Wer morgens wie ein Eiszapfen unter der Dusche hängt und neuerdings mit Teelichtern die Altbauwohnung heizt, tut sich keinen Gefallen. Besser, man holt sich endlich einen neuen Subwoofer. Damit lassen sich nicht nur kühle Knochen durchschütteln. Auch die Nachbarn profitieren. Außerdem bliebe noch genügend Kohle über, um an die eigene Zukunft zu denken und sie in Tapes anzulegen. Tipps zur nachhaltigen Investition kommen ausnahmsweise nicht von den Erklärbären der Ampel, sondern von Tapestry – mit Sounds aus Bristol, Kiel und einem Gameboy.
Surgeons Girl – Sever (Lapsus)
Als Sucker für vier Akkorde und ein Halleluja lebt man aktuell gefährlich. Ecstasy-Euphorie gluckst aus jedem Mashup-Bänger, während sich Melancholie-Moments in Boiler Rooms und Arte-Streams quetschen. Surgeons Girl, die aus Bristol kommt und eigentlich Sinead McMillan heißt, rät deshalb zum operativen Eingriff.
Nachdem sie zuletzt für Livity Sound am Modularbaukasten hantiert hat, verkabelt sie für Lapsus Records den Maschinenpark. Nach fünf Tracks ist der Patient stabil. Tränen kullern über die Wange. So schön hat elektronische Musik seit den Neunzigern nicht mehr gefunkelt!
FUTUR-Z – Vies Parallèles (Beerbird)
Die Vibes sind real, die Parallelen da – FUTUR-Z klingt wie Françoise Cactus, die uns den Hintern mit Stereo-Total-Seide aus dem Juke-Box-Jenseits auswischt. Wer hinter dem Projekt steckt, bleibt geheim.
Mit Vies Parallèles erscheint aber eine Electro-Exegese auf Beerbird Records, für die man den Langenscheidt rauskramt und zum Viervierteltakt die Zunge spitzt. Klar: Beerbird, das Tapelabel aus NRW, spult zwar nur alle heiligen Zeiten an den Kassettenbändern. Wenn was rauscht, enthusiasmiert man sich aber zur Spontanekstase. Bestes Tape für den Französisch-Förderkurs!
VA – Phantom Glade (Beach Buddies)
Marie Vermont, Wald-und-Wiesen-Krachbeschwörerin mit zwei Handerln für Sägezahn und Sinuskurve, schupft ein neues Tape ins Kassettenfach. Es knarzt, es fiept, die Welt steht still. Und plötzlich, voller Übersicht, tauchen sie auf: die Düsterdandys des Wiener Noise, die Wächterinnen des Zischpingpengs. Schauer, Denk und Nicolussi. Widder und RSMA. Sie alle stöpseln sich in den Verteilerkreis und reißen zwischen Donau, Prater und Südosttangente einen Graben auf.
SNKLS – Glu River (outlines)
Überraschung, französischer Footwork klingt nicht nach Chaos aus Chicago! SNKLS, ein Producer aus Lyon, hackelt eher an der Dystopisierung unserer Bewegungsmotorik. Zwischen Vibes aus dem Darkroom und Beats aus dem Blockseminar für Künstliche Intelligenz malträtiert SNKLS die Magendecke so lange mit seinen Füßen, bis man jeden Viervierteltakt als Angriff auf das eigene Weltbild interpretiert.
Nachdem der Producer zuletzt auf Labels wie Club Late Music aus London und Polaar in den Shuffle-Mode geschaltet hat, crasht er mit Glu River zu outlines aus Wrocław. Das passt wie ein Subbass zur 909. Beim polnischen Label schiebt man den Pitchregler mittlerweile jeden Monat nach oben. Hoffen wir mal, dass sie irgendwann eine Bewegungsanleitung zu den Bängern packen.
Répéter – Blue Perfidia (Tropiques Dangereux)
Die einen graben den Wollpulli aus. Die anderen schmeißen sich mit Blue Perfidia ins Hawaiihemd, süffeln den ganzen Tag Margaritas und lüften mit der Klimakohle den Kühlschrank durch.
Martin Werner, ein Hobby-Hunter-S.-Thompson mit Koffern voller Dub-Downer, stopft sich die Trompete und schnallt das Surfbrett unter die Füße. Flipper schnattert mit, wenn man über eine halbe Stunde durch den exotischen Ableger von David Lynchs Black Lodge tingeltangelt. Keine Frage, das ist ein Tape, für das man weder Alkohol noch Psychopharmaka braucht, um sich unfallfrei durch den Winter zu mogeln.
Paula Temple – Live from the Mill, Summer of 1995 (Never Sleep)
Alles bleibt so, wie es ist! Auf Never Sleep, dem Kaugummiautomaten von Gabber Eleganza, erscheint ein Mixtape von Paula Temple – und Techno klingt endlich so wie damals, weil, Moment mal: Da steht, dass das Ding von 1995 ist! Smash mich hart, der Bums klingt heute genauso wie vor 30 Jahren? Kraaaaass, ey, da hat sich ja echt nix verändert!
Weil heute eine neue Generation in Raverbrillen und Plateauschuhen als Abziehbilder der Technogeschichte rumhampelt, fällt das aber nicht weiter auf. Die Kickdrum prügelt im Loop. Trance blinzelt durch. Und wer mit Marusha noch was anfangen kann, heult heute in den YouTube-Comments von früher!
Das Tape findet ihr hier.
Malasso – Good, You’re Here, It’s Time (100% Silk)
Die Heizung kalt, der Magen leer – da wünscht man sich den Sommer her! Umso besser, dass Malasso, ein Producer aus Malta, auf 100% Silk zehn Tracks für immerwährende Sonnenstrahlen ausgebrütet hat.
Good, You’re Here, It’s Time wirkt wie fünf Schichten unterm Heizpilz, drei Tageslichtlampen und ein kräftiger Schluck aus dem Flachmann. Spätestens nach dem dritten Synthloop glüht man vor Vergangenheitsbewältigung – für verloren geglaubte Summer Sadness und eine Zeit, als man unter 1080p noch kein Breitbandfiasko auf Netflix verstanden hat.
Rico Friebe – The Silva Sessions (Time In The Special Practice of Relativity)
Rico Friebe kennen die Technojunkies für Betonmischanlagen, die er unter seinem Puestel-Pseudonym seit Mitte der Nuller produziert. Dass der Mann aus Kiel nebenbei in die weißen Tasten haut, wussten bisher aber nur Freund:innen und die Frau Mama.
Für The Silva Sessions hat Frah-, äh, Friebe den Flügel ins Freie geschoben. Die Vöglein zwitschern, das Band rauscht. Wer in Harmonielehre den Heiland sucht und bei sogenannter Neoklassik nicht an kalten Kakao denkt, findet hier ein Album, für das Duftkerzen und Lavalampen erfunden wurden. Dass man nach drei Etüden automatisch mit sich selbst zu füßeln beginnt, hängt übrigens mit dem Bliss-Faktor des Tapes zusammen.
divmod – mushroom wasteland (Arcade Glitch)
Man hat ja schon einiges gesehen, aber: divmod macht Mukke mit einem GameBoy. Das klingt genau so verrückt wie der Sound, den der Producer aus dem quietschgelben Flashback für 90s-Kids presst.
Ob Zelda, Kirby oder Super Mario: Wer mit der spielgewordenen Droge Teile seiner Kindheit verbracht hat, beamt sich bei dem 8-Bit-Geballer von divmod sofort ins eigene Kinderzimmer zurück. Keine Sorgen, kein Morgen – nur endlose Nachmittage, an denen man ins Modul pustet und so lange ins Narrenkastl schaut, bis die Batterien durch sind oder man mit Sehnenscheidenentzündung an Capri Sonne nuckelt.
Childese – Minor Eden (Not Not Fun)
Ambient zum Abschluss: Childese heißt eigentlich Vova Kolbin, kommt aus St. Petersburg und hat die Ruhe weg. Für Not Not Fun aus L.A. erträumt sich der Russe ein Tape, das den Synthie unter Bandrauschen begräbt und den Zimmerbrunnen im Paradies parkt.
Das klingt nach Kitsch und Klischee, aber hey: Im Garten Eden ist die Welt schön, auch wenn die Sonne grad nicht so Bock hat. Man kann nackig rumrennen. Niemand judged, weil einen der Afterglow ohnehin durch den Tag trägt. Und so lange man nicht von den verbotenen Früchten nascht, träumt man einfach weiter.