Priori presents RED – Nigh (GARMO) (Naff)
Mit RED präsentiert der Kanadier Priori, bürgerlich Francis Latreille, ein neues Unterprojekt. Eines, das mehr in die düsteren, mystischen Tiefen des Daseins tauchen soll – im Gegensatz zu seinen eher schönen Techno- und Electronica-Tracks als Priori. Diesen Stimmungswechsel macht der das Album eröffnende Titeltrack mit brachialen Breakbeats, gekrönt von düster dräuenden Akkorden, auch gleich klar. Und es bleibt abwechslungsreich. Mal ist es eine verzerrte Bassdrum, die verquer durch ein sonisches Gestrüpp von Geräusch-Loops und bedrohlich tropfenden Acid-Lines stolpert, dann ein dumpfer Four-To-The-Floor-Beat im Wettrennen mit verhallten Dub-Melodien ans Ende der Nacht. Melancholisch sehnende Klangfolgen treffen auf gedrosselte, wie auf Valium gesetzte Amen-Breaks, rasende Techno-Rhythmus-Patterns auf hypernervöse Percussion-Elemente und eine wie wahnsinnig sich immer wieder um sich selbst windende 303-Sequenz.
Überhaupt ist das Album geprägt von Tempi, die von Stück zu Stück stetig wechseln. Vom psychotischen Schub zu depressiver Langsamkeit und zurück, dabei Elemente aus Electronica, Drum’n’Bass und Techno ineinander verschachtelnd, zusammengehalten vom tiefen Wummern der Bassfrequenzen. Und auch wenn das etwas anstrengend, gar pathetisch klingt – au contraire. Der Düsternis wohnt nunmal immer auch eine Schönheit inne, und die herauszuarbeiten ist Latreille vortrefflich gelungen. Und nicht nur das: Tanzen kann man dazu auch! Tim Lorenz
Rework – Real Love (Exlove)
2020 haben Rework mit der 20y Werkschau auf zwei Dekaden „New Wave House” zurückgeblickt, wie Michael Kübler und Daniel Varga, das Kernduo des zwischen Stuttgart und Berlin zu verortenden Projekts, ihren Dancefloorsoundentwurf nennen. Zugleich feierte damit ihr Label Exlove seine Geburtsstunde. Kurz zuvor hatten sich Kübler und Varga mit Elmar Mellert zum Trio verstärkt. Mit Real Love erscheint nun das fünfte Album von Rework, die unterkühlten Trademark-Vocals stammen von Ann-Kristin Danzinger.
Obwohl die elf Tracks auf diesem Longplayer nicht weniger auf dem Boden der Clubkultur stehen als die ihrer Vorgänger, dürfte Rework hiermit die bislang kompletteste Interpretation des Albumformats gelungen sein. Minimal House, New Wave, Disco, Synth-Pop und Electro finden sich souverän verschränkt, Detroit, Chicago und Berlin stellen erkennbare Fluchtpunkte dar. Spezifisch sind die Kälte der Klangästhetik, die trüben Samples und ein trockener, zähfleischiger bis knorpeliger Basssound, exemplarisch gleich im Opener „Take Me Out”. Anklänge an Acts wie Visage bietet „Doin It All The Time”. Das herausragende „This One” wiederum könnte man als Daft Punk meets Tantra im Larry-Levan-Mix umschreiben. „Stardust” kommt als hymnisch verzerrter Vocoder-Downbeat, die tatsächliche French-House-Hommage ist dann aber erst „Nervous”. Zwar können nicht alle Tracks der zweiten Hälfte dieses Niveau aufrechterhalten, doch der Slow-House-Tune „Show Me How” und das disco-housige „Boring” wissen zu überzeugen. Und nicht zuletzt die Balearic-Ballade „We Try To”, die für einige weniger inspirierend wirkende Momente, etwa im Titeltrack oder „Outside”, mehr als angemessen entschädigt. Harry Schmidt
T-Flex – No Comment (Dinamplatz)
Breaks, UKG und Jungle sind seit einiger Zeit wieder en vogue, doch wenige Produzent:innen machen mehr als Elemente wiederzuverwerten und Standardformeln neu aufzulegen. Da klingt das Debütalbum von James Freeman alias T-Flex doch erfrischend ehrlich, die Blutlinie des Hardcore Continuums fließt hier noch deutlich weiter.
Von den cinematischen Intro- und Outro-Tracks mal abgesehen, steckt hier hauptsächlich Dancefloor-Futter drin, doch das geschickt auf verschiedene Styles und Tempi verteilt. Die Jungle-Nostalgie, sie ist auf vielen Stücken vertreten. So etwa in der Liquid-Ausformung auch als Reese-Roller wie Photek in den Neunzigern. Doch dann sind da auch die intelligent arrangierten Electro-Tracks, die sich gleichermaßen Broken Beats wie Techno- und Dub-Einflüssen bedienen. So entwickelt sich das Album gemächlich und organisch, vorbei an bassigen UKG-Sounds hin zu klassischen Jungle-Nummern mit Acid-Einschlag, die an den Kollegen Tim Reaper erinnern, der mit einem Remix vertreten ist.
Dieser gekonnte Stilmix aus genügend produktionstechnischer Finesse, Einfallsreichtum und Originaltreue trifft genau in die richtige Kerbe für Fans des Genres, die aber auch gerne links und rechts schauen und es leid sind, die gleichen Mixtapes aus den Mittneunzigern rauf und runter zu spielen. Leopold Hutter
The Maghreban – Connection (Zoot)
Vier Jahre sind vergangen, seit der Londoner Produzent Ayram Rostom alias The Maghreban sein Debütalbum 01deas vorgelegt hat. Davor schon will er mit einigen Stücken angefangen haben, die er jetzt auf Connection versammelt. Sein in verschiedene Richtungen wuselnder Techno franst diesmal sogar noch etwas weiter aus, nimmt sich nahöstliche Rhythmen, erdige Saxofonparts und gemächlich groovende Tempi, die sich dann mit synthetisch funkifiziertem Techno und Rap abwechseln oder mischen.
Breakbeats gehören selbstverständlich auch dazu, ebenso Gastmusiker:innen, -sänger:innen und gelegentliche Stimmen aus dem Computer. Die Zutaten wählt The Maghreban dabei so umsichtig aus, dass er zwar merkliche Stimmungswechsel, aber keinerlei Beliebigkeit zulässt. Für sich genommen sind die einzelnen Elemente gar nicht groß überraschend, ihre Kombination ergibt dennoch sehr frische Anregungen für den Club. „Emotionaler” als sein erstes Album sei das aus seiner Sicht geworden, so seine Ankündigung. Was im direkten Vergleich sicher stimmt, andererseits die Frage aufwirft, ob Rostom als Typ eher zur coolen Sorte tendiert. Zur Musik passt es jedenfalls. Tim Caspar Boehme
Vladislav Delay – Isoviha (Planet Mu)
Für seinen ersten Release auf Mike Paradinas Planet-Mu-Imprint als Vladislav Delay kehrt Sasu Ripatti wieder zurück in die sogenannte Zivilisation. Die Tracks auf Isoviha entstanden bereits vor vier Jahren, also ungefähr zur gleichen Zeit wie die beiden Rakka-Teile, die 2020 und 2021 erschienen. Waren diese noch von der schroffen, indifferenten Natur der nordfinnischen Insel Hailuoto inspiriert, so ist das nun veröffentlichte Material eine Innenaufnahme der Unruhe, die Ripatti bei der Rückkehr aus menschenleeren Weiten in menschengefüllte Enge spürt.
Konsequenterweise dröhnen, raunen und krachen die 13 Tracks des Albums spürbar hektischer in zerfaserten Beatpatterns aus den Boxen – mal wie Straßenlärm auf fast forward, mal wie die Klangkulisse eines Raffinerie-Arbeitstages auf knapp 36 Minuten runtergedampft. Einerseits wirkt die Verschaltung von bleependen Noise-Loops mit depersonalisierter Musique concrète dadurch noch unzugänglicher als die tonnenschwere Wucht von Rakka, andererseits aber auch eine Ecke definierter, vielleicht sogar ausgefeilter.
Ob das eine gute Sache ist, hängt bei diesem post-industriellen Sounddesign von Tagesstimmung und Erwartungshaltung ebenso ab wie von einem stabilen Setup. So ist Isoviha eine durchmechanisierte Collage aus Glitch, Drone und Krach, ein dissonantes Chaos, das dem Rhythmusgefühl eines Jazzdrummers gehorcht und nebenbei im Titel, der so viel bedeutet wie „die große Wut”, eine historische Referenz auf die russische Besatzung Finnlands im 18. Jahrhundert anführt. Damals wurden alle Einwohner:innen von Hailuoto ermordet, bis auf ein Paar, das die Bestattung der Toten übernehmen sollte. Zorn und Frust im Schauspiel erbarmungsloser Klangkulissen, die kaum zeitgemäßer sein könnten. Nils Schlechtriemen