Full EFX – Headrush (L.I.E.S.)
Die Musik von Anthony Parasole war immer schon gleichsam rüde wie raffiniert, übellaunig wie fein austariert. Der Opener und Titeltrack seines neuen Albums Headrush mutet da zuerst wie ein Schlag vor den Kopf an: gehetzter, von psychotischen Klängen umspielter Bigroom-Techno mit Lo-Fi-Charakter wirkt für seine Verhältnisse unsubtil. Das mag allerdings zum Konzept seines neuen Projekts Full EFX passen, und vielleicht ist dessen Name Programm. Das etwas zerfahrene Arrangement des Auftakt-Tracks lässt nur befürchten, dass Parasole den vollen Effekt notfalls mit der Brechstange erzwingen möchte.
Doch diversifiziert sich das Klangbild weiter aus, entern andere Rhythmen und Klänge das Bild. „For a Second” ist ein trancig-groovendes Monster, das Elemente aus Techno, House und Electro durcheinanderwirft, „No Love” klingt wie eine versehentlich auf 33 ⅓ RPM abgespielte Neunziger-12-Inch und „Friends” ist ein House-Tune mit verstotterten Vocals und kratzigen Chords. Das absonderliche Highlight indes ist „Skytel Pager”, ein Riddim-getriebener Midtempo-Tune mit scharfen Handclap-Salven und retrofuturistischen Synthies. Es ist vielleicht eher das Schlüsselstück dieses Albums, das ebenso unbekümmert wie engagiert Elemente aus den verschiedensten Stilen zusammenwirft – rüde, und doch raffiniert. Kristoffer Cornils
Hadone – What I Was Running From (Things We Never Did)
Die Kickdrum pumpt den Darkroom aus, Hadone haut ein neues Album raus. Die französische Abrissbirne mit Hang zum Hi-Ha-Hedonismus weiht sein neues Label Things We Never Did ein – mit neun Tracks, bei dem sich der Goa-Ferdl und die Jungle-Susi die Hände reichen. Zwischendurch dürfen sich Düster-Dandys zur gehobenen Vierviertel-Fickerei zusammentun, während Electro-Hapschis oberkörperfrei in die erste Reihe drängen. Warum? Weil’s eine Gaudi ist!
Wer die Dekadenz des Dancefloors schätzt, bleibt bei Hadone sowieso draußen. Was sich im Ausfallschritt zwischen zwei Hi-Hats pressen lässt, knallt der Typ auf What I Was Running From mit 145 Bar durch den Kompressor. Dass er damit keine Story zu erzählen hat, ist wurscht, weil man zu den Glitzer-Melodien mit 90s-Flavour und Abführmittel-Bässen ohnehin am Backenzahn der Zeit operiert.
Die Platte zerfällt in neun Moods zwischen Balla-Balla-Bängern wie „Slow Burn Confessions” und Closing-Chaos wie „Max Was A Charakter From Jojo”. Wer sich mittendrin statt nur dabei die Teile ballert, reimt sich daraus trotzdem eine ziemlich geile Gschicht zusammen. Christoph Benkeser
Hrdvsion – How To Make Good Music and Be A Happy Person (Creaked)
Endlich mal wieder wirklich ungestüme und noch dazu aufregende Musik! Während Mike Paradinas’ kürzlich erschienene LP als µ-Ziq zwar versuchte, an den IDM-Jungle-Ambient-Techno des vergangenen Jahrtausends anzuknüpfen, dann aber ein blasses Nostalgie-Abziehbildchen blieb, schafft es Nathan Jonson, der Bruder von Matthew Jonson, alias Hrdvsion, die Experimentierfreude dieser Anfangstage wieder deutlich spürbar zu machen. Wohl auch deshalb, weil es sich bei How To Make Good Music and Be A Happy Person tatsächlich um eine Sammlung bislang unveröffentlichter Aufnahmen aus den späten Neunzigern und frühen Zweitausendern handelt.
Ohne Rücksicht auf vermeintliche Kompatibilität von Genres oder Elementen clashen hier verstörend verzerrte Nintendo-Sounds mit frickeligen Hochgeschwindigkeits-Rhythmen; bleepende Synths dürfen neben verstaubten Samples existieren und eigenwillige Maschinen versprühen ihr unberechenbares Innenleben — und überhaupt scheint sich alles ständig neu zu arrangieren! So lässt sich zwar kein roter Faden ausmachen, aber Hrdvsions Vorstellung von guter Musik ist eine nicht zu fassende, unpolierte Vielfalt an sich ständig verändernden Ideen und Sounds, deren einzige Agenda der stete Drang nach Neuem ist. Vielleicht nichts für Kaminfeuer und Rotwein, aber für Analogliebhaber:innen und Aphex-Twin-Fans durchaus einen Blick wert. Leopold Hutter
Katatonic Silentio – Le Chemins De L’Inconnu (Ilian Tape)
Die italienische Soundkünstlerin Mariachiara Troianiello verlängerte letztes Jahr mit ihrer EP Tabula Rasa als Katatonic Silentio die Milan-München-Achse von Ilian Tape. Beim bavarischen Breakbeat-Techno-Imprint erscheint nun, in Zusammenarbeit mit dem Label Normcore aus Bristol, ihre zweite Solo-LP. Wie Troianiellos übrige Projekte auch bewegt sich die Platte auf der Schneide zwischen Sound-Design-Experimenten und Club-Einflüssen.
Neun Tracks lang lässt sich der Workflow der Künstlerin nachvollziehen, den sie der Groove gegenüber mal als „erratisch und chaotisch” beschrieben hat. So beginnen viele Stücke mit nur einem einzigen Element, um das herum sich dann langsam eine akustische Kulisse aufbaut, aus der ab und zu Rhythmen hervorgehen.
Ähnlich wie auf ihrer jüngsten EP führt das hin und wieder zu Breaktbeat-ähnlichen Klangkonstrukten, deren konkrete Formen aber zum großen Teil in einem abstrakten Nebel aus Hall und Geräuschen verborgen bleiben. Das Pendel zwischen Club-Affinität und dekonstruiertem, dystopisch-industriellem Sounddesign schlägt doch eher deutlich in Richtung der experimentellen artistischen Ausrichtung aus. Leopold Hutter
Lotus Eater – Plasma (Stroboscopic Artefacts)
Unterm Strich ist es gleich, ob Luca Mortellaro und Seth Horvitz im Team oder Alleingang operieren: Als Lucy und Rrose brechen die beiden seit über einer Dekade ebenso mit Konventionen elektronischer Musik wie unter ihrem Alias Lotus Eater, bislang als The Lotus Eaters bekannt. So wie das Debüt Desatura vor vier Jahren eine Art reduzierter Klangbaukasten war, mit dem das Duo experimentierte und dabei nicht selten an den Radiophonic Workshop der BBC erinnerte, so ist auch der Nachfolger Plasma auf eine sorgsam selektierte Palette synthetisierter Sounds beschränkt, mit denen sowohl auditive als auch vestibuläre Verwirrung ausgelöst wird.
Wie im Taumel einer unangenehmen Überdosis mäandern Feedbackloops durch die Ohrmuschel, dehnen sich stark modulierte Shots zu perkussiven Strukturen aus und erzeugen dann aufgrund ihres fremdartigen Klangs vage, aber beunruhigende Bilder von Maschinen, die Maschinen produzieren. Techno im Sinne von minimalistischer, rhythmischer, repetitiver Musik wird hier auf eine Weise aller tanzbaren Aspekte entledigt, die zwar nicht mehr wirklich neu ist, aber nur selten so konsequent und detailverliebt zur Umsetzung kommt – mittlerweile Trademark einiger Veröffentlichungen auf Stroboscopic Artefacts.
Vorm inneren Auge zeichnet die klangliche Ausgestaltung auf Plasma den vierten Aggregatzustand als eine ebenso physikalische wie dämonische Macht, die unserer Spezies dabei hilft, gottgleiche Maschinen herzustellen und den Planeten nach eigenen Vorstellungen zu formen. Werden sie ihn vor uns, mit uns oder nach uns verlassen? Wissen wir, was wir da tun? Oder sind wir eher wie Goethes Zauberlehrling, der die Kontrolle über seine Kreation früher oder später verlieren wird?Tracks wie das panische „Lost Conductor” mit seinen gleißenden FXs und ionisierten Strömungen oder der ominöse Endzeitambient in „Pray” scheinen vage bis düstere Antworten zu geben. So raunt es am Schluss, als würden sich selbst replizierende Maschinenschwärme in den Kosmos erheben und eine tote Erde zurücklassen – Soundtracks fürs Lesen guter Sci-Fi-Romane also. Nils Schlechtriemen
Minder – Sanctuary (Hypercolour)
Im vergangenen Jahr beging Minder seinen Einstand mit dem umfangreichen Album Telepathy, gut 100 Minuten Rave rund um Drum’n’Bass. Die Spielzeit hat der Produzent auf Sanctuary mit knapp zwei Stunden an Tracks jetzt locker überboten. Die Länge verdankt sich vermutlich auch dem in beiden Fällen gewählten Format: Mit Minder erfährt das Rave Pack ein Revival, zwei Kassetten in einem gemeinsamen Gehäuse. Eines der Dinge aus der Geschichte von Rave, die Minder aufleben lässt. Vor allem aber ist seine Musik eine Feier des großen und tiefen Basses.
Schon in den ersten drei Tracks ist einiges an Terrain abgesteckt. „Ard” beginnt die Fahrt mit lässig-verschmitztem Grime, „Mills” bietet lyrischen Drum’n’Bass, während sich „Boxes” an Ragga Jungle abarbeitet. Bei aller historischen Verbundenheit sind die Nummern bei ihm selten rein rekonstruktive Annäherungen an den Hardcore-Komplex. Am deutlichsten demonstriert er das in „Knotted”, das seinem Titel alle Ehre macht mit einer Viertelstunde an mäandrierenden Beat-Mutationen in unterschiedlichste Richtungen. Ob der Weg von hier in die Zukunft führt oder dann doch die Nostalgie obsiegt, weiß man vielleicht bei seinem nächsten Rave Pack. Tim Caspar Boehme