DJ Danifox – Dia Não Mata Dia (Príncipe)
DJ Danifox gehört zu einer jungen Generation von Batida-Produzent*innen, die sich mit Soundcloud-Veröffentlichungen einen Namen in den Vororten Lissabons gemacht haben. Mit Hilfe des Labels Príncipe konnten die Schlafzimmerproduzent*innen eine Fanbasis über die Grenzen Portugals hinweg aufbauen. Anders als die meisten Batida-Produzent*innen lebt DJ Danifox aber nicht in einem der nördlich gelegenen Viertel Lissabons, sondern in Leeds. Batida bedeutet Beat und richtete sich an die Diaspora aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien. Tänze wie Kuduro, Semba und Tarraxinha fanden mit Hilfe der Musik-Software Fruity Loops neue elektronische Spielarten und vermischten sich mit House und Techno.
Die Tracks der EP Dia Não Mata Dia zeichnen sich durch eine amorphe Klangsprache aus, die durch die unterschiedlichen Perkussion- und Bass-Elemente immer in Verbindung stehen. Der Einsatz dezenter Pianoklänge, wirbelnder Trommeln und zurückhaltender Trompeten sowie von Gefäßrasseln im Song „Sanidade” bringen Wärme in die Tracks. Gleichzeitig besteht ein Spannungsverhältnis zur melancholisch-bluesigen Grundstimmung der EP sowie zum elektronischen Unterbau, der sich an alle Tracks schmiegt. So wirkt es fast, als tanzten die Bleeps, Bloops und Claps mit den synthetisch erzeugten Instrumenten, die aber natürlicher denn je klingen. Besonders wenn der sanfte Gesang einsetzt, erinnert das weniger an Batida und mehr an eine experimentelle Form des in Angola bekannten Tanz- und Musikgenres Semba beziehungsweise Kizomba. Sounds, die sich auf lokale Musikphänomene beziehen, aber nie ganz greifbar sind, weil hier Migrationsgeschichten so hörbar zusammenlaufen, erzeugen auf Dia Não Mata Dia eine Spannung des Zwischenorts. Nadine Schildhauer
Earth Trax – Afloat (Aus Music)
Die Macher*innen von Aus Music schaffen es wie nur wenige immer wieder, Breitenwirksamkeit und Anspruch auf hohem Geschmacksniveau zusammenzubringen. Katalognummer 173 stammt von Earth Trax, und die fünf Stücke darauf bewegen sich grob gesagt im Post-Dubstep-Bereich, oder, noch ein wenig allgemeiner ausgedrückt, im weiten Feld der Bass Music. Die beiden ersten Tracks haben einiges Potenzial, große Dancefloors in Verzückung zu versetzen, bauen dafür aber nicht auf Überproduktion und banale Reizmittel – auch wenn natürlich etliche Erinnerungen wachgerufen werden, aber eben wohldosiert und geschmackssicher.
Der Titeltrack verzichtet auf große Gesten und fette Beats und vertraut stattdessen auf Sanftheit, trancige Flächen und Melodiösität. „Moving On” ist ähnlich konzipiert, sein Electrobeat transportiert aber von Anfang an mehr Energie, und die wird in der Mitte des Tracks durch geschichtsträchtige Rave-Sounds richtig freigesetzt – Super-Inszenierung und ein Musterbeispiel für Aus Musics Labelpolitik. Der Schlusstrack schließlich schreit nach dem Afterhour-Finale am Strand mit großzügig portionierter Emotionalität und zu Freudentränen rührenden Arpeggios. Ein bisschen Blockbuster-Effekt darf schon mal sein! Mathias Schaffhäuser
Ido Plumes – Balancing EP (Livity Sound)
Livity Sound, immer wieder Livity Sound. Das Label aus Bristol lässt auf keiner Ebene nach, weder qualitativ noch, was die Veröffentlichungsfrequenz anbetrifft. Ido Plumes debütierte 2020 auf dem Schwester-, pardon, Reverse-Label Dnuos Ytivil, jetzt wird der ebenfalls in Bristol lebende Künstler in den Kreis der Livity-Homebase aufgenommen. Das von Peverelist gegründete Label wird immer noch oft als Plattform für (Post-)Dubstep angesehen, aber es macht Sinn, sich in diesem Zusammenhang das kurze Statement zur Firmen-Philosophie im Infotext zu dieser EP durchzulesen. Ihm kann man entnehmen, dass es Peverelist um „eine rohe und forschende Form des britischen Techno” gehe, und genau das vermittelt auch Ido Plumes mit seinen Tracks.
Klar, die Beats marschieren nicht im geraden Kickdrum-Modus, der oft als Hauptindikator für Techno angesehen wird, aber genau davon gilt es sich ohnehin seit Langem zu lösen. Das Wesen und das Versprechen von Techno – es sei erlaubt, solche Begriffe hier anzuwenden – war und ist Zukunftsmusik mit einem Fortschrittsgedanken auch in gesellschaftlicher und aufklärerischer Hinsicht. Sicher, da werden der eine oder die andere intervenieren und ein anderes Verständnis des Genres ins Feld führen oder das berühmte Backen kleinerer Brötchen einfordern, aber für viele dürfte in der Musik von Livity Sound und von Musiker*innen wie Ido Plumes dieser emanzipatorische Geist spürbar und wichtig sein. Und dieser materialisiert sich in vielschichtigen Arrangements, hochästhetisch-synthetischem Sounddesign und kühnen Ideen – alles exemplarisch gebündelt im zweiten Track „Afloat”, der seinen Kick aus einer Mischung aus zurückhaltenden Beats und sich stetig steigernden, dramatischen Synth-Noises und -Flächen zieht. Mathias Schaffhäuser
Jordan Nocturne – Day 2 feat. Le Boom (Permanent Vacation)
Mit 13 hat Jordan McCuaig begonnen, Trance aufzulegen, und ist als Finalist in einem Wettbewerb der BBC gelandet. Seit rund zehn Jahren tritt er auch als Producer in Erscheinung, mit der Partyreihe The Night Institute und seinem Label Nocturne hat er die Szene in Belfast maßgeblich mitgeprägt.
Für sein Permanent-Vacation-Debüt konnte er sich der Mitarbeit des Dubliner Duos Le Boom versichern – deren Vocal macht „Day 2” zu einer Chicago-Hip-House-Reminiszenz, die Jordan Nocturne mit einem ravigen Vibe verschränkt. Mitreißend vor allem die später hinzukommenden Harmoniewechsel, die alles noch mal in ein ganz anderes Licht setzen. Die „Acid Version” ist länger und stellt die im Original unterschwelligen Roland-Sounds in den Vordergrund. „Balearia” hält, was der Titel verspricht, und könnte tatsächlich als The-Beloved-meets-Fatima-Yamaha-Instrumental durchgehen. Es wäre keine allzu große Überraschung, wenn der nahezu perfekte Track demnächst in einem Gerd-Janson-Mix auftaucht. Future Classic! Harry Schmidt
Lakker – LKRTRX006 (LKRTRX)
Halbzeitpfiff – ab in die Umkleidekabine. Sich neu sammeln. Heißt: Heißen Tee mit Schuss trinken. An die erste Hälfte anzuknüpfen, muss der Vorsatz sein. Denn die war ziemlich stark. Das experimentelle Producer-Team Lakker konnte mit LKRTRX mehrmals punkten. Jeden Monat böllerten sie neue, exzentrische Tracks auf Bandcamp heraus, als wäre schon wieder Silvester im Berghain. Das findet ja jetzt eh mitten im Jahr statt. Passt daher ganz gut.
Auch die sechste Edition macht da keine Ausnahme, ist völlig Banane. „Path Tracer” beginnt mit seinen aufgedrehten Hüllkurven so nervtötend und überfordernd, dass man sich fast selbst ins Bein schießen will, indem man zum nächsten Tracks weiterschreitet. Über die Tracklänge hinweg akklimatisiert man sich jedoch mit dem Wahnsinn, findet Gefallen daran. Die neurotischen Tendenzen bauen dann ab. Zwei Schritte rückwärts sind hier Fortschritt. Schöne neue, weil umgekehrte Arrangementwelt. In einem Mix absolut tödlich.„The Fair and The Foul” mäandert geruhsam, bahnt sich seinen Weg auf natürliche Weise, lässt sich nicht beirren. Für alle, die sich noch an die erste Single der beiden auf KILLEKILL erinnern, ist „Sparkle In The Dark” die Wohlfühlzeitreise zurück, die es vor Beginn der zweiten Spielhälfte braucht. Andreas Cevatli