CVO – untitled (HÖR Apr 7 / 2022)

Ein starker Drang nach Veränderung trieb den hier als CVO aktiven Casimir von Oettingen im Jahr 2013 weg von seinem Geburtsort Halle in unsere feierfreudige Hauptstadt Berlin, in der er ziemlich rapide Resident bei der Partyreihe Bordel Des Arts im Salon zur wilden Renate wurde und das Label Bladehouse gründete. All das unter der Prämisse, weiterhin Teil der hallensischen Station Endlos zu bleiben, die nicht nur die populärste Szene-Disco der Stadt ist, sondern als Kollektiv auch die Bühnen-Architektur diverser nationaler und internationaler Festivals verantwortet. 

Das Streben nach neuen Visionen und das Sammeln von Know-How scheint Casimir von Oettingen in allen Bereichen ein Anliegen zu sein, es bildet einen wesentlichen Part der Ideologie des Produzenten und DJs. Das mag vielleicht auch den Impuls für sein neues Projekts CVO geformt haben, mit welchem er dem Deep-Tech-House vorerst den Rücken kehren und sich stattdessen ganz dem Minimal House widmen möchte. Und das mit grooviger Stimulanz und einer Track-Selektion de luxe – wie auch in seinem Mix vom 7. April auf HÖR zu hören und zu beäugen ist.

Neben ausgewählten Micro-House-Tracks anderer Artists dürfen auch eigene Kompositionen wie „Lola’s Motility” nicht fehlen. Durch Nummern wie „Up all night having fun” von Permax & Sisto gibt er dem konstanten und dynamisierten 126 bpm-Antrieb im Set zugleich Substanz sowie einen Namen. Das Non-Stop-Dance-Gefühl unterstreicht er durch einen Remix des Swing-Klassikers „The Beat goes on” von Buddy Rich aus den späten 1960er Jahren. Und ja, der Beat ist sowas von da, geht weiter und bleibt stetig auf demselben Tanzlust-Niveau, welches dann final durch einen sanften Afterhour-Ausklang abgelöst wird. Celeste Lea Dittberner

Fergus Clark – 04042022 (NTS)

Im Zuge seiner monatlichen Radiosendung bei NTS präsentierte Fergus Clark aus Glasgow wieder seine verspielte Auswahl, die sich dieses mal zwischen dunklem Ambient, einer gewissen Prise Post-Punk und im Verlauf der Sendung auch in Richtung technoider Klänge bewegt. Die Sendung des 12th Isles-Mitbegründers profitiert von Clarks enormen Fundus an obskuren Melodien aus der ganzen Welt und der Art, wie er diese aneinanderreiht. Nach einem ruhigen, teils sakralen Beginn baut „Unterm Himmel” der Berliner Band Kulk zum Ende des ersten Drittels des Mixes eine Art Geniale-Dilettanten-Chor zu einem fragilen Kanon auf, um sich dann mit dem Beginn der zweiten Hälfte in stabilisierenden Basslines zu fangen, wozu die Rhythmen etwas mehr an Fahrt aufnehmen. Trotzdem geht es verspielt weiter – so reiht sich auch der Stimmungswechsel durch ESBs „Going Away” glatt in den Mix ein. Mit dieser Sendung geleitet uns Fergus Clark vorsichtig aus einem dunklen Winter hin zu den ersten Sonnenstrahlen, die man bei Richard Norris’ und Dave Balls’ spacigem „Intergalactica” mit Trance-Touch auch schon fast erahnen kann. Malte Scheibe

Coco Bryce w/ Jay Carder (Balamii)

Als Co-Ownerin von Erbium Records versammelt Jay Carder auf ihrem Label gems aus dem Underground von Birmingham und London. Gemeinsam mit UK-Garage- und Break-Matador Coco Bryce schafft sie für dessen Show auf Balamii ein entspannt-eklektisches Potpourri aus Hip-Hop, Jungle und Footwork. Mit einem King-Crimson-Sample beginnt der Spaß gediegen und will auch so bleiben. „U R“ von Oceantied spielt in derselben Liga. Auch Proc Fiskal, Breaka, Rareman ändern daran nichts. Ersterer ist in seiner verträumt-pastelligen Stimmung richtig schön Tycho-mäßig zum Am-Strand-einnicken. Auch die nachfolgenden Namen ziehen die Geschwindigkeit nur mäßig an. „Motor City 3“ vom Sample-König J.Dilla höchstselbst sowie Soho mit „Jazzy Joints“, die man im übrigen leicht für ein Moniker des ersteren halten könnte, markieren die Mitte.

Auf einer Achterbahn geht es für gewöhnlich nach dem Anstieg schnell bergab. Diese Achterbahn jedoch scheint das ein wenig anders zu sehen. Weiterhin gefühlvoll aber konstant treibt alles, was mit Beats zu tun hat, fröhlich nach vorne. Kareem El Morrs „Rudeboy Dub“ hat was von der Entrücktheit von Boards of Canada. Erst im letzten Viertel reißt’s einem aus der Entspannung. Vertrackt, verspielt, experimentell und mit Wumms werden wir unter anderem von DJ Krush kurz wach geschüttelt, bis alles abklingt wie ein sommerlicher Rausch. Lutz Vössing

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Vanessa Maria – XLR8R Podcast 743 (XLR8R)

Vanessa Maria, DJ und Aktivistin jamaikanisch-deutscher Herkunft aus London, nutzt ihren Mix für XLR8R, um ihren breitgefächerten Musikgeschmack vorstellen – was in ihrem Fall nicht als hohle Phrase verstanden werden sollte. Besonders ins Ohr sticht ihr Hang zum Pop: Samples von MGMTs „Kids” oder Fergies „Fergalicious” tauchen in den Tracks auf, die Vanessa Maria für die knappe Stunde ausgesucht hat. Besonders Kinder der 2000er und 2010er dürften sich mitunter an Zeiten erinnert fühlen, in denen Chartsendungen auf VIVA oder MTV noch hoch- und runterrotierten.

Die Tracks, allesamt mit prägnanten Vocals, lassen sich durchaus als cheesy bezeichnen, vermitteln aber einen Eindruck davon, wie eine kontemporäre Tanzveranstaltung im Vereinigten Königreich klingt. Hörenswert ist das Ganze auch, weil Vanessa Maria nicht im immer gleichen Trott bleibt, sondern Beatmuster – die starke Break-Nummer zu Beginn ist glücklicherweise nicht die einzige – und Geschwindigkeit variiert. Auch deshalb stört das vereinzelte, unvermittelte Lospreschen im Garage-House-Modus nicht, sondern fühlt sich ehrlich erarbeitet an. Maximilian Fritz

Mira Calix: Mixed by Kelly Moran (Crack Magazine)

Der März 2022 endete mit einer unerwarteten Nachricht: Klangkünstlerin und Warp-Act Mira Calix war verstorben, die Trauer groß. Quer durch die Bank bekundeten Labels und Artists via Social Media ihr Beileid. Ihr Ableben hat die Aufmerksamkeit zahlreicher Hörer*innen auf die Musikerin gezogen, die Calix vor der Eilmeldung noch nicht auf dem Radar hatten. Mit 26 künstlerisch aktiven Jahren hat Mira Calix einen breit gefächerten Katalog hinterlassen. Die interdisziplinären Kompositionen enthalten eine Unmenge an unterschiedlichen Sonoritäten und verlangen geeignetes Setting, Aufmerksamkeit und ein bisschen Zeit. Schnell wird klar: für Mira Calix ging es um allzeitige Veränderung im künstlerischen Ausdruck. Schlussendlich auch um die Überschreitung von Grenzen und der Erkundung von Neuland. Mira Calix: Mixed by Kelly Moran ist ein durchdachter Mix, der das musikalische Vermächtnis der kürzlich verstorbenen Künstlerin angemessen einzufangen versucht. Die 2018 gesignte Warp-Künstlerin Kelly Moran bezeichnet dieses Set als Tribute-Mix, der die mannigfaltige Ausdrucksfähigkeit von Calix in einer einstündigen auditiven Reise zusammenfasst. Die erzeugten Stimmungen und Klangräume von Calix verbindet Moran feinmotorisch durch vorsichtige Cuts sowie langgezogene Überlagerungen der Tracks. Das Ergebnis: ein musikalisches Kompendium Mira Calix’, welches längst verdrängte Gefühlswelten zum Vorschein kommen lässt. 

Die Dramaturgie des Mixtapes ist chronologisch orientiert. Zu Beginn finden sich Releases aus den späten 1990ern, gegen Ende ertönen Produktionen von 2021. Ob Klavier oder Violine, Sprechgesang oder Feldaufnahmen, harmonisch oder weit weg von sämtlicher Musiktheorie: Calix’ Klänge lösen eine Vielfalt an Emotionen und Seinszustände aus. Für alle, die nicht die Gelegenheit hatten, die Künstlerin live anzutreffen, bietet dieser Mix einen idealen Einstieg. Felix Gigler

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