit „Haerstag” ein neuer Klangraum. Doch: Dem Dunkel folgt immer Licht – „This 1” ist geradeaus, rhythmisch, treibend, um dann Signale aus der nächsten Dimension zu empfangen. Denn: Wir sind nicht allein.
„Nothing in My Hand” treibt weiter auf den Floor und jetzt sogar mit Warp 2 – sprich: Four to the Floor – an. Auch wenn der Rausschmeißer „Parasymptofelia“ so einige Register zieht, ist diese spannende Journey von Naum Gabo definitiv noch nicht vorbei. Warp 3 wartet darauf, programmiert zu werden. Die Messlatte liegt hoch. Liron Klangwart
Wolfgang Tillmans – Build From Here (Fragile)
Sensibel, einfühlsam und divers wie vielfältig sind die Songs auf Wolfgang Tillmans’ neuem Album Build From Here. Auftakt: „Where Does The Tune Hide” lädt dazu ein, sich vertrauensvoll fallen zu lassen. Melancholia lässt grüßen, Tillmans Stimme verführt zum Weiterhören. Verbindendes Element ist übrigens ebendiese, mit der er sich durch verschiedene Genres singt. Auch durch Synth-Banger wie „Regratitude” – Tillmans zeigt, dass er Spaß am Ausprobieren und Erkunden seiner Stimm(ung)en hat.
Der Schlüssel zu Build From Here kann mit einem humorvollen Augenzwinkern „We Are Not Going Back” sein, das purer Synth-Pop ist und aus den Achtzigern oder Neunzigern stammen könnte. Tillmans hatte 2002 ein Musikvideo für die Pet Shop Boys und ihre Single „Home & Dry” gedreht. Seit Jahren erleben die Achtziger ein nachhaltiges Revival, mit Synth, Wave, NDW und Italo-Disco. Neben eingängigen Tunes auf Build From Here sind auch Überraschungen wie „ADA403” zu finden, das mit dem Changieren der Stimme spielt. Ganz anders um die Ecke kommt der Rock-Wave-Schieber „Grüne Linien feat. FRAGILE”.
Insgesamt 14 Stücke zwischen Synth, Wave, Pop und Melancholie laden auf Build From Here zum Entdecken der Klangwelt des Wolfgang Tillmans. Einst hatte der deutsche Jazz-Papst Joachim-Ernst Berendt eines seiner Bücher Nada Brahma – Die Welt ist Klang genannt. Liron Klangwart