burger
burger

Die Platten der Woche mit Christopher Rau, Ciel, Coco Bryce, E-Talking und Lauren Flax

Christopher Rau – Abspace (Smallville)

Christopher Rau ist eine Bank, und zwar eine, wie sie sein sollte: Er gibt und gibt und gibt und verlangt wenig zurück. Über die Pandemie hinweg hat er allerdings weniger von sich hören lassen. Abspace ist seine erste Solo-EP seit 2020 und markiert seine Rückkehr zur Immer-mal-wieder-Homebase Smallville. Raus organischer House-Sound ist von Chicagoer und Detroiter Ansätzen ebenso inspiriert wie von Hip-Hop und entwickelt sich stetig unter seinen eigenen Bedingungen weiter, statt sich dem Zeitgeist anzupassen.

Der Titeltrack kombiniert die schroffe Simplizität eines Omar-S-Stücks mit balearischen Pads und ausgefuchster, aber minimalistischer Percussion. Hart, aber zart: ein klassischer Rau. Gleichermaßen atmosphärisch wie erdig geht es mit „Set If Off” weiter, ein geschwinder, angedubbter Tune. „Do It” macht gleichsam fokussiert und verträumt Zugeständnisse an das Erbe von James Stinson und Larry Heard und „One More Time” setzt nicht auf Filter-House, sondern auf eine funkig-schubbernde Bassline und verorgelte Chords.Ebenso eigensinnig wie freundlich wird diese EP noch lange Zeit geben, geben, geben. Und bis zur nächsten dauert es hoffentlich nicht wieder drei Jahre. Kristoffer Cornils

Ciel – Orlando (!K7)

An manchen Stellen wurde es bereits prophezeit, nun ist es offiziell: Minimal ist zurück. Zumindest partiell auf dem !K7-Debüt der Kanadierin Cindy Li alias Ciel. Seit 2015 machte sie sich zunächst als DJ, Party-Organisatorin, dann auch als Produzentin einen Namen als musikalisch vielseitig agierende, auch politisch aktive Künstlerin. Auf ihren Events spielen Lena Willikens, Jayda G, Octo Octa und DJ Sprinkles, ihre DJ-Sets streifen Jungle, Techno, edgy House. Ihre Musik ist mal Trance, mal Breakbeat, mal Techno, mal House, zuweilen auch Downbeat.

Ihre EP Orlando, ein Vorbote auf ihr Debütalbum Homesick, das bald auf dem von ihr mitgegründeten Label Parallel Minds erscheint, unterstreicht all das. Sie bringt Techno. Sie bringt House. Rau, feingliedrig. Mit Trance-Nuancen und Acid-Percussions kultiviert. Auch Dub und Downbeat sind spürbar. Im Kern aber ist alles minimal. Klar. Aufgeräumt. Wohlsortiert einnehmend. Nicht im negativen Sinne. Die kalkulierte Abenteuerlichkeit von Ciel hält wendige Überraschungen bereit und lässt aufmerksame Hörer:innen tief in die Tunes trancen. Zu ihren drei unterschiedlich swingenden Tracks gibt es noch einen Remix des Detroiter Künstlers Ali Berger, der mit hypnotischen Motor-City-Vibes dubbig-perkussiv nach den Sternen greift. Michael Leuffen

Coco Bryce – My Space (PRSPCT)

Seit Mitte der Neunziger geht der im niederländischen Breda ansässige DJ und Produzent Yoël Bego seinen eigenen, erfolgreichen Weg. Zunächst sozialisiert durch Hardcore, Breakbeat, Jungle, stürzte er sich später auf Downtempo-Stile wie Hip-Hop, Skweee und Dubstep. Seit 2009 veröffentlicht er unter dem Pseudonym Coco Bryce fesselnde Jungle- und Downtempo-Tunes. Sein neuester Streich: My Space, fünf Tracks für das in Rotterdam ansässige Label PRSPCT.

Der Titeltrack startet nervös, drillt sich dann auf knappen vier Minuten in kosmische Logical-ProgressionDeepness voller Timestretching, LTJ-Bukem-Momenten und frühen Moving-Shadow-Vibes. „Satan” kommt als Downbeat angekrochen. Manische Loops und repetitive Samples verdrehen die Sinne, diesmal auf etwa drei Minuten. „Get Stupid” trägt einen ehrlichen Namen. Jungle. Feurig, erneut mit irren Vocal-Sample-Snippets, rau, klassisch, kein Make-up, und doch farbenfroh. Fast fünf Minuten lang! Und dann sind da noch „Yallah” und „Can’t Get Enough”, zwei lässige Tunes. Der eine sanft-manischer Jungle, der andere ereignisreicher Breakbeat-Dub. In allen Tracks wohnen reißerische Hooks, und sie strahlen Coco Bryces Vorlieben zu Hardcore oder Dubstep aus. Nicht ganz so schnell wie unter seinem Pseudonym Chavinski und nicht so deftig wie unter seinem Alias DJ-Y?. Michael Leuffen

E-Talking – The Cosmic Egg (Love On The Rocks)

Das Geklöppel und die Urwald-Latin-Stimmen von „Pads and Frogs” erinnern an die alten Africaine-808-Nummern. Allerdings kippt der Track viel zu schnell in Richtung Euphoria-UK-Balearic-XTC-Acid-Breaks-House um. Chuggy und kosmisch ist das nicht wirklich. Emmanuel Corre alias E-Talking hat sicherlich noch nie psychedelische Frösche geleckt. Ist ihm wahrscheinlich auch völlig egal. Logisch, das ist E-Talking! Der Name ist Programm. Love.

Der „Acid”-Hallraum von „Rise Up” kommt entspannt und zu clean völlig ohne Rocks aus. Und die Kick – auf die es wegen des Grooves ankommt – klingt sehr verhalten nach DAW-Produktion. Das aufwendige Arrangement lenkt von den unerfüllten Produktions-Basics ab. Kommt da eigentlich irgendetwas aus den Lautsprechern heraus? Aber die Lost Highway-Sound-Implosion ist fresh!

Danach driftet die EP mit „Life Begins” in Acid-Humptata-Trance mit IDM-Anleihen ab. Und auch dieser Track hat untenrum keinen wirklichen Punch. „Neidan” kann das etwas besser und schießt sich nach der Manier von UK-Midlands-Paper-Recordings Ende der Neunziger raus. Aber wo bleibt nur der Subbass-Fön im oberen 30-Hz-Bereich, der normalerweise aus den Adam-A8-Lautsprechern die Haare nach hinten bläst? Zwar ist das alles sehr schön arrangiert. Allerdings könnte man auf das Arrangement auch verzichten, wenn der Druck da wäre. Vielleicht existieren sie ja doch, die vielbeschworenen Unterschiede zwischen analoger und digitaler Produktion. Diese EP klingt für meine Ohren jedenfalls nach All-In-DAW-Produktion. Tolle Platte für den C-Floor-Chill-Out-Room. Abschließend kann man noch sagen: Lustiges Plattencover. Mirko Hecktor

Lauren Flax – Liz & Lauren EP (2MR)

Der EP-Titel lässt es bereits erahnen, Tracktitel wie „I’d Risk It All To Be With You”, „Return To Love” oder „I Don’t Want To Hurt You” verfestigen dann den Eindruck: auf dieser Platte geht es um Liebe. Und entsprechend ist Lauren Flax’ Sound hier, unterstützt von den wärmend dahingehauchten Vocals von Liz Wright vom Shoegaze-Techno-Duo Pale Blue, eine ganze Ecke weicher, anheimelnder als auf ihren bisherigen Produktionen. Nicht falsch verstehen, alle Signature-Sounds der Brooklyner Produzentin sind da. Seien es die tiefen Basslines und die darum schwirrenden Acid-Lines. Seien es die Rhythmus-Patterns irgendwo zwischen Detroit Techno und Chicago House, gelegentlich durchbrochen von Breakbeats. Nur setzt sie all diese Elemente hier in einen zurückhaltenderen, sensibleren, aber auch luftig-offeneren Kontext. Weniger Full On Techno, mehr Liebeslieder in Acid. Und das klingt tatsächlich wunderschön. Plus: tanzbar ist es auch. Und das gilt nicht nur für den mehr auf die Zwölf hin produzierten MASC-Remix von „I’d Risk It All To Be With You”, vielmehr für alle fünf fantastischen Tracks. Tim Lorenz

In diesem Text

Weiterlesen

Reviews

Die Platten der Woche mit Coil, DFD, Lanark Artefax, Tagliabue und Yokel

Die Platten der Woche – in dieser Ausgabe mit Reviews zu Coil, DFD, Lanark Artefax, Tagliabue und Yokel.

Album des Monats: April 2024

Wie man mit einem unsauberen Sound ganz im Reinen sein kann, erfahrt ihr in der Review zu unserem Album des Monats.

April 2024: Die essenziellen Alben (Teil 2)

Unsere zweite Albenauswahl im April bringt Neues von Nia Archives, Mike Parker, Wolfgang Tillmans, hoyah und Naum Gabo.

Die Platten der Woche mit Coti K., DJ Babatr, Konduku, Otik und Saoirse

Die Platten der Woche – in dieser Ausgabe mit Reviews zu Coti K., DJ Babatr, Konduku, Otik und Saoirse.