Foto: Frank P. Eckert
Elektronisches aus Afrika bedeutet ja allerspätestens seit der globalen Aufmerksamkeit für das Nyege Nyege Festival und die assoziierten Label-Aktivitäten erfreulicherweise nicht mehr, dass es dabei um Geheimwissen oder Nischensounds geht. Ganz im Gegenteil, hier liegt die Zukunft elektronischer Klänge, vielleicht der elektronischen Clubmusik als Ganzes, was in dieser Kolumne ja nun schon öfter behauptet wurde. Ein weitere extrem energetische und energische neuste Neuigkeit an modernen Grooves abseits der eingeübten House- und Techno-Routinen kommt heuer vom Fulu Kolektiv und deren Schwesterorganisation Fulu Miziki aus der Demokratischen Republik Kongo, die zurzeit wie nicht wenige kongolesische Musiker*innen von Kampala, Uganda aus arbeiten und die Clubs und mittelgroßen Festivalbühnen weltweit bespielen. Die Anfang des Jahres erschienene, zupackende wie geisterhafte Ngbaka EP (Moshi Moshi) und die tatsächlich sensationelle LP Lualaba (Broken Clover Records, 15. Juli) transportieren den raumgreifenden und weltumspannenden Ansatz dieses Kollektivs: umweltfreundlich, der Natur gegenüber respektvoll agierend, Traditionen respektierend und afrofuturistisch, inklusiv, aber eben doch in-your-face-avantgardistisch und modern, lokal und global, Punk und Tanz.
Die südafrikanische DJ, Produzentin und Veranstalterin Desiree, deren Groove Podcast im vergangenen Jahr bereits ihre Liebe zu verspielter, warmer Electronica bei voller Loyalität gegenüber klassischem House und Techno demonstrierte, zeigt letztere auf der EP Femme Tech (Bae Electronica, 24. Juni) für Jackie Queens Label in psychedelische Tiefen, die gar nicht mehr nach klassischem Vocal-House klingen, sondern als hätte Perels Alien-Jesus-Baby noch eine Schwester in Johannesburg.
Eine entscheidende Eigenschaft der neuen Musik aus Afrika ist deren lokale Verwurzelung bei gleichzeitiger globaler Vernetzung. Und das sind eben nicht nur die oft etwas einbahnigen Nord-Süd-Verbindungen nach Europa oder in die USA, sondern vermehrt echte horizontale Tauschachsen zwischen Ost und West. So hat der Zusammenhang um Nyege Nyege nicht nur Kontakte mit SVBKVLT aus Shanghai geknüpft, mit dem DIY-Veranstaltungs-Label Kollektiv Clube TORMENTA aus São Paulo liegen sie ebenfalls auf einem musikalischen Breitengrad. Die Soundtrack-als-Compilation-LP O Som Do Labirinto OST (Nyege Nyege Tapes, 29. Juli) lässt die Tormenta-assoziierten Künstler*innen auf eine Horrorfilmvertonung los, die keine Fragen offen lässt. Dunkel, schwer, heftig wird hier Dark Ambient als Post-Club wiedergeboren, mit einzelnen feisten Ausbrüchen in Richtung Power Noise oder Metal. Klingt ganz schön frisch in der Hölle.
Den Dub in die abgelegensten Ecken der perkussiven Abstraktion getrieben zu haben, ohne ihn dabei den Kältetod sterben zu lassen, ist wohl eine der Lebensleistungen des Nonplace-Masterminds Bernd Friedman. Die beeindruckend frisch wirkende EP Mechanics of Waving (Nonplace, 17.Juni) seines relativ jungen Duoprojekts Burnt Friedman & João Pais Filipe mit portugiesischem Drummer zeichnet sich wiederum durch die typische Stringenz der Abstraktion aus, bei gleichzeitig immenser Dringlichkeit des klappernden Schlagwerks in ungewöhnlichen polyrhythmischen Metriken, und klingt damit beinahe wie aktuelle afrikanische Elektronik.
Äußerst beeindruckend, viel mehr als eine EP mit sechs ultrakurzen Stücken erwarten lässt, geriet Noumenal Eggs (Subtext Recordings, 17. Juni) des Tokioter Duos MIRA新伝統 . Im weitesten Sinn vielleicht noch als Post-Club-Sound mit subkutan dekonstruktiver Botschaft zu dekodieren, sind die Stücke doch weit davon entfernt, einen (post-)funktionalen Zusammenhang auslegen zu wollen, der sich noch als tanzbar oder abstrakt erkennen ließe. Stattdessen brüten hier freiförmige Skizzen von schwebendem Trauma, splitterndem Noise und wehmütig-dunkler Elektrik. Kaum 15 Minuten Sound, der doch das (post?)urbane Metropolengefühl der frühen 2020er auf den Punkt bringt.
Einen szeneübergreifenden Hit, ein herausragendes, alles überholendes Überstück wie „Fantas” geschrieben zu haben, erleichtert sicher vieles, sichert ökonomisch und gibt künstlerische Freiheiten, erhöht aber logischerweise den Druck auf alles, was nachkommt. Der Versuch, das Rezept des Erfolgs zu verfeinern und dadurch zu wiederholen, ist meist nur bedingt erfolgreich, selbst bei Modularsynthesizer-Genie Caterina Barbieri. Sie versucht es allerdings tatsächlich nur bei ein, zwei Stücken des ansonsten gelungenen und frisch wirkenden Spirit Exit (Light-Years, 8. Juli). Denn das existenziell angedunkelte Album erweitert den Ausdrucksradius Barbieris einerseits um akustische Instrumente und zudem die menschliche Stimme, jeweils meist im Ringmodulator zum quasi-elektronischen Instrument umgewidmet. Wie brillant crispe Synthesizersounds mit einer mehr oder minder bearbeiteten Stimme zusammengehen können, hat Barbieri bereits im vergangenen Jahr auf „Knot of Spirit”, einer Kollaboration mit der stimmgöttlichen Lyra Pramuk, vorgefühlt. Dass das in einer alternativen Version in Spirit Exit eingegangene Stück nicht allein steht auf diesem formidablen Album und dass es nicht wie „Fantas” klingt und dennoch eindeutig den Barbieri-Style widerspiegelt, dient als Merkmal der Qualität.