Bleeps, Breaks + Bass (Musique Pour La Danse)
Das Schweizer Label Musique Pour La Danse hat sich auf Wiederveröffentlichungen spezialisiert und arbeitet dabei anders als die meisten Konkurrenten. Begnügen sich viele im lukrativen Reissue-Geschäft mit den offensichtlichen Klassikern oder mit gesuchten Raritäten der Vinylgeschichte, liest sich der Label-Katalog von Musique Pour La Danse wie eine Auswahl persönlicher Lieblinge eines versierten DJs, dem es ein Anliegen ist, der fortgeschrittenen Musikgeschichtsverklärung entgegenzuwirken.
So auch bei der hervorragenden Compilation Bleeps & Breaks + Bass. Das Doppelvinyl widmet sich der frühen Formierungsphase von Techno im UK, einfach umrissen durch Bleeps, Clonks und Zaps, oft gepaart mit Breaks und viel Subbass. Eine kurze Periode von 1989 bis etwa 1991, in der Chicago House und Acid House zu einer frühen UK-Variante von Techno mutierten. Der Sound befeuerte einflussreiche Labels, besonders Warp, und bescherte ihnen erste Erfolge mit Überhits wie „LFO” von LFO.
Die erlesene Auswahl an Tracks, die abseits der üblichen Verdächtigen im Genre fischt, betont noch einmal mehr, dass in der Beschäftigung mit dieser kurzen Zeit, in der sich Bleeps und Clonks blitzschnell verbreiteten, mehr als ein nostalgischer Mehrwert liegt, in der sich trotz oder eher wegen der natürlichen Limitierung durch die damalige Technik eine absolut zeitlose Klangästhetik gebildet hat. Sie versprüht noch heute den gleichen unwiderstehlich spröden und dennoch zerbrechlichen Charme eines aus dünnem Stahlblech gefertigten, breakdancenden Roboter–Prototypen.
Angenehm wenige bekannte Namen (Unique 3, 4Hero im Tek-9-Alias, A Certain Ratio, KLF) befinden sich in der Auswahl. Zusammen mit ein paar unerwarteten Überraschungen (A Man Called Adam, 4Heros Marc Mac als R. Solution) und gänzlich unbekannten Namen (Heychild, Ubik oder Boneshakers) laden sie ein, tiefer in das Genre einzutauchen und dem Zeitgeist nachzuspüren. Richard Zepezauer
Ciel – Ecstatic Editions Vol. 1 (Ecstatic Editions)
Labelauftakt, neue Plattenadresse von Eris Drew: Lässt an sich schon mal aufmerken. Dazu eine stilvolle Idee: Veröffentlicht wird allein auf Vinyl. Auf Bandcamp etwa kann man sich die Sache lediglich anschauen, über Soundcloud hineinschnuppern, doch wer alles hören will, braucht einen Plattenspieler.
Den Auftakt macht die in Toronto lebende Produzentin Ciel mit Tracks, die es zuvor nicht auf Schallplatte gab, darunter die Hälfte ihres Debütalbums Trojan Horse. Von Drum’n’Bass-Workouts über IDM-affine Breakbeats bis zu House-Abstraktionen reicht ihre eigene Musik, zusammen mit D. Tiffany lässt sie als Psychedelic Budz hart produzierten Techno mit Anklängen von Trance und Acid vom Stapel.
Hinzu kommen drei Remixe, als da wären das House-Projekt Off the Meds, die kanadische Downtempo-Band LAL, von Ciel auf jazzigen Drum’n’Bass-Kurs gebracht, und die japanische Dream-Pop-Musikerin Cuushe. Deren kindlich verträumten Song „Beautiful” gestaltet Ciel zum Abschluss zum kindertraumfröhlichen Instrumental um und lässt die kitschig-hymnischen Anteile des Originals taktvoll beiseite. Wunderbarer Countdown zur Ekstase. Tim Caspar Boehme
VA – Gonzo Goa – Party Music 87′- 94′ (Sound Metaphors)
Mit aufwändigem Artwork, Doppel-Sleeve-Vinyl und Liner Notes veröffentlicht der Berliner Plattenladen Sound Metaphors eine Compilation, die den echten Goa-Sound der frühen Jahre erklärt und für eine neue Generation verständlich aufbereitet. Während Psytrance seit den Zweitausendern ein relativ uniformes Hau-Drauf-Genre geworden ist, zeigt diese Sammlung, was ab Mitte der Achtziger bis in die Neunziger hinein tatsächlich nach Indien exportiert wurde und dort (von Vinyl auf Kassetten überspielt) auf illegalen Hippie-Raves lief. Keine Gagen, keine Zaungäste, dafür jede Menge Substanzen und Partys, ausgerichtet auf psychedelischen Erleuchtungsmomente.
Viele der Produzent:innen von dem, was dort lief, wussten bis in die Neunziger hinein nicht einmal vom zweifelhaften Ruhm ihrer Tracks, die an den fernen Stränden Indiens zur sogenannten „Special Goa Music” erhoben wurden. Ein eklektischer Freestyle-Mix aus New Beat, EBM, Industrial, Italo, frühem House, Techno, Electro und Weltmusik machten den Charakter der dortigen Sets aus.
Gerade die Erläuterungen, warum die jeweiligen Stücke ihren Weg nach Goa fanden, machen diese Compilation so interessant. Gemeinsam mit den mehr als gelungenen Liner Notes von Ray Castle, einem der originären DJs der damaligen Szene, ist diese Veröffentlichung interessante Geschichtsstunde und Sonnenaufgangs-Soundtrack in einem. Leopold Hutter
VA – Happy Land – A Compendium Of Electronic Music From The British Isles 1992-1996 (Above Board Projects)
Von politischen wie ökonomischen Standpunkten aus gesehen war das Vereinigte Königreich zwischen 1992 und 1996 wahrlich kein Happy Land. John Major hatte als Premierminister die schwere Nachfolge der zu Recht ungeliebten Margaret Thatcher übernommen, und ein politischer Skandal folgte auf den anderen. Lebenskosten und Armutsrate stiegen. Und die Behörden gingen aktiv gegen alternative Lebensformen wie die Traveller Communities und die britische Rave-Kultur vor.
Doch wie so oft führte die Repression von oben zu erhöhtem Widerstand von unten und dadurch auch zu gesteigerter Kreativität. Denn was elektronische Musik anging, war jene Zeit in England durchaus ein Happy Land. Und davon erzählt diese doch eher sarkastisch betitelte Compilation.
Los geht’s mit Cabaret Voltaires groovigem „Soul Vine” und natürlich Robert Wyatts nur vermeintlich fröhlichem „Happy Land”, das zeigt, dass der seit den Sechzigern aktive UK-Veteran neuen Strömungen immer offen gegenüberstand. Des Weiteren finden sich auf der Compilation Chill-Out-Acid von Thunderhead The Word By Eden, entspannter Ambient-Breakbeat von Xeper und Intellektuellen-Deep-House von Matthew Herbert. Aphex Twin ist mit seinem extrem raren Bradley-Strider-Projekt vertreten, Cabaret-Voltaire-Mastermind Richard H. Kirk gar zweimal – neben seiner Hausband nämlich auch noch mit seinem Electronica-Projekt Sandoz. Apropos Electronica, natürlich finden sich auch die Plaid-Vorgänger Black Dog Productions mit ihrem Klassiker „Cost II”.
Damit sind nur die bekanntesten Acts der Compilation aufgezählt. Zwischen denen finden sich zahlreiche weitere Titel zwischen Chillout und Techno, zwischen Ambient-Trance und Leftfield-House, die es zu entdecken gilt. Denn nicht nur war diese Periode britischer elektronischer Tanzmusik eine extrem kreative – die Tracks haben sich auch allesamt hervorragend gehalten und klingen immer noch so frisch wie am Tag ihrer Veröffentlichung. Tim Lorenz
VA – SSR Records: In Retrospect (Hi Scores)
Dass die Musik der Neunziger derzeit so eifrig wieder hervorgekramt wird, liegt zunächst daran, dass damals einfach viel Schönes herausgekommen ist. Man könnte in dieser Rückbesinnung aber auch eine Nostalgie für ein Jahrzehnt sehen, das im unmittelbaren Erleben wie in der Erinnerung klar positiv besetzt war: Offenheit, neue Möglichkeiten und eine bessere Zukunft hatten definitiv höhere Konjunktur als heute.
Dass es in dieser Vergangenheit in der Clubmusik nicht allein die großen Techno-, House- oder Trance-Momente gab, die so überliefert sind, sondern eine Reihe an Sachen, die man womöglich gar nicht (bewusst) mitbekommen hat, demonstriert diese Zusammenstellung des belgischen Labels Hi Scores, das an die glorreichen Tage von SSR erinnert, einem Sublabel der belgischen Institution Crammed Discs.
1996 eingestellt, gehört es definitiv nicht zu den Adressen, die in aller Munde sind. Dabei finden sich bekannte Namen wie Move D, Gemini oder Matthew Herbert (mit einem abstrakten House-Remix einer gediegenen Downtempo-Nummer von Hector Zazou und Harold Budd) unter den beteiligten Künstlern. Und reichlich Entdeckungen wie das britische Projekt Solar Quest mit seiner 303-getränkten 15-Minuten-Trance-Hymne „Acid Nation”. Oder die diskret gebrochenen „Dreams” von Modulate. Oder die Deep-House-Träumerei „Pisces” von Nu Era, einem Alias von Marc Mac von 4 Hero. Eine echte Schatztruhe. Tim Caspar Boehme
VA – Yet (Tresor)
Nachdem die Berliner Institution Tresor 2021 ihr 30-jähriges Bestehen bereits mit einer großen Compilation gefeiert hatte, markiert Yet einen wahrscheinlich abwechslungsreicheren Blick auf Label und Club. Auf drei Vinylscheiben bzw. 13 Tracks sind die Beiträge so vielfältig wie unterhaltsam ausgefallen. Eine strikte Klassifikation fällt schwer, denn trotz der Techno-Affinität des Clubs finden sich auf der Compilation kaum Four-To-The-Floor-Beats, stattdessen regiert ein von Breakbeats und Industrial geprägter Ansatz. Zwar bumst und bollert es rauf und runter, hüpft dabei aber eben kreuz und quer durchs Rhythmus-Gerüst.
Ganze fünf Stücke braucht es, bevor Ryan James Ford mit einem 140-BPM-Lo-Fi-Melodic-Banger die erste gerade Kickdrum beisteuert — die dann aber gleich wieder von Oldschool-Drums im Amen-Break-Stil torpediert wird.
Im weiteren Verlauf hört man spacigen Electro von Newcomerin Viikatory, noisige Vocoder-Action von Jean Redondo oder auch einen IDM/Bass-Hybrid von Significant Other, der an die besten Tage von Claro Intelecto erinnnert. Sotofett geht mit einem Wirrwarr aus übersteuerten Effekten und Drums in die Vollen, während Solid Blake aus Kopenhagen ultradeepe Salven stakkatohafter Beats abfeuert. Leopold Hutter