Von Death Industrial und Power Electronics zu Ambient und Dream Pop, von Sex und Gewalt, Pornographie, Isolation, Entfremdung, Konsumismus und Anomie zu Liebe, Familie und (Wahl-)Verwandtschaft. In der klassischen Rock/Pop-Historisierung wird so etwas gerne als Verfallsgeschichte geschrieben, Chronik des Etabliert- und Langweilig-Werdens. Bei Loke Rahbek ist das Gegenteil passiert. Die Musik des Kopenhagener Posh-Isolation-Betreibers ist unter seinem Eigennamen wie unter dem Alias Croatian Amor mit der Zeit immer vielschichtiger und interessanter geworden, definitiv ruhiger und auf subtile, doch immens immersive Weise erhabener, als es indifferenter Noise je sein könnte. A Part of You in Everything (Posh Isolation, 8. August) bestätigt diese Entwicklung auf jede nur mögliche Weise und führt sie noch ein Stück tiefer in Schönheit und Zärtlichkeit. Es ist eine Eloge an den Bruder, den er nie hatte, zugleich eine hymnische, doch gebrochene Feier der eigenen Familie, des eigenen Ankommens in der Welt. Aus Bruchstücken von Hyperpop, R’n’B und Trap, Trance, EDM und anderen verspiegelt zerbrochenen, komplex gemachten Mainstreamsounds rekonstruiert Rahbek eine ephemere Geisterfamilie, die doch von sehr realem, sehr handfestem Leben zeugt – und sich unglaublich gut dabei anhört, zum Schwelgen und sich dabei Auflösen animiert wie kaum was sonst.
Wo sich der Post-Club nun final wieder im Club wiederfindet und sämtliche Post-Präfix-Genres sich in Schleifen der Selbstverwertung verheddern, ist es wohl Zeit für etwas anderes. Einer der interessantesten und definitiv zukunftsfähigen Ab- und Auswege kommt aktuell von der Australier:in Corin Ileto alias CORIN. Die Beats und Bässe auf Lux Aeterna (UIQ, 14. Juli) sind nicht dekonstruiert und erst recht nicht intelligent im Sinne von IDM oder fehlerkonstruiert zufällig im Sinne von Glitch. Unmittelbar funktional und überwältigend wollen sie ebenso wenig sein – darin aber allemal tonnenschwer backpfeifenschmetternd. Diese Klänge müssen ihre Klugheit nicht ausstellen, obwohl sie clever und weltgewandt sind bis dort hinaus. Sie können in ihrer kaputten Gemachtheit leben ohne den geringsten Transgressionsextremismus. Keine Ahnung, wie CORIN das macht, es ist halt großartig, nicht nur weil es jede Referenz, jeden Anklang beim Wiedererkennen sofort infrage stellt.
Aus den altbekannten Formen und Formeln für Beats und Bässe lässt sich selbstredend ebenfalls noch reichlich Spannendes ziehen. Oder im Fall des Berliner Producers Nacht 84 eher Entspannendes. Auf seinem Debüt A New Phantom (Nacht 84, im Mai erschienen) hat der Alumnus des Folkwang Instituts Für Pop-Musik eine lässige und bestens ineinanderfließende Kollektion sanfter Electronica geschaffen, die von Instrumental-Hip-Hop, Dubstep, Trip-Hop und Bedroom-R’n’B genau die Portion Sound mitnimmt, die zum Instant-Kopfnicken ebenso einlädt wie zum nostalgischen Cornern und genießerischen Schwelgen in Sommernächten an der Straßenecke mit der Boombox. Dass dazwischen ein melancholischer Popsong nach Art von The Notwist stehen darf, ist dann völlig logisch und wirft nicht den geringsten Widerspruch auf.
Die Schon-länger-Berlinerin Johanna Knutsson kehrt mit ihrer ausladenden EP Complex Network (Red Curls, 5. Juli) dagegen von den mittelentfernten, späten Anfängen in Sound-Art-Sensibilität und Ambient-Introversion zum geraden Beat zwischen Dub, Techno und House zurück, oder besser: kommt mal wieder dort an. Die Simplizität der Patterns täuscht, kaum ein Stück kommt da an, wo es losgeklappert ist. Die Dub-Techno- und Pad-House-Klischees sind vielfach gebrochen und stolpern erst mal über ihre eigenen Füße, bevor sie so richtig abgehen.
Auf der eher mainstreamigen Seite von Electro, aber doch gebührend weit entfernt von EDM agiert die Wirbel EP (Blue Marble, 7. Juli) des Duos aus Janus Rasmussen & David Bergmüller. Die matt glänzend polierte, im unteren BPM-Bereich angesiedelte Techno-Electronica des Isländers und die akustische, immer ein wenig archaisch klingende Laute des Österreichers kommen hier tatsächlich sehr reizvoll zusammen. Das Satte und das Zarte finden selbstverständlich zueinander. Sie teilen dieselbe milde Melancholie.