Es wird vermutlich schwierig, eine komplettere elektronische Künstlerin zu finden als die Detroiterin Laurel Halo. Von psychedelischen Dub-Scapes und straightem Techno zu einer „Artist in Residence”-Zeit an der Pariser Kompositions-Avantgarde-Institution Ina-GRM ist es jeweils nur ein Katzensprung – musikalisch-zeitlich wie physisch-räumlich –, und doch einmal um die ganze Welt. Zurzeit lebt Halo in Los Angeles. Das jüngste Album Atlas auf ihrem neu gegründeten Label (Awe, 22. September) reflektiert ihre jüngsten Explorationen von Jazz und Sound-Collage ebenso wie die elektroakustischen Techniken aus dem Klang eines Klaviers. Durch Aufnahmetechniken, Wiedergabetechniken und Prozessierung holt sie etwas ziemlich anderes heraus als eben „Klavier-Sound” (vulgo Neoklassik), obwohl sie das mit Sicherheit genauso locker könnte. Halo ist also ebenfalls eine Art Ein-Person-Kompendium – von allem Gutem, um das es im Rahmen dieser Kolumne so geht.
Gut ist auch, wenn man sich und anderen nichts mehr beweisen muss wie Thomas Fehlmann. Der macht nach Dekaden von fluffigem Ambient (zum Beispiel mit The Orb) und fluffigem Minimal-Techno (solo) einfach weiter. Umdrehen (Edition Dur, 8. September) mag in dieser Hinsicht kein weltbewegendes Album sein, ist es aber eventuell genau deswegen. Knuffiger Humanismus in verschmitzter Elektronik, mit geraden Beats und ein wenig Krautrock-Motorik – haben wir nicht genau darauf schon lange, schon immer gewartet? Fehlmann ist und bleibt ein musikalischer Sympath, es ist eigentlich fast egal, was er macht. Es wird und ist in diesem Fall tatsächlich wieder etwas experimenteller und so eigenartig wie ganz früher mal zu Zeiten von Palais Schaumburg. Noch toller als normal also.
Dafür drückt Techno-Smartie Oliver Ho in seinem Projekt Veil ordentlich auf die Drama-Tube. A Circle In Stone (Other Facts, 8. September) ist erst die zweite Arbeit unter dem Alias, das Debüt liegt beinahe 20 Jahre zurück. So wurde es zu einer Rückkehr mit Pauken und Trompeten oder buchstäblich Posaunen. Nicht zufällig erinnert der Projektname an die Dunkelheits-Pioniere Coil und teilt sich den Namen mit unzähligen Gothic- und Dark-Doom-Death-Metal-Bands. Es geht also um dunkle Befindlichkeiten in modernem Soundgewand mit digitaler Archaik. Die Neuerfindung von Horror- und Giallo-Soundtracks der Spätsiebziger und Frühachtziger, von Post-Industrial und dunkler Psychedelia am Laptop, ist ja gerade durchaus en vogue. Dass ein versierter Produzent wie Ho da noch eine Schippe Brillanz und Produktionsskills drauflegen kann, versteht sich quasi von selbst.
Vielleicht ist es ja auch eine Art Fluch, immer als die netteste Band der Welt zu gelten. Wahrscheinlich ist es Menschen wie Saya und Ueno, diesen Beispielen beinahe metahumaner Ausgeglichenheit und nahekommender musikalischer Zartheit, aber komplett egal – oder sollte es jedenfalls sein. Bear in Town (Morr Music, 8. September), jüngste Mini-LP der deutsch-japanischen-und-mehr-Supergroup Spirit Fest, die von Beginn an so gar nichts von dem üblichen Supergruppen-Hype mit sich brachte, zeigt jedenfalls keine Anstrengungen, etwas anderes vorzubringen als leichtes folkiges Songwriting mit milde experimentellen Strukturen und durchweg herz- und seelenwärmender Freundlichkeit.
Saya und Ueno Takashis Hauptprojekt, die Tenniscoats, machen und bekommen unterdessen ein doppeltes Genschenk an die Humanität. Einerseits wird eines ihrer feinsten frühen Alben Totemo Aimasho (Room40, 1. September) in erweiterter Form wiederveröffentlicht. Andererseits gibt das Tasmania Bootleg (Room40, 15. September) aus derselben Zeit, Ende der Nullerjahre, einen Eindruck ihrer wahrlich bezaubernden Live-Konzerte – hier noch von Room40-Labelboss Lawrence English am Schlagzeug (weitgehend unaufdringlich) begleitet. Wie eben die Klänge der Tennsicoats selbst, die sich langsam mit den Gesprächen im Publikum und anderen Hintergrundgeräuschen mischen, aber nie lauter werden als diese.