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Wolle XDP (Carneball Bizarre) – Groove Resident Podcast 39

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Foto: Anna Makarov (Wolle XDP)

„Auf die Residents kann man sich verlassen, persönlich und inhaltlich. Sie kennen den Club, die Gäste, die Anlage, und sie sind ein Grundpfeiler der musikalischen Identität eines Clubs, also ebenso wichtig wie die Architektur, der Raumklang oder die Gestaltung“, sagte einst Nick Höppner in der Groove. Mit unserem monatlichen Resident Podcast wollen wir ihnen den gebührenden Respekt zukommen lassen.

Wolfram Neugebauer bedarf nun wirklich keiner Vorstellung, aber kurz zu den Fakten: Als Wolle XDP prägte der geborene Leipziger die frühe Berliner Techno-Szene mit den XDP-Raves und der Tekknozid-Reihe sowie später als Betreiber zweier Clubs und als Mitinitiator der Fuckparade. Der auch als Apnoetaucher aktive DJ widmet sich zwar recht regelmäßig dem Sound von anno dazumal im Rahmen verschiedener Throwback-Partys, mischt aber ebenso im musikalischen Tagesgeschehen mit.

Eine Plattform dafür hat er vor einigen Jahren im Berlin KitKat Club gefunden. Während der samstäglichen Nacht unter dem Titel Carneball Bizarre gibt er sich ungefähr monatlich mit anderen DJs die Klinke in die Hand oder aber spielt ausladende Allnighter, in denen er sich musikalischen Nuancen elektronischer Tanzmusik, die sich nicht alle mit teutonischem Doppel-K schreiben oder insgesamt vom Four-to-the-Floor-Diktat abweichen. In seinem Beitrag für unseren Resident Podcast kondensiert er den Drive einer Carneball-Bizarre-Nacht zu einem energetischen Mix.


Als wir über einen möglichen Beitrag von dir für unseren Resident Podcast sprachen, habe ich nach einem Tekknozid-Schwerpunkt gefragt. Das wolltest du nicht. Wieso?

Mit Tekknozid hat in den frühen Neunzigern alles angefangen und seit 2015 machen wir diesen Rave etwa zwei mal im Jahr sehr erfolgreich als Classic- beziehungsweise Retro-Party. Ich tue das mit großer Begeisterung und freue mich besonders darüber, dass sich dort nicht nur die „alten Hasen“ treffen, sondern viele unterschiedliche Generationen dort zusammenkommen und gemeinsam das „Damals“ abfeiern. Doch ebenfalls seit nunmehr fast acht Jahren bespiele ich als Resident-DJ einmal im Monat samstags den Mainfloor vom KitKat bei den Carneball-Bizarre-Nächten. Trotz seiner Größe und der Länge der Party, teilt man sich die Nacht zu zweit. Nicht selten jedoch, darf ich sie sogar komplett allein gestalten. Das stellt mich als DJ vor eine Menge interessanter Herausforderungen. Das finde ich im Rahmen eines Podcast einfach viel spannender.

Wie kam es dazu, dass du als Resident für die Carneball-Bizarre-Nacht im KitKat eingestiegen bist?

Ich wurde 2015 gefragt, ob ich Lust hätte, dort zu spielen. Es war mein DJ-Kollege und Freund Tanith, der dort hin und wieder spielte und mich gern dabei haben wollte. Er musste mich zuerst regelrecht überreden, doch bereits in der ersten Nacht bemerkte ich, wie willkommen wir waren und wieviel Spaß man dort als DJ haben kann.

Du hast gesagt, deine Residency hätten die Musik im KitKat “verändert”. Inwiefern?

Der Club ist relativ hell und eher bunt als dark und dystopisch. Die ersten Nächte mit Tanith und mir unterschieden sich musikalisch ziemlich stark von dem, was das Stammpublikum damals gewohnt war. Aber es feierte mit uns, als würde es keine andere Musik kennen und lieben. Aus dem “gelegentlich” wurden dann relativ schnell regelmäßige Bookings und da Tanith und ich nicht immer am gleichen Tag konnten, habe ich mir die Nächte auch mit den anderen Resident-DJs geteilt. Das war anfangs musikalisch nicht immer so einfach, stellt heute jedoch überhaupt kein Problem mehr dar.

Welchen Ansatz verfolgst du als Resident dort, vor allem im Vergleich zu etwa Tekknozid-Sets oder Gigs in ganz anderen Kontexten und Clubs?

Das KitKat ist riesig. Es gibt viele Räume und verwinkelte Gänge, man braucht gefühlte Stunden, um sie alle zu erkunden. Der Mainfloor zählt zu den größten der Stadt. Dennoch ist er keine typische Rave-Halle, sondern wirkt eher “clubbig” gestaltet. Die eigentliche Tanzfläche füllt sich meistens bereits innerhalb der ersten Stunde nach Öffnung des Clubs. Die besondere Herausforderung dort ist, nicht nur die Leute auf dem Dancefloor zu bewegen, sondern möglichst viele Leute im Raum zu halten und sie zum Tanzen zu bringen. Wenn das gelingt, bricht dort irgendwann die Hölle aus. Denn dann tanzen die Leute wirklich überall. Auch auf den Tresen, den Galerien, den Tischen, den Treppen, den Bänken und in den vielen kleinen Séparées. Dann sind alle Arme in der Luft und ja, die Stimmung ist dann tatsächlich so krass wie in den frühen Neunzigern. Wahnsinn!

Du spielst oft ausgesprochen lange Sets, bis zu 11 Stunden stehst du hinter den Decks. Wie bereitest du dich für einen solchen Marathon vor?

Ich kann auf einem Rave innerhalb kürzester Zeit alles geben, aber eigentlich liebe ich richtig lange Sets. Doch egal wieviel Spaß das macht, irgendwann wird das natürlich auch körperlich zu einer echten Herausforderung. Ich habe jedoch Spaß daran, Dinge zu tun, die die Grenzen des körperlich Machbaren immer wieder aufs Neue ausloten. Ich bin deshalb nicht nur DJ, sondern auch ein leidenschaftlicher Extremsportler. Bei beidem suche und gebrauche ich die Techniken des Flows. Und richtig, so lange DJ-Sets könnte ich mit Hilfe von sehr viel Aufputschmitteln spielen oder eben auch, in dem ich mich in solche Zustände versetze. In einem Flow überlege ich nicht mehr angestrengt, was ich als nächstes spiele und wie ich den Übergang gestalte. Das passiert dann wie von selbst. Ich bin wie in einer Trance – Zeit und Raum verlieren an Bedeutung. Aber damit das so funktioniert, braucht es tatsächlich guter Vorbereitung: Neue Tracks zu spielen, ist enorm spannend. Deshalb brauche ich ständig große Mengen immer neuer Tracks. Für die Suche danach verwende ich sehr sehr viel Zeit. Ich spiele mit einer Traktor S4 und habe mir dafür eine spezielle Konstruktion gebaut und dazu die Software mehrfach auf meine Bedürfnisse umprogrammieren beziehungsweise modden lassen. Letzteres betrifft vor allem die Tastenfunktionen der S4 für und im Library-Modus. Der ist mir sehr wichtig. Denn richtiges Deejaying ist für mich immer ein interaktiver Dialog mit der Crowd. Ich erstelle daher niemals spezielle Playlisten für eine bestimmte Nacht. Äußerst akribisch bin daher jedoch, was die Ordnung in meiner Track-Collection betrifft. Dafür verschlagworte ich jeden Track nach den für mich wichtigen Merkmalen und habe mir zahlreiche “Intelligente Playlists” programmiert. Ich suche nur selten einen bestimmten Track nach Namen, sondern eher eine Auswahl von Tracks, welche stimmungsmäßig und energetisch am besten zu dem passen, was ich erreichen möchte beziehungsweise nach was es der Meute verlangt. Die finde ich mit Hilfe dieser automatischen Schlagwortlisten und wähle mir dann daraus den passendsten Track nach Gehör aus. Ähnliche Tracks zu verbinden, finde ich dabei eher langweilig. Ich nutze viel lieber die kreativen Freiheiten durch Traktor Pro. Tue ich das im Zustand eines Flows, ist das sehr intensiv. Ich verschmelze dabei mit der Musik und der Crowd zu einer regelrechten Einheit. Das ist sehr geil! Doch selbst damit bin ich kein Perpetuum Mobile. Ich muss darauf achten, dass meine Speicher vor so einer Nacht richtig gut gefüllt sind und dass ich sie in der Nacht regelmäßig und intelligent auffülle. Ich trinke vor allem viel Wasser und futtere Obst, Bitterschokolade und Nüsse. Dazu trinke ich selbstgemachte pflanzliche Proteinshakes – und nur hin- und wieder einen kleinen Schnaps. Die Rituale dafür habe ich mit der Zeit immer weiter perfektioniert. Doch warum ich innerhalb dieser vielen Stunden nicht einmal mehr auf Toilette muss, weiß ich allerdings selbst nicht. Aber es kickt mich total, wenn ich selbst vegetative Körperfunktionen mit Hilfe meines Willens so stark beeinflussen kann.

Es lässt sich wohl sagen, dass ein nicht unerheblicher Teil des Publikums nicht primär der Musik wegen kommt. Welche Herausforderungen oder auch Potenziale birgt das für dich als DJ?

Kein:e DJ ist so besonders, dass sie oder er es verdient, der Mittelpunkt einer Party zu sein! Für mich als DJ stimmt die Party, wenn alles tanzt, viele Arme in der Luft sind und ich außerdem möglichst viele Hinterköpfe sehe. Denn die Leute sollen nicht mich feiern, sondern die Musik, sich selbst und das Leben. Aus dieser Sicht habe ich mit dem Kitty einen nahezu perfekten Ort gefunden. Der Club ist immer voll und auch wenn sich dort die wenigsten primär für die DJs interessieren, so geht es dort genauso wenig vordergründig um Sex. Die Leute kommen dort hin, um gemeinsam eine gute Party zu feiern. Sie wollen tanzen. Und dafür gebe ich mein Bestes.

Das KitKat hat in den vergangenen Jahren einen veritablen Hype erlebt, die Schlangen sind länger denn je und in einer arg verwässerten Form ist ein von Fetischmode inspirierter “KitKat-Style” sogar bei den TikTok-Kids angekommen. Wie haben sich diese Entwicklungen auf die soziale Durchmischung auf dem Dancefloor ausgewirkt?

Ha, da fragst Du was! Denn ja, diese Trends sind für den Club tatsächlich eine Herausforderung. Während es die Tür noch vor ein paar Jahren relativ einfach hatte, scheint das heute weit komplizierter. Zum einem, weil gefühlt jede:r hofft, sie oder er würde auf diese Partys passen. Zum anderen verstehen viele einfach nicht, warum sie trotz ihrer Fetisch-Verkleidung keinen Einlass gewährt bekommen. Die Schlange vor dem Club wird dadurch immer länger und das potenziert den Hype immer weiter. Und richtig, der Club beziehungsweise deren Macher:innen sind, man mag es kaum glauben, nicht unbedingt glücklich über den Hype und dass so unfassbar viele Leute Einlass in den Club begehren. Sie machen das seit fast 30 Jahren mit großer Leidenschaft und sie wissen genau, wie sehr alles letztlich von der richtigen Mischung an Leuten abhängt. Dabei ist es fast egal, ob alle das „Passende“ anhaben. Für die Kitty-typische Atmosphäre braucht es vor allem die Leute, die auch vorher im Club waren und oder ihn auf Grund ihrer speziellen sexuellen Neigungen hätten suchen müssen. Aber wo ein Wille ist, scheint auch ein Weg. Denn die Mischung stimmt und wirkliche Sorgen mache ich mir keine. Ich vertraue dabei der Clubchefin. Sie macht das super.

Du hast betont, dass der KitKat Club eben nicht nur ein Erlebnisspielpark sei, sondern auch eine der besten Anlagen der Stadt habe. Was macht der Club in Sachen Sound anders oder besser als andere?

So wie ich über die Rolle der DJs denke, so denke ich auch über die Anlagen. Niemand will irgendwelche Boxen hören, sondern die Musik. Der beste Sound ist immer der, der den Raum erfüllt und bei dem man dessen Herkunft, also die Boxen, fast schon suchen muss. Wenn es dann auch noch überall gleich und richtig fett laut ist, dann ist es richtig. Die anderen Kriterien – Frequenztreue, Ausgewogenheit, Bassdruck- und verteilung – sind für diesen Klangeindruck sowas wie Voraussetzung. Die Kirsch-Audio-Installation in der Main-Halle erfüllt diese klanglichen Ansprüche annähernd perfekt. Als DJ profitiere ich vor allem davon, dass es den Leuten bei dieser Soundqualität viel leichter fällt, loszulassen, und sich mit mir auf die Reise zu begeben.

Gibt es eine besonders denkwürdige Nacht aus deiner Geschichte als Carneball-Bizarre-Resident?

Ja, am 8. März 2020. Es war die letzte Nacht, bevor die Clubs wegen Corona geschlossen wurden. Was haben wir gezittert, ob sie überhaupt noch stattfinden darf! Und was kommt danach? Alle haben geahnt, dass das die letzte Party für eine sehr sehr lange Zeit werden könnte … Und was, wenn es niemals wieder dazu kommen würde? Ich hatte die große Ehre, den Main-Floor in dieser Nacht komplett allein bespielen zu dürfen. Was für eine Party! Es war, als würden wirklich alle alles geben. „The Last Dance Ever?“ – ein elfstündiger Abschied, die wahrscheinlich beste Party meines Lebens.

Was war die Idee hinter deinem Beitrag für unseren Resident-Podcast?

Von früher kennen mich viele vor allem als Oldschool-DJ oder jemand, der gern die alten Tracks in seine aktuellen Sets einbaut. Durch meinen Wechsel von Vinyl zu digital habe ich mich jedoch musikalisch stark verändert. Mein Grundanliegen ist noch immer das gleiche, aber ich kann es durch die ständig unfassbar vielen und guten Neuerscheinungen und durch die Traktor-Software klanglich ganz anders umsetzen. Es war seit langem mein Wunsch, mich medial einmal damit vorzustellen. Der Mix beginnt wie im Club relativ ruhig, aber bereits ab der Hälfte bekommt man einen kleinen Eindruck, was im KitKat ein ordentlicher Peak ist!

Last but not least: Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Eigentlich habe ich im Moment gar keine großen Pläne. Ich fühle mich fantastisch und wünsche mir eigentlich nur, dass es möglichst so bleibt. Oder doch? Auf einem dieser liebevoll gemachten Open-Air-Festivals im Wald, am Strand oder auf einer Wiese würde ich gern wieder einmal spielen.

Stream: Wolle XDP – Groove Resident Podcast 39

01. Low Manuel – Marso (Original Mix)
02. Einmusik, Solee – Mariposa (Original Mix)
03. Valerj – The Others (Damon Jee & Ravintsara Remix)
04. Damon Jee, Ravintsara – Medea (Original Mix)
05. Diamandy, South Punk – Kanga (MVMB Remix)
06. Diamandy, South Punk – Kanga (Original Mix)
07. Kreisel, Monococ – Syntax (Original Mix)
08. Zimmz – Fracture (Original Mix)
09. Patrick Wolf – Space Acid (Original Mix)
10. Basil O’Glue – Choose Wisely (Blanka Barbara Remix)
11. A.D.H.S. – Raveline (Original Mix)
12. Daniel Lesden, Enlusion – Dark Entity (Facade Remix)
13. Alex Di Stefano – Black Flag (Extended Mix)
14. Thomas Schumacher, Lilly Palmer – I Am Machine (Original Mix)
15. Johnny Pereira – Divergent (Original Mix)
16. Luix Spectrum, wHispeRer – The Kids Want Techno (Gitech Remix)
17. Facade – Razor Crest (Basil O’Glue & Nomas Remix)
18. Anfisa Letyago – Rosso Profondo (Original Mix)
19. A*S*Y*S – Sweat & Tears (Original Mix)
20. Toto Chiavetta – Prodotto Astratto (Original Tube Vox On)
21. Egbert – Rollende Technodingen (Original Mix)
22. HI-LO, DJ Deeon, Oliver Heldens – Wanna Go Bang (Original Mix)
23. Yves Deruyter, Dok & Martin – Acid System (Original Mix)
24. Sakin Bozkurt – Arakis (Original Mix)
25. Pavel Petrov, Rafael Cerato – Do You Hear Me (Original Mix)

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