Der New Yorker Musiker und Mastering- sowie Toningenieur Rafael Anton Irisarri veröffentlicht ebenfalls immer wieder auf dem australischen Label Room40, dessen inzwischen Dekaden dauernde Persistenz, qualitativ wie quantitativ, ich an dieser Stelle einmal besonders erwähnen möchte. Es ist bei einem so hohen Output ja keineswegs selbstverständlich, das Interesse wachzuhalten und in dem, was man herausgibt, doch besonders zu bleiben. Irisarris Agitas Al Sol (Room40, 22. Juli) ist ein definitiv nicht überflüssiges Nebenwerk, das die Soundideen der Solastalgia von 2019 weiterentwickelt. Eine bogengestrichene, digital vervielfältigte und massiv prozessierte Distortion-Gitarre aus verwehter Shoegaze-Erinnerung, also ein Sound, der für Dichte und Schwere steht, wird elektronisch zum Abheben gebracht, wird hell und leicht, ohne die Körnigkeit, die abrasive Qualität der Feedback-Kaskaden zu verlieren. Diesen Sound hat Irisarri in den vergangenen 15 Jahren immer weiter verfeinert und perfektioniert, langweilig wird er deswegen nicht.
Die enigmatisch-anonymen New Yorker Postrocker von Nihiti haben sich mit Sustained (Lo Bit Landscapes, 7. Juli), einer Auftragsarbeit für das ansonsten eher Post-Club- und Beat-orientierte Festival Sustain-Release, sämtlicher Ansätze von Rock und Katharsis entledigt und ein pures Drone-Ambient-Album in drei langformatigen Stücken aus schwer prozessierten Gitarren gebaut. Das ist einerseits ein wenig schade, denn Überraschungen wie das grandiose Doom-Cover von Roy Orbisons „I Drove All Night” auf dem letzten Album A New Kind of Weather bleiben so aus. Dafür agieren Nihiti so kompakt und intuitiv, so detailreich wie selten zuvor.
Dass Room40 gerade und mal wieder einen besonders guten Lauf hat, bestätigen die beiden weiteren Alben des Monats. Nämlich einmal das geradezu unverschämt wunderschöne Spectral (Room40, 15. Juli) der Australierin Madeleine Cocolas, die einfach nur reuelos grandiosen Ambient macht – mit dem Mut zum Zarten und einer raren Furchtlosigkeit vor der Stille und dem Schweigen.
Zudem ist da noch Of Which No One Knows (Room40, 29 Juli), eine Sammlung unveröffentlichter Stücke der Georgierin Natalie Beridze aus den vergangenen 15 Jahren. In den frühen Nullerjahren als tba so etwas wie ein Popstar der elektronischen Avantgarde, hat sich Beridze inzwischen als überaus verlässliche Größe der freien Elektronik global etabliert. Von einer Künstlerin ihrer Klasse ist selbstverständlich auch eine Sammlung unverbundener Stücke weit mehr als archivarische Resteverwertung von aus alten Festplatten zusammengekratzten Spielereien und Demos. Im Gegenteil, die Stücke kommen brillant zusammen und gehören zum Zartesten und am weitesten in Ambient Verankerten, das sie bisher gemacht hat – sie sind also essenziell, nicht nur für diese Kolumne, nicht nur am Aschermittwoch.
Obwohl nie ganz groß herausgekommen und stilprägend waren die Chicagoer Bands Shrimp Boat und The Sea and Cake in den späten Achtzigern und Neunzigern doch entscheidende Impulsgeber für das elektronisch Werden von Indie- und Post-Rock. Indem sie den Druck aus dem Sound herausnahmen, das Tempo drosselten, die Komplexität lässig steigern konnten, ohne zu Prog zu werden, und vor allem klug genug waren, das Herausschreien von Weltschmerz und wohlfeilen Umsturzparolen dem zur selben Zeit Mainstream werdenden Grunge zu überlassen. Die beiden Köpfe und Körper von The Sea and Cake, Sam Prekop und John McEntire, haben seither so circa alles mal gemacht, was in experimenteller Musikproduktion möglich ist, von freier Improvisation über gemäßigten Jazz zu Krautsynth-Elektrik und instrumentalem Pop. Warum also nicht nochmal was ganz anderes wagen, wenn man sich mal wieder zum Musikmachen über den Weg läuft? Zum Beispiel mit Sons Of (Thrill Jockey, 22. Juli) vier langformatige Stücke zu produzieren, die es sich zwischen Ambient-Techno und balearischer Electronica gemütlich machen. Dabei voll experimentell, sehr verspielt, geradezu jazzig in Momenten agierend, bleibt vor allem der tiefenentspannte, bassige Groove, der selbst über 20 Minuten nie langweilig wird. Und das Katzencover ist (natürlich) ebenfalls ganz toll.