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Sven Väth: „Das hat jetzt ein bisschen gedauert”

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Sven Väth (Alle Fotos: Daniel Woeller)

Sven Väth veröffentlicht mit Catharsis sein erstes Album seit zwei Dekaden. Das erscheint gewissermaßen logisch: Es ist Pandemie, der Jahreskalender auch bei den Größten der Branche nicht mehr zum Bersten vollgestopft. Zwar tourte Väth im vergangenen Jahr sehr wohl, erklärt im Interview, das seine Diskografie und seine Beziehung zum Spiritualismus aufgreift, aber, wieso sich seine Kreativität zuletzt maßgeblich am eigenen Archiv entzündete.

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Fast 20 Jahre sind seit deinem letzten Album vergangen. Es gibt Leute, die behaupten, dass Clubmusik im Albumformat nicht wirklich funktioniert. Wieso hast du dich zeit deiner Karriere dazu hingezogen gefühlt?

Um ehrlich zu sein, war Catharsis gar nicht so geplant, eher ein Prozess, den ich die letzten zwei Jahre durchgemacht habe. Als ich mich während Pandemie und Lockdown gefragt habe, was ich jetzt machen soll. Ich war zu der Zeit mit meiner Freundin in London und hatte Lust, einfach mal wieder zurückzuschauen und mein Musikarchiv von Anfang an durchzugehen. Vor allem die Zeit von ’81 bis ’89, was ich da so gespielt habe. Da habe ich mich wochenlang reingekniet und schließlich sechs Playlists zusammengestellt. Nicht mit den offensichtlichen Sachen wie Depeche Mode oder Madonna, was natürlich auch gelaufen ist zu der Zeit. Daraus ist eine Compilation entstanden, die Ende dieses Jahres rauskommt. Viele Tracks davon kriegst du gar nicht mehr, wir haben ein Jahr daran gearbeitet, die Rechte zu bekommen. Die heißt What I Used To Play.

So wie der Opener auf Catharsis.

Genau. Das habe ich auf 37 Songs runtergebrochen, die auf 12-Inch-Vinyl in einer schönen Box kommen werden. In der Phase habe ich mich mit dem Sound und der Zeit unwahrscheinlich stark beschäftigt. Das hat Erinnerungen und Bilder wachgerüttelt. Dann kam mir, dass ich schreiben musste. Über diese ganze Zeit, was ich da so erlebt habe. Dann kam mir noch die Idee, dass ich dazu einen Bildband mit Text rausbringe, so ein Coffeetablebook. Da habe ich natürlich ein Fass aufgemacht. (lacht)

Wieso?

Ich musste ins Archiv, mich durch die ganzen Kisten, Fotos, VHS-Kassetten und Tapes wühlen. Die Flyer, die Poster. Das ist viel, viel, viel Material. Mein Team hat mir auch geholfen, die habe ich damit bei Laune gehalten, damit sie was zu tun hatten in der Zeit. (lacht) Jedenfalls hat das echt was mit mir gemacht, das war wie eine Entschlackung, Kopf-Ayurveda.

Wie ging’s weiter?

Ende 2020 bin ich nach Ibiza, wo ich ein paar Wochen geblieben bin. Da habe ich für Pete Tong einen Essential Mix mit meinen liebsten Cocoon-Tracks gemacht, wir hatten ja letztes Jahr unser 20-jähriges Jubiläum mit Cocoon Recordings. Meine Freundin und ich hatten dann einen wirklich schönen Abend und haben mit einem Fläschchen Rotwein zu der Radiosendung in die Nacht getanzt. Morgens bin ich aufgewacht, habe mir meinen Saft gepresst. Irgendwie sind mir dann Lyrics in den Kopf geschossen. Da habe ich unwahrscheinlich stark gespürt, was uns allen fehlt. Das Tanzen, das Miteinander. Dann habe ich die Lyrics zu „Feiern” geschrieben. Das war der Anstoß.

Das Album wurde um „Feiern” herum entwickelt.

Genau. Ich habe dann Gregor Tresher angerufen, meinen lieben Freund, Kollegen und geschätzten Musiker, und ihn gefragt, ob er Zeit hat und im Studio ist. Hatte er. Dann habe ich ihm die Vocals von meinem iPhone geschickt.

„Feiern” wurde remote produziert?

Ja, aber nur dieser Track. Das ging dann hin und her, bis ich gesagt habe, dass ich nach Frankfurt komme. Dort meinte ich zu ihm: „Hast du Zeit? Wollen wir noch ein bisschen mehr machen?” Ich hatte so viele Ideen, mein Kopf war voll, auch weil ich diese Rückschau hatte. Da war ein Bedürfnis da, noch mehr rauszulassen. Und mit Gregor hatte ich genau den richtigen Mann.

Wie lief die Zusammenarbeit?

Er war sehr einfühlsam, es hat super gegroovt, sich gut verbunden. Wir sind mit unserer Kreativität und unseren Ideen Schritt für Schritt weitergegangen, dann war irgendwann klar, dass das ein Album wird.

Gregor Tresher hat diverse Platten auf Cocoon Recordings veröffentlicht. Hast Du auch früher schon mal mit ihm Musik gemacht?

Das war eine spontane Eingebung. Er hat für mich schon Remixe gemacht, die ich gut fand, das war ein Impuls. (lacht)

Auf dem bereits erwähnten Opener sagst du „My musical footprints of different decades reflect my lifepath”. Wolltest du die verschiedenen Einflüsse auf Catharsis ausbreiten?

Schon. Auf „What I Used To Play” schwingt so eine Achtziger-Stimmung mit, es klingt aber trotzdem modern, weil wir es eben so produziert haben. Auf dem Album finden sich musikalische Themen, die mich in den letzten 40 Jahren begleitet haben.

Was wäre das konkret?

Na ja, Verschiedenes. Gerade die Ambient-Tracks, das ist Neunziger, Anfang der Neunziger. So ein Sound, den ich auch auf Accident In Paradise gemacht habe. „We Are” geht hingegen perkussiv echt gut ab. Das beschreibt eher so die Zweitausender mit der tiefen Bassline und dem fetten Sound. Auch Reisen sind mit eingeflossen. Im Titeltrack ist im Hintergrund ein Loop, den ich am Ganges aufgenommen habe. In Varanasi. Das war bei Sonnenuntergang und Vollmondaufgang. Ich saß da mit meiner Freundin in so einem Holzruderboot, ganz romantisch. (lacht) Abends haben die dort immer ihren heiligen Lieder gesungen, diese Stimmung habe ich aus der Ferne aufgenommen. Da kommen hunderte Leute zusammen, die machen dann alle mit, haben Schellen und kleine Gongs. Absolutes Gänsehautfeeling. Das ist eine Befreiung, ein Ritual, das die da jeden Abend machen. Etwas Reinigendes. Deswegen fand ich das passend für den Titeltrack.


Klar, man freut sich natürlich schon, wenn jemandem das Album gefällt, der von Musik Ahnung hat. In der Vergangenheit gab es aber genug Verrisse meiner Alben, da lernt man auch mit leben.


Auch „The Cranes of Gangtey Valley” scheint von deinen Reisen inspiriert.

Das ist auch so eine Geschichte. Da gibt’s den Schwarzhalskranich, ein ziemlicher großer Vogel, der aus Tibet kommt. Die ziehen von dort im Winter nach Bhutan ins Gangtey Valley. Da ist ein ganz altes Kloster. 2015 habe ich mit einem Freund eine Wandertour durch Bhutan gemacht, auf der wir die beobachtet haben. Da habe ich ein paar Recordings gemacht, wo man die schnattern hört. Morgens kommen die zusammen und machen einen ganz schönen Lärm. (lacht)

Das heißt, diverse Samples sind direkt von deinem iPhone aus aufs Album.

Jawohl, das ist ja das Geile. (lacht) Im Februar fliegen die jedenfalls wieder ab, drehen drei Runden um das Kloster und fliegen dann weiter. Für die Buddhisten dort ist das ein Zeichen, dass die überhaupt kommen. Das passiert erst seit zehn Jahren oder so. Der Situation habe ich den Track gewidmet.

Sven Vaeth by Daniel Woeller 3

Catharsis erscheint am 25. Februar.

Ich hätte ja gerne den 22. gehabt, das wäre eine schöne Schnapszahl gewesen. (lacht) Aber das mit den Platten ist zurzeit echt ein Kampf.

Hast du da auch Stress?

Ja, wir kämpfen einfach um Platz. Dass wir Releases richtig platzieren können, die Presswerke sind alle voll, ausgebucht. Jeder will ja jetzt irgendwie Vinyl machen, es gibt ja nicht mehr viele.

Ich dachte, ihr als Cocoon habt da vielleicht eine etwas exponierte Position.

Ne, nicht wirklich. (lacht)

Wenn das Album erscheint und es würde verrissen, bedeutet dir das noch was? War dir Kritik je wichtig?

Mich juckt das jetzt nicht. Klar, man freut sich natürlich schon, wenn jemandem das Album gefällt, der von Musik Ahnung hat. In der Vergangenheit gab es aber genug Verrisse meiner Alben, da lernt man auch mit leben. Eigentlich habe ich da kein Problem mit.

Kannst du dich noch erinnern, wie deine ersten Alben aufgenommen wurden?

Meine allerersten Alben gingen noch auf Tonband.

Ich meinte eher, wie sie die Kritiker aufnahmen.

Ach, das! (lacht) Eigentlich sehr gut, muss ich sagen. Ich habe damals mega Presse bekommen, gerade aus England, gerade von den großen music journals dort. Die Accident In Paradise wurde abgefeiert. Fürs Harlequin-Album gab’s auch negative Kritiken, weil die einen oder anderen das Konzept nicht gut fanden. Aber es kann jeder seine Meinung kundtun, je nachdem, was man hören möchte.


Ich bin von einem Promoter eingeladen worden und habe mich über die Situation vor Ort genau informiert und das Ganze gründlich abgewogen. Corona war zu der Zeit in Goa, also im Süden, überhaupt nicht aktuell.


Der Name Catharsis hat ja etwas Spirituelles. Der Pressetext spricht von Introversion, auch deine anderen Alben haben diese Züge, mal ausgeprägter, mal weniger. Dieser spirituelle Faden scheint sich seit ihrem Anfang durch deine Karriere zu ziehen.

Da ist ein roter Faden, definitiv.

Wie hast du diese Spiritualität für dich entdeckt?

Eigentlich durch Tanzen, über die Musik. Durch die Schwingungen. Die Zustände, die ich da erreicht habe, habe ich selten irgendwo anders erlebt. Ich bin jetzt auch kein Kirchengänger. (lacht)

Bist du noch in der Kirche?

Ne, ich war mal evangelisch, bin aber schon mit 14 ausgetreten. Jedenfalls habe ich mich schon früh mit tiefer Musik, wie ich sie mal nennen will, beschäftigt. Das hat mich immer wieder inspiriert. Ich bin ja Brian-Eno-Fan, von seinem Ambient-Arbeiten. Das hat mich immer sehr bewegt. Auch Harold Budd, der ja leider an Corona verstorben ist letztes Jahr. Der war einer meiner Lieblinge. Ich gebe mich der Sache gerne ganz hin und lass’ es laufen, das erklärt vielleicht auch, wieso meine Tracks immer so lange sind. (lacht) Das finde ich auch in DJ-Sets wichtig; ich bin nicht der große Freund von langen Breaks. Wenn in Sets der Rhythmus richtig durchgeht, ist der Effekt viel stärker. Man kann sich immer wieder fallen lassen. Wenn er immer wieder unterbrochen wird, kommst du immer wieder raus. Ich liebe das Tanzen, diesen tranceartigen Zustand, den man damit erreichen kann, auf eine Reise zu gehen, gleichzeitig im Kollektiv zu sein. Da kommt Spirit auf.

Indien scheint dich kulturell durchaus zu inspirieren. Kannst du mit der dortigen Spiritualität oder Religiosität mehr anfangen?

Nicht wirklich. ich finde es eigentlich ziemlich krass, was die da abziehen, zum Beispiel im Hinduismus. Buddhismus ist ja keine Religion, sondern eine Philosophie. Dem kann ich schon viel mehr abgewinnen. Ich mag aber die indische Musik sehr gerne, ihre Schwingungen. Klar, es ist einfach ein spirituelles Land, ich habe viel Zeit dort verbracht. Anfang der Neunziger hatte ich mit einer Freundin zusammen ein Haus in Goa. Wir sind viel gereist, ich habe mir viel angeschaut.

Du warst auch letztes Jahr noch in Indien. Für eine Tour, für die es Kritik gab. Wie hast du das wahrgenommen?

Ich bin von einem Promoter eingeladen worden und habe mich über die Situation vor Ort genau informiert und das Ganze gründlich abgewogen. Corona war zu der Zeit in Goa, also im Süden, überhaupt nicht aktuell. Im Norden, zum Beispiel in Delhi, sah das anders aus. Das wäre so, als würdest du auf einer Distanz von Rom bis Helsinki alle Regionen gleich bewerten. Das war alles offiziell, eine legale Party. Dort waren nur Inder, schöne Party.

Kannst du dir das Aufkeimen der Kritik erklären? Neben dir waren ja noch diverse andere DJs betroffen.

Die waren ja alle unterwegs. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mich interessiert das nicht. Es gibt immer Hater und Leute, die meinen, sie müssten da was dazu sagen. Was wissen die, was in Indien abgeht? Ich vertraue da meinem Promoter. Wenn der sagt, er hat da unten einen Open-Air-Club, er macht eine Veranstaltung, es sind auch andere DJs geladen und es ist alles legal. Ich habe meine Arbeitsgenehmigung und meine Papiere, bin da ganz normal eingereist. Deshalb muss ich niemandem Rechenschaft ablegen. Ich weiß nicht, warum die Leute sich da so reingebohrt haben. Es gab ja anscheinend ganz spezielle Kandidaten. Ich lasse das an mir abblitzen.

Wie lief dein letztes Jahr generell?

Ich habe fast nur kleinere Gigs gespielt, viele Clubevents, das hat echt Spaß gemacht. Ich war in New York, habe am Independence Day in einem Warehouse in Brooklyn gespielt. Dort hatte ich das Gefühl, New York ist neu aufgewacht, es war so ein toller Vibe in der Stadt. Danach habe ich in San Francisco in einem Club gespielt, wo ich das letzte Mal vor 20 Jahren war. Auch in London hatte ich ein paar schöne Club-Gigs.

Unter anderem einen Testrave, der vom NHS organisiert war. Der fand aber eher in einem Warehouse statt.

Genau, in Liverpool, da habe ich unter anderem mit Fatboy Slim gespielt. In den ersten Reihen haben sie geweint. Von der Stimmung her ist es grandios, was ich alles erlebt habe. Wie emotional geladen das alles ist, die Leute sind so happy, so hungrig, die wollen raus, die wollen tanzen, eine gute Zeit haben. Gerade die junge Generation kriegt’s ja richtig hart ab. Die sind natürlich auch am Rebellieren und machen ihre illegalen Raves. Irgendwie kann ich’s verstehen, auch wenn’s teilweise eine harte Nummer ist.

Viele deiner Kolleginnen und Kollegen haben gesagt, dass sie während der Pandemie in ein Loch gefallen sind. Du hast dich einfach einem Projekt nach dem nächsten gewidmet?

Ja, muss ich sagen. Ich hatte für mich selbst was zu tun. Aufräumen. Ich habe Kochen gelernt, das kommt auch noch hinzu.


Gerade mit Roman und Jörn habe ich viel Zeit verbracht, gerade auf Ibiza, diverse Afterhours, sehr spezielle Partys. Das hat immer mitgeschwungen in meinen Alben, mal ein bisschen was Verspultes, ruhigere Sachen, die in die Ambient-Richtung gehen.


Was denn so?

Ich habe mich auf Säfte spezialisiert. Green Juice, Detox-Juices und so weiter. Dann mache ich sehr gute Steaks. Und meine Freundin ist Italienerin, die hat mir gezeigt, wie man ordentliche Pasta kocht. (lacht) Eine schöne Bolognese mit Rotweinsauce. Aber ich habe natürlich mitbekommen, dass viele Kollegen in Löcher gefallen sind. Die Vollbremsung war ja auch oberkrass. Es war unmöglich, dass es dann immer hieß, wir seien nicht systemrelevant. Wir gehören doch zur Kultur dazu. Das fand ich schockierend. Auch mit welchem Ton das kommuniziert wurde.

Zu herablassend?

Absolut. Clubs mit Bordellen gleichzusetzen und so was. Wo ich mir dachte, was ist denn jetzt los?

Sven Vaeth by Daniel Woeller 4

Ich wollte nochmal etwas detaillierter über das neue Album sprechen. Catharsis ist durchaus lang, aber kurzweilig geworden.

Mit 13 Tracks und einer Länge von fast 90 Minuten ist das schon eine Ansage.

Das ist ja eher die Regel als die Ausnahme bei dir, wenn man auf deine Diskografie zurückblickt. Du neigst dazu, sehr lange Tracks zu machen.

Auf jeden Fall.

Wenn wir als Startpunkt Accident In Paradise von 1992 nehmen und als Endpunkt Catharsis, wie würdest du deine künstlerische Entwicklung dazwischen beschreiben?

Spannend und immer wieder neu, weil ich mich immer wieder für was anderes interessiert habe. Und weil ich die Möglichkeit hatte, mit verschiedenen Musikern zusammenzuarbeiten. Das hat immer mal wieder ein Türchen aufgemacht. Die Zeit mit Roman Flügel und Jörn Elling Wuttke, mit Johannes Heil, mit Anthony Rother. Mit dem habe ich übrigens meine letzten beiden Singles Komm und Springlove produziert. 2005 und 2006 war das. Das waren meine letzten Releases. Davor war ich als Künstler noch bei Majorlabels gebunden. Ich hatte bei Warner Brothers einen Vertrag und bei Virgin.


Ich spiele auch nur Vinyl. Das ist schon mal ein Filter, die ganzen Digitalreleases höre ich mir gar nicht an. Aber es gibt genug Labels, die die ganze Zeit veröffentlichen. Und genug Vinyl. Da habe ich schon genug zu tun mit.


Wie lief das?

Als Künstler hat man da eine gewisse Pflicht. Man muss delivern. Du kriegst einen Vertrag für zwei Alben plus Option aufs dritte oder aufs vierte. Mit Fire, meinem letzten Album, das 2002 veröffentlicht wurde, war das für mich irgendwie beendet. Ich dachte mir, das sei ein ganz guter Zeitpunkt, um sich mal auf andere Dinge zu fokussieren.

Fire hast du mit Roman Flügel und Jörn Elling Wuttke gemacht.

Genau. Da habe ich mich musikalisch ganz gut ausgetobt, muss ich sagen. Gerade mit Roman und Jörn habe ich viel Zeit verbracht, gerade auf Ibiza, diverse Afterhours, sehr spezielle Partys. Das hat immer mitgeschwungen in meinen Alben, mal ein bisschen was Verspultes, ruhigere Sachen, die in die Ambient-Richtung gehen. Das hat mich schon immer interessiert. Und es ist schön, wenn du weißt, dass du einen studierten Musiker an der Seite hast, der auch mal schön in die Tasten greifen kann. Das hat mir immer Spaß gemacht.

Wieso hast du dann so lange kein Album mehr gemacht?

Ich hatte ab 2002 entschieden, mich mal mehr um meine Firma zu kümmern. Wir hatten ja eine Bookingagentur, eine Eventagentur und das Label aufgebaut. Parallel noch Ibiza mit unserer Eventserie, aus der jährliche Mixcompilations entstanden sind. Dann war auch schon der Cocoon Club in der Planung, den wir von scratch auf gebaut haben. Deshalb hat sich mein Fokus ein bisschen auf andere Dinge gelegt. Das war auch in Ordnung. Ich habe mir nur gesagt: Wenn ich irgendwann mal wieder Musik mache, dann bringe ich das natürlich auf meinem eigenen Label raus. Und das hat jetzt ein bisschen gedauert. (lacht)

Du hast früher mit Majors zusammengearbeitet, als Techno für die noch wirklich interessant war. Wie bist du zu Warner oder Virgin gekommen?

Ganz klassisch. Man hat mit seiner Produktion einen Termin bekommen beim A&R und hat vorgespielt, woran man gerade arbeitet. Dann gab’s eine Antwort, wo es hieß: „Machen Sie weiter, wir sind interessiert. Wir können uns das vorstellen, mach’ da ein Album draus.” Zum Glück hatte ich coole A&Rs, die mich einfach haben machen lassen. Da gab’s nicht die Ansage, dass noch ein Hit dabei sein muss.

Dir wurde nicht reingepfuscht.

Sonst hätte ich’s auch nicht gemacht, um ehrlich zu sein. Sonst hätte ich die Sachen selbst rausgebracht. Ich hatte damals ja Eye Q, Harthouse und Recycle Or Die. Aber die waren interessiert, somit hat das gepasst. Damals war auch noch die Zeit der Videoclips, die auf MTV oder VIVA liefen. Die hatten die Budgets, um ein schönes Video zu den Songs zu machen.

Welches Video würdest du rückblickend als gelungensten bezeichnen? „Dein Schweiss”?

Das finde ich unwahrscheinlich zeitlos. Daniel Woeller, mit dem ich viele Videos gemacht habe, hat das gedreht. Der hat auch „Mind Games” gemacht. Da tanze ich mit dem Forsythe-Ballett. Ganz abstrakt, Modern Dance.

Aus heutiger Sicht wirkt es schon leicht surreal, dass so was früher auf Majors erschien.

Obwohl ich ja nicht nur Techno produziert habe. Meine Alben sind ja Journeys.

Wie seid ihr auf Accident In Paradise eigentlich drauf gekommen, ein Cembalo einzusetzen?

Damals habe ich ganz gerne Dead Can Dance gehört. Die setzen viele klassische Instrumente aus dem Mittelalter ein. Das hat mich wohl inspiriert.

Accident In Paradise, The Harlequin und Fusion hast du mit Ralf Hildenbeutel produziert. Wie bist du auf ihn gestoßen?

Ich habe damals Matthias Hoffmann, Ralf Hildenbeutel und Steffen Britzke ganz zufällig in Frankfurt kennengelernt. Das waren Studiomusiker, die in Bands gespielt haben, und irgendwie haben wir uns angefreundet. Die habe ich mit nach Ibiza genommen und sie ein wenig ins Nachtleben eingeführt. House, Techno, Ibiza.

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Die wussten gar nicht, was das so ist?

Nee. Zu der Zeit hatte ich ja das Omen, wo ich sie dann mal hingelockt habe. So ging das step by step. Auch Barbarella habe ich mit Ralf Hildenbeutel produziert, das kam ja noch vor Accident In Paradise, ein Eye-Q-Release. So haben wir uns kennengelernt, ein bisschen abgeschnuppert, wo man musikalisch steht. Irgendwann meinte ich, dass ich eine Idee habe und Jane Fonda in Barbarella so cool finde. Dann habe ich mit ihm das Album gemacht. Das hat so gut funktioniert, dass ich das ausbauen und noch mehr zusammen machen wollte.

Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?

Er ist studierter Musiker und Pianist, hat viel Filmmusik gemacht, war aber trotzdem total offen. Zuvor hatte er nie mit einem DJ zusammengearbeitet, ich hatte natürlich ganz andere Ideen, auch was Arrangements angeht. Dennoch hat alles super funktioniert. Auf Accident In Paradise habe ich viel aus Indien einfließen lassen; Samples, die Stimmung, Sitars, atmosphärische Sachen. Das hat echt gut geklappt.

Und nach Fusion seid ihr dann im Guten auseinandergegangen?

Klar. Ich habe gesagt, dass ich jetzt mal was Neues ausprobieren muss, das war okay. Auf jeden Fall war das eine schöne Zeit.

Accident In Paradise und The Harlequin muten auch heute noch ungewohnt an.

Das sind Trips, Reisen. Genau das hat die Alben ausgemacht, die Bandbreite. Es ist Musik mit eingeflossen, die ich auch privat höre. Ich höre ja sehr viel Verschiedenes. Jazz, Native, Afrobeat; bei mir läuft jetzt nicht den ganzen Tag elektronische Musik.

Hörst du nach all der Zeit noch gerne privat elektronische Musik, oder ist das für dich nur noch Arbeit?

Ich genieße das! Wenn mein Sohn dabei ist, scratcht der noch zwei-, dreimal rein. (lacht) Das ist für mich wie ein Ritual, eigentlich darf mich dabei auch keiner ansprechen. Einmal die Woche, vier fünf Stunden. Das ging die letzten zwei Jahre nicht, weil ich überhaupt keine neue Platten anfassen wollte. Ich dachte mir: Für was willst du die hören? Danach bist du nur gefrustet. Dann lieber das Albumformat, wo ich mir das ein oder andere gezogen habe. Die Frage ist eh: Macht es in der Pandemie überhaupt Sinn, Dance Music zu produzieren?

Wie würdest du die für dich beantworten?

Wenn das Verlangen da und dir egal ist, ob das jetzt gespielt wird oder nicht, dann mach’s! (lacht)

Der Clubmusik-Anteil an deinem Hörverhalten ist aber inzwischen niedriger geworden.

In den letzten zwei Jahren ja. Ich spiele auch nur Vinyl. Das ist schon mal ein Filter, die ganzen Digitalreleases höre ich mir gar nicht an. Aber es gibt genug Labels, die die ganze Zeit veröffentlichen. Und genug Vinyl. Da habe ich schon genug zu tun mit. (lacht) Ich reise jedes Wochenende mit 50 Kilo Vinyl. Auch heute Abend wieder. Ich spiele im Club Viertel in Basel.

In der Schweiz ist ja schon wieder offen.

Genau. Dann geht’s demnächst nach Zürich, ich hätte auch ein Date in der Marktkantine Amsterdam, den Club finde ich ja ganz cool. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Holländer aufmachen.

Dänemark hat ab Anfang Februar auch komplett geöffnet.

Ja, auch in England sind die Masken gefallen.

Dort hatte ich eh das Gefühl, dass während der Pandemie phasenweise alles egal war.

Boris Johnson ist schon echt ein Krasser. Der braucht jetzt natürlich Applaus, Stimmen. Viele schütteln beim Thema Masken natürlich auch den Kopf. Ich würde den Leuten, die U-Bahn oder Bus fahren, nicht raten, darauf zu verzichten.

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