Pop, japanischer Pop, elektronischer Folk, Weirdo-Pop im allerweitesten Sinne bringt die Compilation Minna Miteru Vol. 2 (Morr, 2. September) schon wieder im allerüppigsten Entdeckerformat zur Geltung. Die wiederum von Saya „Tenniscoats” Ueno und Markus „The Notwist” Acher zusammengestellte Doppel-LP – kaum ein Jahr nach dem ebenso reichen ersten Teil – versammelt stilistisch diverse und elektronische Acts, die ihr verspielter und unverkrampfter Zugang zum musikalischen Experiment eint. Neugier, Ausprobieren und dennoch in einem leichten Popsong mit genialem Melodiebogen zu enden: die sorgsame Auswahl der beiden Kuratoren, vor allem Uenos, ist hier jederzeit spürbar.
Golden-Pudel-Mitbetreiber, Produzent, Musiker, Dubrocker, der Berliner Viktor Marek ist einer der wichtigsten Katalysatoren des globalen Hamburger Musikundergrounds und -overgrounds. Trotz zahlreicher Kollaborationen, Projekte und Bands ist Mr Subtitle tatsächlich sein erstes Solo-Alias und The Lucky Bag of Viktor Marek (Fun In the Church, 23. September) sein erstes eigenes Album. Nun, Eigentum ist relativ, vor allem in Dub. Jedes Stück nimmt einen oder mehrere Weggefährt:innen her, um die im Ansatz immer potentiell Hit und Kirmes wollenden Tracks ins gerechte Chaos zu transferieren, in ganz andere globale und globalkritische, das Weltall umgreifende Songtracks – in Dub.
Hamburg, anderer Zusammenhang, aber nicht gänzlich unverwandt: RSS Disco übersetzen als Produzent:innen- und DJ-Trio, als Labelbetreiber von Mireia und fleißige Remixmaschine ihre Sozialisierung in Techno, House und Dub in Mirrorball-Electro und melancholisch-hedonistischen Synthpop. Seit über zwölf Jahren geht das schon so. Ganz eigene Veröffentlichungen sind allerdings rar geblieben. So ist die LP Mooncake (Mireia Records, 9. September) tatsächlich so etwas wie ein Debütalbum. Wie sich über den je eigenen Tellerrand hinauslugende, tanzbare und leicht undergroundig Schrapnell-schraffierte Popmusik macht, wissen RSS Disco besser als viele andere. Ein Remixalbum, das den RSS-Disco-Pop wieder zurück in den Techno-Club führt, kommt in Kürze.
In der Aprilausgabe war das Dresdner Duo Qrauer noch dem Komplex von Piano und Techno zugeordnet. Für ihr jüngstes Album Odd Fazes (Nonostar, 9. September) geht die Gleichung Klavier plus gerader Beat ist gleich Pop-Techno nur noch bedingt auf. Tatsächlich haben Schlagwerker Christian Grochau und Pianist Ludwig Bauer ihr Instrumentarium in Richtung pure Elektronik verschoben und basteln eleganten Pop-Techno im unteren BPM-Bereich, der kaum noch an Neoklassik denken lässt, sondern eher an den Sommer 2013, als Techno zum letzten Mal so richtig Cornering-kompatibel war. Etwa mit Rampues „Sonne Park und Sterni” oder DJ Kozes „Track ID, Anyone?”.
Und vielleicht gibt es sogar einen kleinen Trend in der wiedererstarkten Verbindung von Stadiontauglichkeit und gepflegtem rauchwarengestützten Abhängen im Techno. Also hochauflösender Sound, komprimierter Punch in eher niedrigen BPM-Bereichen und eine Grundstimmung in Moll wie im zweiten Album des Berliner Nachwuchsstars Nils Hoffmann. Dieser bedient sich auf A Radiant Sign (Anjunadeep, 2. September) an vielem, was außerhalb des Clubgeschehens passiert, etwa Neoklassik, Electronica und Ambient, und führt es zurück in relativ schlanke wie wohlproportionierte Pop-Techno-Tracks, die nicht für den Club gemacht sind, aber doch immer wieder in ihn zurückführen.
Ein weiteres Beispiel für diesen Körper- und Geisteszustand zwischen Chillen und Raven gibt das Solo-Debütalbum von Erik Buschmann. Nach den clubfreundlicheren EPs Worthless und Dad I’m Home (siehe August) findet die Blue Spells LP (Reflektor Records, 23. September) des Amsterdamer Produzenten, der ansonsten ansonsten mit Band in Sachen Soft-Psychedelia unterwegs ist, eine entspannte, frühherbstlich melancholisch eingefärbte, ungemein menschenfreundliche Indie-Variante von Electronica und Techno-Pop, die nicht in Rauschschwaden aufgehen muss, um Tiefenwirkung zu entfalten.
Und dass Abhängen mit Techno ebenso gut in ganz fein gesponnenen Details funktionieren kann, als dunkelster Ambient mit Wind-Chill statt Chill-Out, bringt Theory (Muzan Editions, 16. September) der japanischen Produzentin Yukari Okamura auf den Punkt. Nochmal in die tiefsten Abgründe von Dub und Bass schauen und am Stück wieder herauskommen. Ob eine Kassette für diesen hochaufgelösten Sound, der sich gerne in subtilsten Details verliert und in dem das Wichtigste neben dem Bass ziemlich weit hinten passiert, wirklich das optimale Tonträgerformat ist, darüber reden wir dann nochmal.
„DIESER TEXT: Ich bin ein Text in einem Buch über Videokunst
UNTERTITEL: Cool, und wie läuft’s bisher so?”
Visuals, vor allem Live-Visuals sind im Club- und Konzertkontext allgegenwärtig, speziell bei der avancierten Elektronik, um die es hier gerne geht. Dennoch werden Visuals oft marginalisiert, zugegeben auch manchmal in dieser Kolumne, und weder vom Clubpublikum wirklich tief wahrgenommen, noch von einem Kunstpublikum als eigene Form mit eigener Ästhetik ernst genommen. Total folgerichtig und clever ist es daher, eine Annäherung an das Format in der altmodischen Form des gedruckten Buches zu machen, eines Künstlerinnenbuches von Sabrina Zeltner, die unter dem schönen Pseudonym Subrihanna mit dem Nürnberger Label Verydeeprecords assoziiert ist. Das dort erscheinende Showreel (Verydeeprecords, 1. September) macht nicht den Fehler, Visuals von vermeintlich seriöser Videokunst zu trennen. Es sind einfach bewegte Bilder zu Musik, in Form des Buches einem anderen Rhythmus unterworfen, und von assoziierten, aber nicht zwingend direkt auf Visuals bezogenen Texten von Kristoffer Cornils, Linda Weidmann und – eingangs zitiert – Meera Theunert.
Apropos Video: Da wäre dann noch ein ganz feines von der Kölner Ambient-Pop-Diva Anita! Der Schönste Tag im Jahr als Gelegenheit, sich noch einmal wehmütig des vergangenen Sommers zu erinnern, in aller Schönheit und allem Schrecken.