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Dezember 2022: Die essenziellen Alben (Teil 2)

Maedon-X – The Lion & The Ram (Tresor)

„Treffen sich ein Löwe und ein Widder im Tonstudio” – was der erste Satz eines obszönen Kneipenwitzes sein könnte, ist die Kollaboration der beiden Freizeitastrolog:innen Maedon und Adam X. Projektname: Maedon-X. Kann man für unkreativ befinden, ist es auch. Die Musik auf ihrem Tresor-Release ist es aber nicht. Dass Widder und Löwen eine explosive Mischung sind, kann man auch ohne erfolgreich abgeschlossenen Bachelor in Esoterik hören.

„Breath It In” ist der Albumeinstieg, den fanatische Berghainstammgäst:innen mit Bondagefetisch genüsslich inhalieren werden. Der Track ist die sinnbildliche Essenz dieser Sternzeichensynthese. Hart, härter, Maedon-X. Minimalismus wird hier hochgehalten. Das Sounddesign maßt sich nicht zu viel an. Das ist angemessen. Die funktionale Schiene zu befahren, gelingt den beiden Künstler:innen mit spielerischer Leichtigkeit. Besonders wirksam ist dieses Prinzip immer dann, wenn Maedons Stimme sich leichtfüßig über ein weiteres Brutalo-Stück legt und die intendierte Vier-Viertel-Drum-Machine-Monotonie aufbricht. The Lion & The Ram will nicht als Album mit Mehrwertcharakter verstanden werden – ist aber fantastisch für das pulsierende Fickvergnügen in Lack und Leder. Andreas Cevatli

Maedon-X – The Lion & The Ram (Tresor Records)

Mathis Ruffing – Skybox (Transatlantic)

Als alter Junglist habe ich schon lange ein Auge auf diesen jungen Wilden Mathis Ruffing geworfen. Endlich ein waschechter Genre-Innovator in einem schon von zu vielen halbherzigen Revivals geplagten Feld? Zumindest hätte Ruffing schon mal den passenden Nachnamen in einem ehemals für seine Ruffness bekannten Genre. Doch tatsächlich schert sich sein Debütalbum Skybox wenig um althergebrachte Konventionen und fällt mit der Neon-Türe ins Gabba-Haus, nur um damit den spaßigsten Jungle-Neuentwurf der letzten Jahre abzuliefern.

Der Opener „Ultranova” zeigt gleich mal, wo die Kickdrum hängt: nämlich auf 180 BPM und ohne Pause. Mit Hochgeschwindigkeits-Breaks schafft Ruffing ein enormes Energielevel, setzt dem durch cleveres Arrangement und weiche Pads aber immer wieder Ruhepausen entgegen. Diese Balance zieht sich durch Skybox wie ein roter Faden, während die Produktionen allesamt glanzvoll schimmern und in ihrer Druckkraft jugendliches Ungestüm verkörpern. Die dabei oft trancigen Synths passen zum Hause Transatlantic (Berlin/Amsterdam/Nthng), wo das Album erscheint.
Bei so viel Stimulation wird es schon mal zu bunt, aber dank immer wieder platzierter Mini-Breaks gibt es genug Raum, um sich in diesem verrückten Klangwelten genauer umzusehen. Dabei fällt auf, dass es hier weniger um seriöse Musik als vielmehr den größtmöglichen Spaß geht. So könnte der Titeltrack etwa genauso gut „Gummibärenbande auf Acid” heißen. Warum ich Ruffing bei dieser hyperaktiven Neuerzählung von Jungle trotzdem gerne bis zum Ende zuhöre? Weil es einfach so viel Laune macht! Leopold Hutter

Move D & Dman – All You Can Tweak (Smallville)

David Moufang räumt seit geraumer Zeit seine Festplatten auf und lässt uns alle daran teilhaben. Nachdem er zuletzt über das mittlerweile reaktivierte Label Source eine sechsteilige Reihe von Live-Aufnahmen aus Lockdown-Zeiten veröffentlichte, folgt nun mit All You Can Tweak eine Zusammenstellung seiner gemeinsamen Arbeiten als Move D mit Dman auf der spirituellen Zweit-Homebase Smallville. Dman ist ein Pseudonym Dirk Manteis, unter anderem bekannt als Gründer des Milk! und Solo-Künstler, der zuletzt eine wunderbare EP auf Workshop veröffentlicht hat.

Moufang und Mantei fanden Ende der Achtziger in Heidelberg zueinander, wo der konstante Austausch zwischen einzelnen Szenefiguren wie auch den verschiedensten Stilen eine Selbstverständlichkeit war. Die sieben Stücke ihrer gemeinsamen Doppel-LP entstanden zum Teil in den frühen Neunzigern, zum Teil ist es während der Zehnerjahre bis ins Jahr 2021 entstandenes Material. Obwohl einzelne Tracks im Klang von einer leichten Patina geprägt sind, werden diese zeitlichen Differenzen kaum hörbar. 

Das liegt auch an der rekombinatorischen Verve, mit denen die beiden vorgehen: Techno und House werden von ihnen nicht als Stil-, sondern Steilvorlagen hergenommen, mit Bleeps, Pads, jazzigen Keys und buttrigen Basslines auf unkonventionelle, scheuklappenlose Art und Weise aufgeladen. Ambient, Deep House, IDM, Detroit-inspirierter Techno: Es ist ein bisschen so, als würden die beiden all das wieder zu einer großen Ursuppe zusammenrühren, nachdem es viel zu lange grundlos getrennt voneinander existierte. Musik von schillernder Schönheit, alterslos und nachhaltig innovativ. Kristoffer Cornils

Nicky Soft Touch – Lonely City Cuts (Time Is Now)

Der Verleser ließ zunächst liebliche, also „lovely“ Innenstadt-Schnitten erwarten. Auch dieser Titel träfe zu. Denn Nicky Soft Touch macht Innenstadt-Musik Bristoler (wo er lebt) und Londoner (wo er eine zeitlang lebte) Prägung. Innerhalb des Spektrums jedoch klingen seine augeschnittenen Beat-Arithmetiken freundlich, wohlzumut und gut drauf, wenn auch der raue Winterwind durch graue Gassen bläst wie in „We Absolutely Love This Music“. Da kontert Nicky Soft Touch den Meteo-Mätzchen mit warmen Synthie-Flächen, die das Stück in diesen rosa-orangenen Farbtönen erklingen lassen. 

Oder „They Held Each Other While The Ceiling Dripped“, so eine „Der arme Poet“-Romantik! Zwar tauchen zunächst Spuren Burialschen Geisterspuks auf. Vor allem aber ist der Track ein Spielplatz aus Samples, Bleeps und gebrochener Rhythmik. Und ein Spielplatz ist zum Spielen gemacht, und das macht Nicky Soft Touch. „It Bothers Me Everyday“ trägt Congas auf in einem sehr funky Stil, „Then There Was Mass Chanting“ ist eine von Soul-Stimmen gepushte Hymne für den Floor, ebenso „Lost In A Sea Of Rolling Eyes“. 

„Lonely City“ führt als klassisches HipHop-Interlude in die Variationen des „Lonely City Cuts“, die als Variationen von Eins bis Vier auftauchen. Etüden verschiedener Würge- und Sirenen-Bässe, Stimmschnitzereien, funky Breaks. So gekonnt, so Abbild eines Stils und dabei immer aufs Spielen setzend, dass es an Damiano von Erckerts „In Case You Don’t Know What To Play“ erinnert, nur dass es dort eben um House ging. Christoph Braun

Principles Of Geometry – ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ (Tigersushi)

Die Musik von Guillaume Grosso und Jeremy Duval habe ich eigentlich schon immer hart links liegen lassen. Der Sound des Duos aus dem französischen Lille bedeutete mir schlicht rein gar nichts. Dabei hatte ich vergessen, dass das Debütalbum von 2005 genau so klang, wie ich schon immer fühlte. Und zu diesem Sound – abseits des dann doch übertrieben breitbeiningen Sounds der letzten Alben und Singles – kehren Grosso und Duval mit ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ zurück.

Die 26 Tracks (warum nicht!) sind eine Tour De Force durch die Zeit, in der Ambient und Acid mehr verband, als der gemeinsame Anfangsbuchstabe. Künstler:innen wie Gimmik poppen auf. Oder Kettel mit seinen beiden Myam-James-Alben. Und natürlich das backroomige Erbe aus UK zwischen Warp und Rephlex. Klingt nach Klischee, ich weiß. Die in Studio-Hardware gegossene Referenzmaschine der beiden Musiker ist aber so offenherzig niederkniend vor ihren Idolen, dass selbst die wenigen wirklich klischeehaften Gesten und coveresken Ideen die Aufbruchstimmung von damals nahtlos weitererzählen. Thaddeus Herrmann

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