burger
burger

Mixe des Monats: September 2023

Astrid Engberg – Sunday Mix (Crack Magazine)

Alte Raver:innenweisheit: Sonntags wird gecrackt. Und mit kaum einer Mixserie lässt es sich besser rumliegen und in Feier-evoziertem Selbstmitleid baden als mit dem Sunday Mix des Crack Magazines. Für die letzte Ausgabe aus dem September hat die Dänin Astrid Engberg ambiente Tracks aneinandergehängt, die mit zurückhaltendem Drumming, tagträumerischen Bläsern und Jazz-Akzenten die eigenen vier Wände plötzlich wieder ganz erträglich machen – vor die Tür gegangen wird ja eh nicht, und wenn das Bettzeug noch so sehr am schweißgetränkten Körper klebt.

Engberg selbst, die eben ihr neues Album Trust veröffentlicht hat, bedient eher Ambient-Pop-Jazz- als Rave-Kontexte. Ihrem Mix hört man nicht nur das deutlich an: Über die 78 Minuten hinweg gewährt sie einen intimen Einblick in ihre Plattensammlung, die naturgemäß eine wichtige Inspirationsquelle für ihre eigene Musik darstellt. So fügt sich ihr äußerst gelungener Track „Chains” um die 50-Minuten-Marke herum ohne Berührungsängste, sondern ganz formidabel zwischen Künstler:innen wie Nala Sinephro, Beverly Glenn-Copeland, Laraaji oder Midori Takada ein. Jede:r verdiene Heilung, jede:r verdiene Sanftheit, erklärt Engberg ihre organische Trackauswahl. Damit hat sie recht, ob Raver:in oder nicht. Maximilian Fritz

Astrid Engberg Crack Sunday Mix

CORIN – Corin 250923 (NTS)

Die philippinisch-australische Musikerin Corin Ileto alias CORIN beschallt monatlich den Webradiosender NTS. Ihre Kompositionen bewegen sich in einem Zwischenraum von traditionellen Formen und hyperdigitalen Klängen, die neue imaginäre Welten schaffen und sich einer konkreten Einordnung entziehen. Dabei bewegt sie sich irgendwo zwischen IDM, EBM, Trance, Glitch und Ambient. Daraus entsteht eine überraschende Unmittelbarkeit, die nicht loslässt.

Das Set beginnt mit aggressiv scheppernden Bässen, die zunächst schwerfällig dahintraben. Das Ganze nimmt sogleich Fahrt auf, der kaputte Sound im Sinne des Glitch macht sich breit, metallisch harte Töne prasseln darauf ein und schmeißen sich aneinander. Immer wieder mischen sich kurze Techno-Passagen in das Gemenge und treiben die Reizüberflutung voran. Vorrangig in der Mitte des Mixes kann man sich zu rhythmischen Reggaeton-Beats erholen und treiben lassen. Metallisch bleibt’s trotzdem. Besonders gegen Ende mischen sich dissonantes Fiepen, Verzerrungen und herumwabernde Töne unter die Beats. Innerhalb der letzten Minuten gleitet man in ein sanftes Bett aus gleichmäßigen Beats, die in atmosphärischem Rascheln und melodischen Percussion-Elementen miteinander verschwimmen. Das gemeinsame Verschmelzen von Fehlkonstruktion und Harmonie ist eine gelungene Auseinandersetzung mit der Zufälligkeit im Gemacht-Sein und setzt alle Elemente an ihren Platz. Laura Baumgardt

Djoser – Truancy Volume 317 (Truants)

Djoser hat die Clubmusik mit dem Dubstep der späten Zweitausender entdeckt. Die Sehnsucht des US-Amerikaners nach britischer Breakbeatkultur hat sich in etwa 15 Jahren in ein verlässliches Netzwerk übersetzt, das in New York und anderen Teilen der USA Knotenpunkte hat. Mit dem L.E.N.G.-Kollektiv liegt dessen Zentrum aber immer noch in Djosers Heimatstadt Washington, D.C.

Der überraschend zeremonielle Opener des Grand Ancestor bezieht sich vielleicht auf Djosers bevorstehende Hochzeit, mit dem zweiten Stück steigt er in Beatpatterns ein, die kaum vertrackter sein könnten. Mit Tunes von Tano, Monty DJ oder Sosa Tharpa eskaliert Djoser gleich am Anfang seines mit 35 Tracks auf 95 Minuten durchgängig rasanten Mixes. Seine 15-jährige DJ-Erfahrung kommt eher zum Tragen, wenn es darum geht, das Set mit detroitigen Sounds zu öffnen und den Tänzer:innen ein wenig Atemluft zuzuführen, ohne den rythmischen Faden zu verlieren. In der zweiten Hälfte des Sets liegt der Clou dann in den unerwarteten Querverbindungen, die Djoser herstellt, etwa zum Siebziger-Jahre-Fusion-Gegniedel von MAKZ oder zu geradlinigem Früh-Zweitausender-Techstep von K-65. Bleibt allein die Frage, mit welchem breakbeatfremden Stück Djoser sein Set beschließt. Es ist ein berührender, nubischer Folksong von Fikry El-Kashef, der das Pathos des Roots Reggae des Grand Ancestor aufnimmt und eine Brücke schlägt zwischen den kleinen Freuden der Nacht und den großen Themen des restlichen Lebens. Alexis Waltz

Fafi Abdel Nour: Dekmantel Festival 2023 (HÖR Berlin)

HÖR hat sich mit Streams einen Namen gemacht, die ganz und gar auf den jeweiligen Act und die DJ-Kunst ausgerichtet sind, denn die ikonischen Badezimmerwände sind kein Blickfang. Im August dieses Jahres feierte der erfolgreiche Berliner Broadcastdienst mit eigener Stage sein Dekmantel-Debüt. Und mit der Veröffentlichung der Sets bringt HÖR das Festival Musikliebhaber:innen auch nach Hause.

Mit reichlich von House und Trance angehauchten Neunziger-Tracks bringt Fafi Abdel Nour die Zuhörer:innen sowohl auf dem Festival als auch im virtuellen Raum auf Touren. Ihm gelingt die subtile Mischung aus altbekannten Bangern, hoher Vocal-Dichte und bouncigem Progressive House, ohne dabei Klischees von „Good-Vibes-DJs” zu bedienen. Der in Amsterdam lebende Künstler mit syrischen Wurzeln erinnert mit seiner Auswahl ein bisschen an Job Jobse. Ob diese Art der erhebenden elektronischen Musik Teil der niederländischen Kultur ist, darüber lässt sich diskutieren. Jedenfalls hat Fafi Abdel Nour es mit seinem abwechslungsreichen, stimmigen Set geschafft, jeder Person im Publikum am letzten Tag des Festivals ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Wer selbst dabei war, freut sich umso mehr, die frühen Abendstunden des letzten Festivaltages erneut zu erleben. Charlotte Elsen

GODDEZZ invites UU Rhythm: 22. September 2023 (Rinse FM)

Das Londoner Label GODDEZZ hat zu seiner nächsten Rinse-FM-Gastmix-Serie DJ und Producer UU Rhythm eingeladen. Als Gründer des vielseitigen Labels Unknown Untitled steht er vor allem für die Qualität der Musik und behält sich vor, die Vorschauen auf Katalognummern ohne die Bekanntgabe von Künstler:innnenamen zu veröffentlichen.

In diesem einstündigen Mix nehmen die GODDEZZ-Heads Kalli und Portara0000 in der ersten halben Stunde mit auf eine breakige Reise, samt neuen Juwelen von Producer:innen und Labels wie Papa Nugs, R.A.N.D. MUZIK und Scuba. UU Rhythm rundet die zweite Hälfte mit energischen Breakbeat-Nummern von unter anderem Mani Festo und Azu Tiwaline ab. Tanzbarer, energetischer Sound mit trancigen Elementen, die sicher nicht stillsitzen lassen.

Die Höhen und Tiefen dieses Sets fangen sich ineinander auf und lassen die Energie stetig im Raum. Von mystischen, außerirdischen Tönen zu kraftvoll treibenden Kicks, werden Hörer:innen immer wieder vom Vierviertel-Takt des Breakbeats abgeholt. Nachdem UU Rhythm gegen Ende immer tiefer in undefinierbare Broken Beats eintaucht, verleiht er dem Mix anschließend noch einen Hauch von Leichtigkeit und rundet die Stunde mit einem Dancehall-Beat, dem Remix von SHE Spells Doom, einer Producer:in aus Lusaka, Sambia, ab. Ameera Lumb

In diesem Text

Weiterlesen

Reviews

Die Platten der Woche mit Coil, DFD, Lanark Artefax, Tagliabue und Yokel

Die Platten der Woche – in dieser Ausgabe mit Reviews zu Coil, DFD, Lanark Artefax, Tagliabue und Yokel.

Album des Monats: April 2024

Wie man mit einem unsauberen Sound ganz im Reinen sein kann, erfahrt ihr in der Review zu unserem Album des Monats.

April 2024: Die essenziellen Alben (Teil 2)

Unsere zweite Albenauswahl im April bringt Neues von Nia Archives, Mike Parker, Wolfgang Tillmans, hoyah und Naum Gabo.

Die Platten der Woche mit Coti K., DJ Babatr, Konduku, Otik und Saoirse

Die Platten der Woche – in dieser Ausgabe mit Reviews zu Coti K., DJ Babatr, Konduku, Otik und Saoirse.