Moritz von Oswald – Silencio (Tresor)
Mit Silencio legt Moritz von Oswald nicht nur sein erstes Soloalbum überhaupt vor, sondern auch die eindrucksvollste Musik nach dem Ende seiner Zusammenarbeit mit Mark Ernestus. Gemeinsam mit ihm hatte sich von Oswald mit repetitiven elektronischen Klängen in diversen Ausprägungen befasst. Die neu veröffentlichten Tracks haben diese technoide Quelle der Energieversorgung größtenteils hinter sich gelassen.
Stattdessen hat sich von Oswalds klangliches Repertoire in eine andere Richtung geweitet. Nach Kollaborationen mit Carl Craig, Juan Atkins, Nils Petter Molvær, Vladislav Delay, Max Loderbauer oder Laurel Halo hat von Oswald nun in Zusammenarbeit mit dem finnischen Pianisten und Komponisten Jarkko Riihimäki auf klassischen analogen Synthesizern (u. a. EMS VCS3 & AKS, Prophet V, Oberheim 4-Voice, Moog Model 15) kreierte Tracks in Versionen für einen 16-stimmigen Chor überführt.
Das Vocalconsort Berlin sang diese in der Ölbergkirche in Kreuzberg ein. Abschließend übertrug von Oswald die Aufnahmen in das nun hörbare Gesamtbild. Dem oberflächlichen Aufbau nach ist Silencio daher eine Kombination aus elektronischen und choralen Klängen. Was den Pressetext dazu veranlasst, die Musik als „Dialog” zwischen beiden Klangwelten zu bezeichnen. Solche diskursiven Grübeleien stellen sich beim Hören jedoch gar nicht erst ein. Zu zusammengehörig, zu sehr aus einem Guss wirkt Silencio.
Die neu veröffentlichten Tracks haben die technoide Quelle der Energieversorgung größteneils hinter sich gelassen.
Silencio – Stille. Der Titel berührt durchaus den Charakter der Musik. Zu hören ist eine Stille, die nicht stumm ist. Eine Stille, die sich wie feiner, unsichtbarer, elektrisierender Mehltau unbemerkt über die Welt legt. Eine Stille von teilweise monumentaler Kraft. Dabei hat die Musik, die in langen, dissonanten Verwischungen ganz ruhig und unbemerkt vorwärts schleicht, den Loop als Zentrierungsmerkmal nicht abgeschafft. Im Vergleich zu früheren Produktionen sind die Schleifen nun aber gedehnter, ineinanderfließender, verheißungsvoller – und eben zu einem großen Teil ohne Beatgerüst. Gelingt es, hier einzutauchen, eröffnet sich eine beeindruckend weihevoll-mystische Klangmeditation.
Der Titeltrack und Opener stellt eine Art Übergang vom Alltäglichen hin zum Stillen dar. Der leicht metallische, ätherisch-tastende Synth, der nicht weiß, ob er ausbrechen oder sich zurückziehen soll, die zerfransten Rauchschwaden, alles scheint leicht aneinander vorbeizureden, bis sich ab Minute fünf ein weicher Dub-Bass über die Gefilde legt, der Erinnerungen an Rhythm & Sound-Zeiten wachruft. Zum Ende hin weisen großflächige Synthakkorde voraus auf einen leuchtenden Horizont, der sich nicht noch einmal so klar zeigen wird. Nach der Vorprüfung geht es mit „Luminoso” in die subtilen Vollen.
Mithilfe unmerklich verwischender Mantras scheint von Oswald hier und in den folgenden Tracks die dunklen Geheimnisse des Stillen entblättern zu wollen.
Zuerst wird das Ohr durch düstere Flächen freigelegt, dann treten chorale Elemente hinzu. Mithilfe unmerklich verwischender Mantras scheint von Oswald hier und in den folgenden Tracks die dunklen Geheimnisse des Stillen entblättern zu wollen. Die Stimmen wiederholen in leichten Versetzungen und wechselnden Tonhöhen unablässig Wörter und Wortkombinationen und winden sich dabei ganz langsam in uneinig dumpf-schalen Verflechtungen. Dahinter und durch sie hindurch tut sich ein vielsagender Abgrund auf. In „Librarsi” zuckt aus ihm auch mal eine Entladung hervor. „Infinito” ist einer der stärksten Momente: Die unabdinglich dünn flehenden Stimmen befinden sich hier in maximaler Spannung. Vorbereitung auf den Entbergungsversuch „Colpo”, bei dem sich zum ersten Mal sakrale Größe erahnen lässt. „Infinito (Version)” ist das perfekte Interlude, bevor es zum Ende des Albums dann so richtig monumental wird.
In „Volta” verändert sich das stille Lauschen in eine von Ruhe getragene Ekstase. Die Stimmen kehren nun ins Rituelle, Beschwörende und scheinen das Abgründige zugleich zu weihen und zum Hervorbrechen zwingen zu wollen. „Opaco” ist kompositorisch schließlich so diffizil, dass man den Track ohne Weiteres in einer modernen Oper verorten könnte. Damit reicht von Oswald musikalisch an Klassikgrößen wie György Ligeti heran, den er übrigens auch als Inspirationsquelle nennt. „Opaco (Version)” entlässt zum Abschluss mit einem tiefen Bass zurück in den Alltag. Und die Stille nach dem letzten Track wirkt wie eine unendliche Fortsetzung des in seinen stärksten Momenten glaubhaft sakralen Albums.