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Motherboard: Januar 2024

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Etwas klassischere Elektronik vor und nach dem Club hat immer Saison, so kommen die spätherbstlichen Ausgaben des Kölner Producers Nikita von Tiraspol keineswegs zu spät. Sein zweites Langspielalbum Iki Pasimatymo! (Noorden, 3. November 2023) kommt wiederum aus dem Club, vom Festival, hat aber meist anderes im Sinn: Ambient, Stimmsamples, Breakbeats, softe Bass Music und gerade Beats verbinden sich zu smoother, moderner Electronica mit nachdenklich-introspektiven Themen, wie etwa dem für Rezensent:innen schmeichlerischen, aber wohl etwas zu optimistischen Tracktitel „A Critic’s Opinion Makes People Change Their Minds”, was wir hier im Motherboard natürlich nur zu gerne glauben wollen. Am selben Tag erschienen ist die Split-LP Ready When You Are / Änderungsvorschläge (Kontrapunkt, 3. November 2023), ebenfalls von Nikita von Tiraspol, produziert mit der litauischen Produzentin Jūra Elena Šedytė. Diese bringt auf ihrer Seite des Albums ihre Stimme in den Mix, digital vervielfältigt und prozessiert, experimentell und doch andockfähig für Sofarocker:innen und Clubtänzer:innen. Auch dies frische Electronica mit und ohne gerade Beats für jede Jahreszeit, jeden Tag, jede Stunde.

Marat Shainskiy alias Frunk29 aus Moskau hat offenbar einen ganz speziellen Kanal in seinen Controllern, um die Sonne in die Maschinen zu bringen. Wie kann es sonst sein, das sich Sequentia (Not Not Fun, 5. Dezember 2023) beinahe schon absurd strandwarm und Yacht-rockig anhört, auf eine so endlos freundliche und angenehme Weise entspannt. Was sich hier bestätigt, ist das alte Klischee, dass die wärmste Musik in den kältesten Zeiten entsteht. Und wir sprechen nicht über das Wetter.

Wo ein Synthesizer ist, da ist auch ein Arpeggio. Ziemlich oft jedenfalls. Der in Japan lebende US-Amerikaner Joshua Stefane alias Endurance ist jedenfalls ein Freund und Könner der avancierten Hüllkurvenmodulation. Nicht immer und nicht grundsätzlich, aber auf Further (Muzan Editions, 20. Oktober 2023) drehen sich die Akkorde definitiv gerne einmal im Kreis, um sich selbst – in etwas, das genau zwischen Electronica (klassisch) und Ambient (klassisch) spielt.

Der Berliner Christian Kleine macht neben seinem Job als Musiksoftware-Erfinder noch immer Musik, spezifisch nämlich ausgeruhte Oldschool-Electronica, die sich auf Environmental Cure (Christian Kleine, 8. Dezember 2023) gegenüber den Begebenheiten der vergangenen 20 Jahre formal und inhaltlich kaum verändert hat. Das ist kein Mangel oder Nachteil und definitiv kein Kritikpunkt. Denn Kleines Sounds sind auch heute wie immer unfehlbar und unmittelbar auf den Punkt, den sie dann nie mehr verlassen: detailverliebt produziert, fehlerlos konstruiert, fugenlos ausgekleidet mit instrumentaler Freundlichkeit und Wärme.

Eine andere wohl gefühlte und gut gefüllte alte Schule ist die des Glitch. Die Positive* (Mille Plateaux, 1. Dezember 2023) Electronica des Produzenten Neuro… No Neuro aus Tucson, Arizona macht aus der altbekannten Sprache von Fehlern, Stottern und absichtlich unsauber geschnittenen Kanten etwas unmittelbar Warmes und Elegantes. Konkrete Stoppelbeats in klein und pastellig, vielleicht ein wenig wie ein verlorenes Nebenprojekt ganz am Anfang von IDM, als noch nicht klar war, wohin sich das Genre bewegt (und was es überhaupt bewegt: Füße oder Hirnstamm oder eben beides), bevor Offenheit von Superlativen des Abstrakten, der Krassheit und Untanzbarkeit ersetzt wurde.

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