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Januar 2023: Die essenziellen Alben (Teil 1)

Alexander Robotnick – Simple Music (Hot Elephant)

Alexander Robotnick geht es auf Simple Music laut Eigenaussage darum, „Melodien für jede Umgebung zu schaffen, (…) einfache Musik zu produzieren, die in einer risikoscheuen Musikszene echte Gefühle erzeugt.” Das lässt Konsens-Pop befürchten, entpuppt sich aber als genaues Gegenteil davon.

„Simple” ist auf diesem Album höchstens der erste Eindruck, aber schon bei ein klein wenig intensiverer Beschäftigung damit wird schnell klar, dass Robotnick in allen Songs immer eine Wendung mehr als üblich einbaut. Hier werden kein musikalischer Zuckerguss und altbewährte Disco-Klischees benutzt, um überall und bei jedem zu funktionieren, sondern auf spezielle Art subtile und klug kreierte Arrangements. Und im Gegensatz zu ähnlichen Electro-Pop-Entwürfen ist Robotnicks nie augenzwinkernd oder ironisch. Stellenweise durchaus humorvoll, aber ohne Gespielte-Witz-Attitüde, ohne klanggewordenes Konfetti.

Genauso sind auch seine Funkyness, jeder Vocoder-Einsatz und auch die gut verteilten Melancholie-Anflüge stilsicher und in gutem Abstand zu allzu offensichtlicher Ableitbarkeit inszeniert. Bestes Beispiel dafür ist der verhaltene Mid-Tempo-Discotrack „Underpass”, in dem ein simpler (!) Synthiebass auf eigentümlich-synthethisches Gurren und zeitloses New-Wave-Understatement trifft. Mathias Schaffhäuser

Christian Wünsch – Black Sun (Tsunami)

Mal nennt er sich Christian Wünsch, mal Christian Wunsch, bürgerlich heißt er Christian Rodriguez Ontabilla. Seit den späten Neunzigern steht er für kompromissloses Techno-Geschredder. Eine Pointe seines Ansatzes liegt darin, dass das technoide, hypnotische Grundgefühl von unerwarteten, lebendigen Sounds gebrochen wird, in denen antagonistische Kräfte miteinander ringen. Dass Wunsch nie in die erste Reihe durchstach, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass er ein Spätgeborener ist, dass er am Anfang seiner Karriere gegen die minimalistische Verhaltenheit der frühen Zweitausender anschranzen musste.

Sein fünftes Album klingt da vergleichsweise aufgeräumt. Wo die Bassdrum einst unerbittlich forderte, strahlt sie jetzt eher Verlässlichkeit aus. Die raumgreifenden Synth-Figuren unterwerfen sich keiner Logik des Arrangements, sie klingen, als seien sie in spontanen Jams entstanden. Jeder Track setzt eine einzige, fest umrissene Stimmung, „Gravity Control” etwa klingt nach einer extraterrestrischen Reise in ferne Welten, in „Perpertual Vortex” eskaliert ein Konflikt überraschend schrill. Der schönste Track des Albums, „Circulation of Elements”, spiegelt dessen Grundstimmung: Euphorie und Gelassenheit schließen Frieden miteinander. Alexis Waltz

Deathprod – Compositions (Smalltown Supersound)

Das letzte Album Sow Your Gold In The White Foliated Earth basierte noch auf Deathprods Verarbeitung von Saiten, Gitarren-Saiten, Bass-Saiten. Nun folgt eine Sammlung elektronisch erzeugter Compositions. Der 1971 in Norwegen geborene und in Bergen arbeitende Helge Sten schuf diese Stücke mit einigen anachronistischen Prozessoren und Klangerzeugern. Sie tasten sich von reduzierten Klangbildern zu mehr Fülle vor, halten diese im mittleren Teil und dünnen gen Ende leicht aus.

Betitelt sind die Aufnahmen lediglich mit den Zahlen von 1 bis 17. In der „1” entwirft Deathprod einen metallisch klingenden Kuppelraum, indem er aus Schallwellen eine besonders physische Architektur erbaut. Die Töne weiten sich und höhlen so den Moment aus. Diese nach innen blickende Gestimmtheit behält Compositions bei. In der „2” bleibt Deathprod in diesem Raum, fügt aber nervöse, schwärmende Muster hinzu. Fortan wird der Raum ausgelotet, mit „3” seine Tiefe durchschritten. Ab „5” öffnet er sich, und die Stimmungen variieren, die Stücke werden länger. Am Ende der 17 Compositions steht eine erweiterte akustische Wahrnehmung, ein Abtasten der Umwelt mit den Ohren. Christoph Braun

DJ Shufflemaster – EXP (Tresor) [Reissue]

Wenn man sich nochmal ins Jahr 2001 zurückversetzen sollte, würde man dort wahrscheinlich in einem Plattenladen über die EXP von DJ Shufflemaster stolpern und sich fragen, ob dieser kompromisslose, puristische Techno-Rundumschlag nun aus Berlin, Detroit oder London stammt, um dann nicht schlecht zu stauen: Tresor war damals an den in Tokio aktiven Tatsuya Kanamori herangetreten, der in der zweiten Hälfte der Neunziger zu weltweiter Aufmerksamkeit gekommen war. Jetzt erscheint sein immer noch einziges Album als erweitertes und neu gemastertes Reissue, natürlich auch wieder bei Tresor.

Zu den Neuzugängen auf der Dreifach-LP zählen drei Stücke der ebenfalls 2001 erschienenen Angel Gate EP, darunter ein Surgeon-Remix, mit dem Kanamori bekanntlich besonders gut konnte. Die beiden Angel-Tracks erweitern die Perspektive auf Shufflemaster um einen mystischen, britisch anmutenden, dubbigen Stepper sowie rollenden Dub-Techno, der die Brücke schlägt zu den mehr an Basic Channel erinnernden Stücken wie „P.F.L.P.” oder „Opaqueness”.

Überhaupt geht es bei Shufflemaster extrem loopig zu, darauf muss man schon stehen. Wer allerdings auf dem psychedelischen Maschinensound der Zeit hängengeblieben ist – der mit seinen 140 BPM gerade wieder salonfähiges Tempo fährt–, findet in dieser umfangreichen Zusammenstellung (ganze 17 Tracks fasst die Digi-Version) jede Menge stil- wie kraftvolles DJ-Futter für lange Winterabende. Leopold Hutter

Fred P – States Of Bliss (Private Society)

Deep House ist wohl das Genre der Clubmusik, in dem sich besonders ausgeprägte Zustände der Seligkeit erreichen lassen. Beat, Bass und Harmonien fügen sich hier gern zu Gebilden, die von spiritueller Ekstase nicht allzu fern sind. Der Produzent Fred Peterkin alias Fred P hat sein jüngstes Album daher mit einiger Folgerichtigkeit States Of Bliss genannt, auf dem er zwei EPs gleichen Titels zusammengefasst hat.

Sein teils unterwegs, teils im Studio in Berlin entstandenes Album mischt dabei techy anmutende Tracks wie „In the Flow” mit klassisch deepflächigen Nummern, von denen einige, „Elevated State” etwa, kaum einen Beat benötigen, um in einen Fluss zu kommen. Überhaupt öffnet sich die Musik bei Fred P diesmal in verschiedenster Form, baut in „Live Your Way” auf einem funky Bass-und-Schlagzeug-Groove auf und gestattet sich in „River” und „Awakening Soul” hingegen mehr oder minder puren Ambient, mit Soul, wenn man so möchte. Was in „NY” dann durch umso hektischere Breaks ausbalanciert wird.

Das könnte man manieriert finden, doch bevor man das tut, sollte man erst dem lateinamerikanisch inspirierten Finale „High Fusion” eine Chance geben, das seinem Namen mehr als gerecht wird. Wenn da keine Glückseligkeit aufkommt, weiß ich auch nicht. Tim Caspar Boehme

Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.

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