Ich erwähnte es wohl schon öfter: Cécile Schott alias Colleen hat zeitlich zufällig, aber inhaltlich überhaupt nicht zufällig diese Kolumne seit ihren Anfängen begleitet. Und unterschwellig auch die musikalischen Vorlieben, Irritationen und Iterationen über die inzwischen mehr als 20 Jahre reflektiert.
Colleen hat ziemlich unabhängig von allen Trends – und diese doch mit setzend-samplegetriebener Electronica begleitend – fragile Neoklassik, ephemere Popmusik gemacht, mit Musikautomaten, antiken Instrumenten, alten und neuen Synthesizern gearbeitet. Colleens jüngste Neudefinition ihres Sounds nennt sich Le jour et la nuit de réel (Thrill Jockey, 22. August) und reduziert die Produktion auf ein extrem minimales Setup aus drei analogen Maschinen, einem einfachen und preiswerten Retro-Synthesizer von Moog und zwei Effektgeräten (für interessierte Hardware-Geeks: Moogerfooger Analog Delay und Roland Space Echo).
Konsequenterweise ist das resultierende Album besonders episch ausgefallen, sowohl was den Umfang als auch die Auslotung des Sounds angeht. Colleen hat hier locker mal ein spätes, zeitloses Referenzwerk rausgehauen, das sehr gut neben zum Beispiel Caterina Barbieris Ecstatcic Computation steht und wie dieses den guten Gebrauch von analogem Equipment auf Jahre hinaus definieren wird.
Die russische Synthesizer-Psychedelikerin Aleksandra Evseeva alias Andra Ljos lebt und arbeitet aktuell im litauischen Vilnius. Mit elektronischer und anderer Archaik kennt sie sich schon immer sehr gut aus, auf Megalithic Statues of Vishapakar (Not Not Fun, 18. August) nimmt sie den Titel wörtlich und vertont bronzezeitliche Kunstwerke aus Armenien im krautrockenden Lo-Fi-Synthesizer-Gewand. Das hat eine ähnlich strukturiert-hypnotische Qualität wie heuer Colleen, kommt aber wesentlich üppiger daher, dabei auch schmutziger, ausgefranster an den Rändern, rauer an den Oberflächen. Wie ein extrem ausgeleiertes Tape antikisierender Tiki-Exotica, mit kleinen und größeren Aussetzern. Kleine Pilzmusik, große Kunst.
Der Gitarrist und Synthesizer-Afficionado Pj Dorsey aus Baltimore, Maryland hat es erstaunlicherweise noch nie in diese Kolumne geschafft, obwohl er mindestens so lange Musik macht, wie sie existiert. Obwohl er zudem unter dem Alias Tarotplane konsistent und konsequent Loops in Ambient und spätkosmischen Krautrock formt, die hier genau hinpassen, in immer exzellenter produktioneller wie inspirierender Qualität. Das ist auf Murmurations (npm, 25. August) selbstverständlich nicht anders. Das Album für das recht junge britische Label npm wirkt sogar besonders fokussiert und auf den Punkt gebracht, was den Sound von Tarotplane ausmacht. So kommt das späte Motherboard-Debüt doch genau richtig und tut der langen Ignoranz ein wenig Buße.
Vielförmige, multifunktionale, elektronische Exotica-Psychedelik aus Vintage-Synthesizern – gerne sowjetischer Bauart – zeichnet das Gesamtwerk des Russen Vladislav Godzevich aus. Unter dem cleveren Pseudonym DRAPIZDAT (eine Worterfindung, die spielerisch das Verkiffte des musikalischen Undergrounds mit Anspruch und Praxis des kulturellen Widerstands verschmilzt) gibt es nun eine Art Best-of-Long-Play-Kassette, deren Titel МИФ (Not Not Fun, 18. August) wiederum im Wortspiel schwelgt. Tolle Entdeckung des tollen Not-Not-Fun-Labels, deren Chef:innen Britt und Amanda Brown es immer wieder schaffen, die erstaunlichsten Klänge aus den entlegensten Winkeln der Welt in ihrem kalifornisch-psychedelischen Portfolio heimisch werden zu lassen.