Jeff Mills auf dem Mallorca Live Festival (Foto: Xavi Torrent)

Jeff Mills, Franz Ferdinand und Christina Aguilera: Mit einem eklektischen Line-up will das Mallorca Live Festival den Glastonbury-Spirit auf die Baleareninsel bringen und zeigen: Mallorca kann mehr als Ballermann. GROOVE-Autorin Laura Aha sagt euch, ob es Ben UFO oder Red Axes gelingt, eine Alternative zur Platja de Palma auf die Beine zu stellen. 


14. So viele Junggesell*innenabschiede habe ich in den fünf Stunden gezählt, die ich vom Berliner Flughafen BER bis zum Ausstieg in Palma de Mallorca brauche. Drei davon allein in meinem Flieger. Zwei der zukünftigen Bräutigame heißen „Pätty”. So steht es zumindest auf den selbstbedruckten Poloshirts, die diese etwas zu lauten Männergruppen in den knielangen Cargohosen uniform tragen. Äquivalent dazu: Frauengruppen mit „Bride to be”-Haarreifen, Tüllröcken und verspiegelten Fliegersonnenbrillen. Alle Vorurteile, die ich über Mallorca hatte, scheinen sich schon in den ersten paar Stunden zu bewahrheiten.

Das Ambiente des Festivals (Foto: Javier Bragado)

Es ist genau dieses Image, gegen das das Mallorca Live Festival ankämpfen will. So wird es mir ein paar Stunden später Festival-Booker Sebastian Vera im Backstage erzählen: Mallorca sei nicht nur Ballermann, sondern könne auch ein Festival auf internationalem Niveau liefern. Die Voraussetzungen dafür sind ideal: Keine 40 Autominuten vom Flughafen in Palma, aber weit genug vom Ballermann entfernt, ist Calvià der perfekte Festivalort. Mit türkisblauem Wasser und puderzuckerartigem Sandstrand schmiegt sich die kleine Bucht bei durchgehend angenehmen 28 Grad an die charakteristischen Steinklippen der Baleareninsel. Das Festivalerlebnis mit dem Strandurlaub zu verbinden, hat sich in den letzten Jahren zu einem stetig wachsenden Markt entwickelt. Und da will die beliebteste Urlaubsinsel der Deutschen, die gerne auch mal das 17. Bundesland bezeichnet wird, natürlich mitmachen.

Ein Festival wie eine Spotify-Playlist

Sebastian Vera und sein Team arbeiten seit dem Festivaldebüt 2016 daran, irgendwann in einem Atemzug mit dem Primavera Sound oder Glastonbury genannt zu werden. Das erklärt auch das musikalisch breit aufgestellte Booking, das sich auf den ersten Blick zugegebenermaßen etwas bizarr liest: Christina Aguilera, Franz Ferdinand und Jeff Mills kann man sich am Samstagabend in genau dieser Reihenfolge anschauen. Eine bewusste Entscheidung, wie Booker Sebastian Vera erklärt: „Heutzutage hören die Leute keine Alben mehr. Sie hören Playlists. Und in dieser Playlist sind dann eben Christina Aguilera, Jeff Mills und C. Tangana.”

Christina Aguilera (Foto: Paco Poyato)

Das Prinzip scheint aufzugehen. Am Freitagabend platzt das Festivalgelände mit seinen fünf Bühnen bereits aus allen Nähten. Knapp 80.000 Besucher*innen werden das Festival im Laufe des Wochenendes frequentieren, der Freitagabend ist ausverkauft. Grund dafür: Lokale Größen wie die feministische Elektropop-Band Rigoberta Bandini, der Rapper und Ex-Boyfriend von Rosalía C.Tangana und die Madrider Indie-Popband IZAL. Im Publikum wird textsicher mitgesungen, Salsa getanzt und geklatscht, gefühlt sind fast nur Spanier*innen vor Ort. Endlich kämen die großen Acts mal nach Malllorca, freut sich eine Frau in der Dixi-Kloschlange hinter mir. Sie lebe schon immer auf der Insel, für Konzerte müsse man sonst aufs Festland fliegen. Denn das vergisst man als Tourist*in ja oft: Auf Mallorca leben auch einfach normale Menschen. Und die nehmen das Festival dankbar an.

Franz Ferdinand (Foto: Xavi Torrent)

Wir haben Zeit zu quatschen, denn die logistische Organisation kommt an diesem ersten Abend definitiv an ihre Grenzen. Lange Schlange an den Bars, Toiletten und an den Cashless-Payment-Ladestationen führen zu Unmut und einem kleinen Shitstorm auf Social Media. Am nächsten Tag ist für mehr Personal gesorgt, und zur Headlinerin des Abends, Christina Aguilera, hat sich die Situation auf dem Gelände merklich entspannt. In einer pompösen Las-Vegas-Show mit Konfettiregen, Glitzeranzug und strippenden Tänzer*innen schmettert die 2000er-Popikone dann auch verlässlich ihre größten Hits mit gewohnt kraftvoller Stimme. Auch wenn die Show nur knapp 40 Minuten dauert, Xtina zwischendurch offensichtlich Probleme mit dem In-Ear-Monitor hat und das Publikum einfach allein „Beautiful” singen lässt – die Fans lieben sie. Dass der Y2K-Nostalgiezug schon seit einiger Zeit rollt, dürfte auch abseits der Clubs mittlerweile jede*r mitbekommen haben. Das Mallorca Live Festival weiß jedenfalls Bescheid und liefert mit Acts wie Muse, Franz Ferdinand und Editors, die alle ausnahmslos großartige Shows spielen, die Indierock Crowdpleaser.

Von „Beautiful” zu „The Bells” in unter vier Stunden

Und dann spielte nach Xtina und Franz Ferdinand tatsächlich Jeff Mills. Mit der Tanqueray Stage – die Bühnen sind nach ihren jeweiligen Sponsor*innen benannt – gibt es etwas versteckt einen rein elektronischen Floor, auf dem neben lokalen DJs wie Angéles Meños, Vik. T und The Southnormales auch Szenegrößen wie The Blessed Madonna, Ben UFO, Jamie XX und eben Jeff Mills auflegen. Auf dem Floor scheint vielen jedoch offenbar nicht ganz bewusst zu sein, wer da gerade an vier Decks mit gewohnt versierter Drum-Machine-Magic vor ihnen an den Reglern dreht. Da alle anderen Floors zu Mills’ Set bereits geschlossen sind, gibt es auf dem Floor viel betrunkenes Angerempel und lautstarke Gespräche statt konzentrierter Dancefloor-Energie. Und auch wenn Mills von seinen reduziert-verkopften Beats schnell in eine sphärischere, härtere Techno-Gangart umschwenkt und nach zehn Minuten schon seinen Überhit „The Bells” raushaut ­– der Funke will nicht so recht überspringen. Die einzige Spotify-Playlist, in der Jeff Mills tatsächlich nach Xtina läuft, ist vermutlich die vom Mallorca Live Festival selbst.

Red Axes (Foto: Javier Bragado)

Was nicht heißen soll, dass die anderen elektronischen Acts nicht funktioniert hätten: Justice liefern eine bombastische Show auf einer der Hauptbühnen, Red Axes ziehen mit ihrem tribalistischem Sound die Tanzenden in ihren Bann und Ben UFO richtet sich so geschickt zwischen breakigen Rave-Tunes und Reggaeton-Edits ein, dass man den Dancefloor keine Sekunde verlassen will. Klar, das Mallorca Live Festival ist kein Szeneevent – und das will es auch gar nicht sein. Den Veranstaltenden geht es bewusst nicht um stilistische Homogenität und soundmäßige Kohärenz. „Die Leute, die nur in einem Genre zuhause sind, sind gar nicht unsere Zielgruppe”, sagt Sebastian Vera. „Es kommt uns auf den Mix an. Und auf die Festival- Experience.”

Jeff Mills (Foto: Xavi Torrent)

In puncto Experience wolle man in den nächsten Jahren definitiv noch mehr auffahren, sagt Sebastian Vera. Mit leuchtenden Augen erinnert er sich an sein erstes Glastonbury, das sich in seiner Erzählung ab der ersten Minute wie ein psychedelischer LSD-Trip durch ein Alice-im-Wunderland-artiges Setup anhört. Auch wenn zwischen Merchständen, Fotopoints und Glitzer-Schminkstationen von dieser Art Festivalwahnsinn aktuell noch eher wenig zu spüren ist, sei klar: Genau da wolle man hin. Das Mallorca Live Festival hat viel vor. Ob man über Jahrzehnte gewachsene Strukturen wie beim Glastonbury wirklich auf eine Insel wie Mallorca verpflanzen kann? Vermutlich schwierig. Auch die Analogie mit dem Ibiza-2.0-Spirit, die Sebastian Vera im Gespräch heranzieht, hinkt ein wenig – geht es ja hier dezidiert eben nicht darum, eine bestimmte musikalische Szene zu fokussieren.

The Southnormales (Foto: PhotoXaviTorrent)

Aber zu einem Imagewandel Mallorcas kann das Festival definitiv verhelfen, weil es ein alternatives Angebot schafft. Pätty und seine Kumpels, die im Bierkönig Mickie Krause hören wollen, können das auch weiterhin machen. Aber das Mallorca Live Festival arbeitet mit Hochdruck daran, klarzumachen, dass die kleine Baleareninsel noch sehr viel mehr zu bieten hat als das.

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