Caruan – Diaframma EP (Perlon)

Caruan - Diaframma E.P.

Mit seinen beiden bisherigen EPs hat Gaetano Caruana nichts präsentiert, was jetzt alle Blicke auf ihn ziehen würde. Doch seit seiner letzten Caruan-Platte sind immerhin schon drei Jahre ins Land gezogen, in dieser Zeit hat sich der Italiener quasi neu erfunden. Passé ist sein Mischmasch aus Deep-House und techigen Nullerjahre-Sounds. Sein Debüt für Perlon hat Caruan Diaframma genannt. Das ist ein Diaphragma in italienischer Sprache. Im Hinblick auf die Musik oder die Tracktitel erschließt sich der Kontext der Verhütung übrigens so rein gar nicht.

Wie auch immer, mit dem Opener „Steps To Klapa” lässt es Gaetano Caruana sehr hyperaktiv angehen. Die Beats, sie swingen ein bisschen neben der Spur. Dazu ein etwas schiefer Jazz-Bass und zerhäckselte Vocal-Schnipsel, die ein wenig an 70er-Jahre-Afro-Beat-Shouts erinnern. Jazz und blue notes sind denn auch das Topping des ansonsten ultra-reduzierten House-Tracks „We Got the Swing”, dazu ein Latin-Beat, der etwas verstolpert daherkommt. Auf der Rückseite weiß Caruan dann so richtig zu überzeugen. „Spalladium” ist ganz, ganz weit draußen in fernen Galaxien. Spacig-verhuschte Synth-Sounds über einem verschachtelten Beat, ein Track auf sanften Pfoten. Großartig ist auch „Horns”, die letzte Nummer dieser wirklich sehr guten Platte. Als Assoziation zu diesem krautigen Jazz-Track, der ungeachtet seines Titels völlig ohne Horn-Section auskommt, poppt Carl Craig auf, und zwar im Sinne von 69, Urban Tribe oder The Detroit Experiment. Holger Klein

Gav & Jord – Writings Ov Tomato (MAL Recordings)

Gav & Jord – Writings Ov Tomato (MAL Recordings)

Wie machen die das eigentlich? Neue Musik von mit Equiknoxx verbandelten Künstler*innen heißt irgendwie immer auch: ab in den Warenkorb damit! Mit überwältigender Sicherheit Korkenzieherrhythmen, Frequenzverwirrungen und Gamelan zusammen auf eine Platte bauen, mehrmals kräftig durchschütteln und eiskalt servieren. Schmeckt am besten bei 98 Dezibel. Ungefähr so könnte man Writings Ov Tomato ganz leicht beschreiben.

Will man aber gar nicht. Man will über Gav (Gavsborg) und Jord (Time Cow) sprechen. Dem besten Freund und der besten Freundin von diesem Album erzählen. Und natürlich den Kolleg*innen bei der Arbeit, um deren Musikgeschmäcker upzugraden, natürlich ganz selbstlos, geschenkt. Sagen würde man ihnen, dass diese sieben Stücke sie von ihren zwar nicht ergonomischen, dafür aber besonders schicken Vitra-Stühlen reißen werden. Sinistre und hektische Überschallgeschwindigkeits-Kopfnicker („Big Pilot” und „A Yow Jon K”) gibt es ebenso wie zeitgemäße Tiefgründigkeit im Hip-Hop-Gewand („Appiness”). In Equiknoxx we trust. Andreas Cevatli

L.F.T. – Radiosick EP (Return To Disorder)

L.F.T. – Radiosick EP (Return To Disorder)

Der Hamburger L.F.T. alias Johannes Haas hat sich in den letzten fünf Jahren eine stattliche Diskographie an Electro-Releases erarbeitet, die gerne dem Synthpop huldigen  und dabei auch Wave-Elemente in clubtaugliche Tracks verpacken. Genau so tut er es auf der Radiosick EP für Helena Hauffs Label Return to Disorder.

Auf vier schnörkellosen Electro-Nummern gibt es jede Menge grimmige Sägezahn-Basslines und synkopierte Perkussion zu hören; dazu ausufernde, leiernde Synthmelodien und gelegentlich eine Prise Vocoder-Vocals. Neben dem charakteristischen Sound von trockenen Drummachines und massiven Reese-Bässen zieht sich ein latent aggressiver, durchaus als schräg zu bezeichnender Vibe durch die Platte, genau wie er die Sets von Labelbetreiberin Hauff nach wie vor prägt. Leopold Hutter

Toma Kami – Amapicante EP (Livity Sound)

Toma Kami – Amapicante EP (Livity Sound)

Mit der Amapicante EP veröffentlicht Toma Kami bereits seine dritte Maxi auf dem großartigen Livity Sound. Alle Tracks sind wieder sehr drumorientiert – klar, üppig orchestriert war die Musik des Franzosen wirklich noch nie –, aber so reduziert präsentierte sich Toma Kami bisher selten durchgehend auf einer Veröffentlichung. Die Stücke klingen zum Teil wie Rhythmusstücke nordafrikanischer traditioneller, aber durchaus auch populärer Musik, und der Einsatz einer Oud oder arabischen Gesangs würde an keiner Stelle verwundern.

Aber natürlich markieren eindeutige Bässe wie im Eingangstrack und knarzige Modulationen wie in „Later To The Bone” schnell den Genre-Kontext, zumindest im weitesten Sinn: Bass Music, Breakbeat, Post-Dubstep, immer auf hohem Abstraktionsniveau, immer und auf dieser EP noch ein Stück weiter weg von klar definierten Stiletiketten wie beispielsweise Drum’n’Bass. Geht man so sparsam mit musikalischen Elementen um, kann sich ein einfaches Stimmsample wie in „Zone Bruma” zur magischen Hook entwickeln, und es wäre fast schon ein Wunder, wenn dieser zweite Track nicht zu einem Sommerhit in gewissen wissenden Clubs und Zirkeln werden würde. Mathias Schaffhäuser

TSVI & Loraine James – 053 (AD93)

TSVI & Loraine James – 053 (AD93)

Die beiden Londoner Produzent*innen und Mitbewohner*innen Loraine James und TSVI sind an unterschiedlichen Enden im elektronischen Klangspektrum angesiedelt. Letzterer ist Mitgründer des Labels Nervous Horizon und bekannt für seine perkussionlastigen sowie treibenden Clubtracks, Erstere für ihre glitchigen Cross-Genre-Sounds auf dem Londoner Label Hyperdub.

Die gemeinsame EP 053 auf dem Label AD93 entstand hörbar während der Pandemie. Tracks wie „Gloom” und „Awaiting” schweben als frickelige Lo-Fi-Soundexperimente im Raum, haben aber noch genug Textur, um sie nicht einfach im Hintergrund laufen zu lassen. Mit dem lofi hip hop radio – beats to relax/study to hat sich die Ästhetik zwar eher zu einem neoliberalen Phänomen gewandelt, was einer eigenen Diskussion bedarf, aber die Lo-Fi-Produktion hier ist sehr wörtlich gemeint und verweist auf die spärlichen Produktionsmittel. Auch wenn der Nostalgieeffekt nicht ausbleibt, zeigt die EP, was möglich ist mit einem verstimmten Klavier, einem einfachen Mikro und Smartphones.

Gleichzeitig brechen schnellere Tracks wie „Observe” und „Eternal” mit den plätschernden Klängen und bringen James’ fragmentarischen Sound und TSVIs treibende Drums zueinander. Dabei zieht sich der feinstoffliche Gesang wie ein roter Faden durch die EP und hält alle Tracks zusammen. Die Veröffentlichung probiert keine Hörerwartungen zu erfüllen, sondern wirkt frei und assoziativ. 053 ist nicht der große Wurf, aber genau deswegen angenehm. Nadine Schildhauer

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