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Die Platten der Woche mit Deena Abdelwahed, Interstellar Funk & Loradeniz, Nick Léon x DJ Python, Space Dimension Controller und Toumba

Deena Abdelwahed – Flagranti – Original Soundtrack (Shouka)

Die neue EP von Deena Abdelwahed startet zurückhaltend, gemächlich schreitend. Rückblickend, nach dem Hören aller vier Stücke, könnte man sagen: Da schleicht sich etwas an, nimmt innerlich Anlauf. Und dieses Etwas kann zusammengefasst als ein vehementer Weckruf bezeichnet werden.

Die Tracks tragen recht heftige Drums, die zwischen Breakbeats und geraden Grooves changieren und gleichzeitig stets eine Fusion der etablierten Dancefloor-Palette mit nordafrikanischen Rhythmen sind. Über diesen Beats bauen Synthie-Bässe, -Flächen und -Sequenzen Bass-Music- und Dub-Step-Verwandtes auf, und immer lautet der unausgesprochene Subtext: Aufwachen!

Kein Wunder, die Infotexte auf Bandcamp & Co. verraten, dass die Songs für ein Theaterstück geschrieben wurden, und nicht für irgendeines, sondern das erste, das in Tunesien und der arabischen Welt Homosexualität und die dort in großen Teilen der Gesellschaft herrschende und von radikalen religiösen Kräften befeuerte Homophobie unverblümt zur Sprache bringt – trotz aller damit verbundenen Gefahren. Mathias Schaffhäuser

Interstellar Funk & Loradeniz – Never Been (Artificial Dance)

Der Amsterdamer Olf Van Elden ist fest in seiner Heimatstadt verwurzelt. Mit einer Reihe von EPs bei Rush Hour, regelmäßigen Auftritten auf dem Dekmantel sowie einer LP auf dem zugehörigen Label und schließlich seinem eigenen Imprint Artificial Dance. Dort erscheint nun eine EP von ihm als Interstellar Funk und der aus Istanbul stammenden Künstlerin Loradeniz, entstanden während einer Artist Residency 2021.

Zu hören ist, was es bei Interstellar Funk schon immer gab: dicke Synth-Melodien im Stile der Achtziger und allem, was seither in dieser Tradition folgte. Vintage klingt die Platte deshalb schon mal. Zu den Synthies gesellen sich Loradeniz’ Vocals, die alles eine Spur poppiger wirken lassen, besonders im Opener „Fly Me In”; der Rest changiert zwischen schwerer Melancholie und Dancefloor, mit Ausschlägen in beide Richtungen. Gutes DJ-Material für die richtigen Momente. Leopold Hutter

Nick León x DJ Python – Esplit EP (Worldwide Unlimited)

Im vergangenen Sommer erst hatte der Produzent Nick Léon aus Florida mit „Xtasis” eine schwül-fiebrige Clubhymne für die heißen Tage abgeliefert, das neue Jahr beginnt er zusammen mit dem Kollegen DJ Python etwas abgekühlter. Letzterer bringt seine Reggaeton-Derivate ohnehin in verfeinerter Form in die Plattenrillen ein, was sich womöglich anregend auf Nick Léon ausgewirkt hat.

Im Vergleich zu dessen beiden eher filigran gehaltenen Tracks hat DJ Pythons „I’m Tired” durch seine rastlosen Hi-Hats sogar etwas kontrolliert Hektisches, im Übrigen tragen die einzelnen Spuren bei ihm aber wie gewohnt nie zu dick auf. Mit „uwu” geht es dann hinaus ins Freie, pochend Schwebende. Auch das kann er. Tim Caspar Boehme

Space Dimension Controller – Neuclidea (Running Back)

Der Track „Journey To The Core Of The Unknown Sphere” auf dem Clone-Sublabel Royal Oak im Jahr 2010 schleuderte Jack Hamill alias Space Dimension Controller im Jahr 2010 an allen depressiven, schwarzen Technolöcher-Clubs vorbei und verschmierte auf der Grenze des Ereignishorizonts die kausal-physischen Dancefloor-Zusammenhänge der Disco-Wurmlöcher in Richtung deepe Electro-Techno-Multiversen. Das war kantig-runder, elektronischer Space-Jazz-Funk.

Nach Veröffentlichungen auf Ninja Tune oder Dekmantel wirkt Hamills Sound heute, 13 Jahre später, wesentlich geradliniger. „Neuclidea” im Hodge-Remix könnte eine tranceige Mischung aus Joris Voorn, Jus’ Ed, Martin Buttrich und Planet E aus den Nullerjahren sein. Während das Original in der Beatstruktur irgendwie frequenz-verdreckten Minimal-Jack abfeiert, pumpt die Synthfläche mit Side-Chain-Kompressor-Deutsch-Techno-Ästhetik im Pasta-Records-Stab-Keys-Stil. Weshalb denke ich an Audio Werner? An diese etwas unsaftig poppenden Minimal-Beats schließt „Life Window” als seltsam verspulte, zu schnelle, Jimpster-esque 2005-Reminiszenz an. Dann dröhnt „Sunset Operator” mit guter alter Synthflächen-Wärmeharmonie-Verlorenheit psychotisch per Sechzehntel-Sägezahn-Modulation fröhlich blinzelnd, schwitzend und jackend der balearischen Sonne entgegen. Mirko Hecktor

Toumba – Petals (Hessle Audio)

Toumba ist ein Produzent aus Amman, der Hauptstadt Jordaniens. Die Tracks auf Petals, seinem Debüt auf Hessle Audio, bauen treibende Rhythmen, anderswo auch Dancehall-Beats mit Betonung auf Eins und Drei. Auf „Istibtan” folgt ein Gleiter aus gebrochenen Beats auf eine sphärische Einführung, der mit metallen klingenden Seiten ebenso aufgechoppt wird wie mit einem stoischen Brummbass. Der Titeltrack schnarrt in blechernen Offbeats mit gut Kick dahin. Dabei lässt Toumba mit vielen kleinen Überraschungen das Thema variieren. „Hazzeh” ist eines dieser subwoofenden Segelschiffe in der Luft. Getragen mäandert ein flötenhafter Synthesizer-Ton durch die Sphären. „Identity Crisis” schließt diese EP mit Kulleraugen-Keys und einem beschwingten Ragga-Beat ab. Flattert gut perkussiv durch die Keller. Christoph Braun

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