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Motherboard: August 2023

Die seltene Gabe, aus abstrusesten Ausprobier-Soundfitzelchen etwas Kohärentes und oftmals Zauberschönes zu basteln, macht den in Los Angeles lebenden Hawaiianer Dustin Wong zu einem gefragten Kollaborateur – sowohl in der kalifornischen Indie-Szene wie unter Improv-Experimental-Radikalist:innen. Solo ist er dagegen gar nicht so häufig zu hören, weswegen Perpetual Morphosis (Hausu Mountain, 4. August) selbstverständlich ein zu feierndes Ereignis darstellt. Brillant blubbernd, fiepend und wubbernd, ist seine elektronische Synthetik-Synthese als organische Electronica in diesem speziellen Fall vielleicht tatsächlich besser auf einem digitalen Format aufgehoben als auf einem Tape. In jedem Fall hört sich das wunderbar ziellos vor sich hinmäandernde Album großartig an.

Wie um die obige Einschätzung zu bestätigen, erscheint beinahe zeitgleich noch Textures II (Leaving Records, 18. August) als Zusammenarbeit von Brin & Dustin Wong. Ein weitgehend improviertes Album, das definitiv nicht weniger experimentell entstanden ist, doch einem zurückgenommenen Sound aus Klangcollagen, vor allem von Wasser und Wellen, mit einer darin herum- und hineinflanierenden Gitarre folgt. Sehr kalifornisch, sehr lässig auch das.

Eine schwer zu zügelnde Kreativität in geordnete Release-Bahnen zu lenken, funktioniert gelegentlich über Bündelung und Aufteilen der Interessen, wie im Fall von Tristan Whitehill aus Gainesville Florida. Als akustischer Gitarrist ein Virtuose und in Improvisationskreisen bestens bekannt, zieht Whitehill Inspiration doch lieber in weiten Kreisen. Mit seinem Alias Euglossine zum Beispiel aus Vaporwave, Glitch und IDM, ohne deren Einbettung in Jazz und Post-Fusion zu vernachlässigen. Dieses Jahr passierte das schon in zwei üppigen Arbeiten: auf dem Tape Strawberries in the Rain (Sound As Language, 5. Mai) fast vollständig akustisch, mit einer Solo-Gitarre nahe an Jazz, Swing und Ambient-Americana. Eine der anderen Seiten des Projekts bildet Bug Planet Is the Current Timeline (Hausu Mountain, 25. August) ab. Immer auf dem Sprung, und doch organische Elektronik, gleichzeitig beste alte Schule und komplett futuristisch. Neu, anders und ganz weit draußen, doch klar aus der Tradition des Anders-Machens geboren.

Die Litauisch-Brüsseler Vielfachmusikerinnen Ugnė Vyliaudaitė und Marija Rasa Kudabaitė, kurz und zusammen ugne&maria, nannten ihr Tape-Debüt einfach Healing (Futura Resistenza, 30. Mai). Dass es sich hier um heilende Musik handelt, ist nicht abwegig, allerdings definitiv nicht auf eine weichgespülte Art und Weise, wie sie aus New Age oder ASMR-Ambient bekannt wäre. Die collagierten Sounds des Duos suchen die Freiheit, streben ins Offene, wollen nicht Gebrauchsmusik sein. Und doch bleiben sie freundlich, wollen keine Hindernisse sein. Ein elektroakustischer „Drei-mal-alles”-Sound der Samples und Field Recordings neben Synthetik und Instrumente stellt und doch nie zu viel wird. Mit diesem einzigartig kategoriefernen Sounduniversum wurden ugne&maria bereits beliebte Gäste einschlägiger Festivals wie Meakusma oder Nuits Sonores, das Album sollte hoffentlich internationale Aufmerksamkeit erlangen.

Roots In Heaven ist ein anonymes, maskiertes Projekt aus Palermo und jetzt Berlin, das sehr passend für erste Laufnummer von Lucys jüngst umbenanntem Label Other Facts verantwortlich zeichnet. Anders als bei Stroboscopic Artefacts sollen auf unter dem neuen Namen gleichberechtigt Aspekte zum Tragen kommen, die jenseits von Club und Techno liegen, obwohl ja auf Stroboscopic Artefacts Grenzgänge sehr wohl möglich waren.

Nun, Edge Of Non Compliance (Other Facts, 23. Mai) zeigt sehr schön, was damit gemeint ist: nämlich schwer metallischer Doom-Drone und Dark Ambient mit subtil-subkutan eingesetzten Industrial- und Tribal-Elementen, die nie vollständig zu Industrial, Tribal oder Dark Ambient werden wollen. In tiefenscharfer digitaler Produktion, die den Sound in einer feinen Balance aus Schwere und Sanftheit hält, ohne je brutal, zu Noise zu werden, entsteht hier eine einzigartige, unmittelbar eigene und wiedererkennbare Ästhetik. Eine große Entdeckung, welche:r Künstler:in auch immer dahinterstecken mag. Es würde mich nicht wundern, wäre es Lucy selbst, denn die Souveränität dieser Vision und die offensichtlichen Skills sprechen für langjährige Erfahrung in dem, was sie tun.

Der Hamburger Elektronik-Solitär Marc Richter ist nach 20 Jahren im Geschäft ebenfalls noch immer höchst aktiv. Nach der Wiederveröffentlichung von Alphabet 1968 und Earth (beide: Cellule 75, 30. Juni) seines Alias Black To Comm markiert das jüngste Album Coh Bâle (Cellule 75, 14. Juli) unter seinem Eigennamen eine tendenzielle Neuausrichtung in Sound und Charakter der Musik. Immer noch experimentell-elektroakustisch versiert, von Glitch und Distortion-Elementen durchsetzt, wirken die Stücke nicht mehr so erdrückend schwer und dunkel wie Black To Comm zuletzt. Doch wie so oft ist die Erinnerung ein trügerisches Gut. Noch einmal wie neu gehört, sind beide gar nicht so abweisend und doom-finster. Im Gegenteil, Postrock-Ambient und halbwarme Drones mit neoklassischen Pianotupfern, weit zugänglicher als im Gedächtnis verankert.

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