„Ein Club sei stets auch eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die eines Umgangs bedürfen”, erklärt Susu vom Awareness-Team des Mensch Meier. (Illustration: Dominika Huber)

Vor einigen Jahren noch eine Rarität, ist Awarenessarbeit mittlerweile in der Clubkultur angekommen. Dennoch bleibt sie nicht unumstritten. Was für die einen Sicherheit schafft, erleben andere als Einschränkung ihres hedonistischen Feiererlebnisses. Warum ein Club, der sich als Freiraum begreift, jedoch nicht darum herumkommt, gesellschaftliche Machtgefälle aufzufangen, erklärt GROOVE-Autorin Livia Lergenmüller.


Als sich Nicholas Isaiah King Rose im August diesen Jahres in einem Video an seine Instagram-Community wendet, um über seine queerfeindlichen und rassistischen Erlebnisse im Revier Südost zu berichten, wird ein weiteres Mal klar: Auch der Techno ist von diskriminierenden Strukturen weiterhin nicht befreit. Vier Türsteher sollen Rose bedrängt und in halbnacktem Zustand ohne Wertgegenstände aus dem Club geworfen haben. Die neu eröffnete Location sagte in Folge dessen seine nächsten Veranstaltungen ab.

Ein Festival im Sommer 2021 (Foto: Alexis Waltz)

Die Erlebnisse des US-Amerikaners sind kein Einzelfall und werden leider auch meistens nicht so rigoros aufgearbeitet wie durch das Revier Südost. Ob Kameras auf den Toiletten des Festivals Monis Rache und der Fusion, Rassismus an der Berghain-Tür oder intern im Salon zur Wilden Renate – marginalisierte Menschen können sich auch in den vermeintlichen Freiräumen des Nachtlebens nach wie vor nicht sicher fühlen.

Beratung, Unterstützung und gegebenenfalls Hilfe

Gerade an Orten, die durch Konsum und das Ausreizen eigener Grenzen gekennzeichnet sind, kommt es nicht selten zu übergriffigem Verhalten, auch sexualisierter Art. Wer sich nicht zur Wehr setzen kann, verlässt in Folge häufig den Ort oder meidet ihn künftig. So werden Räume geschaffen, die gesellschaftliche Machtverhältnisse reproduzieren und bestimmte Menschen implizit ausschließen.


Awarenessarbeit kann aus Gesprächen, einem Glas Wasser oder der Möglichkeit des Rückzugs bestehen. 


Ein Konzept, das diese Dynamiken auffangen möchte, ist das der Awarenessarbeit. Clubs wie das about:blank, das Mensch Meier oder Festivals wie die Fusion oder die Nation of Gondwana arbeiten bereits seit Langem mit solchen Konzepten. Aware zu sein bedeutet in diesem Sinne, sich gesellschaftlicher Machtstrukturen und deren Auswirkungen auf Individuen, auch und gerade im Party-Kontext, bewusst zu sein.

„Awareness-Arbeit zielt darauf ab, dass sich alle Menschen unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Herkunft, Aussehen und körperlichen Fähigkeiten möglichst wohl, frei und sicher fühlen können”, definiert Die Awareness-Akademie der Berliner Clubcommission den Begriff. „Grenzüberschreitende Situationen und (sexualisierte) Gewalt sollen durch Bewusstmachung von Strukturen und deren Reflexion bereits im Voraus verhindert werden”, heißt es weiter. „Wenn sie doch auftreten, gibt es geschultes Personal, an das sich betroffene Personen wenden können, um Beratung, Unterstützung und gegebenenfalls Hilfe zu bekommen.”

Was Awarenessarbeit konkret bedeutet

Umgesetzt wird dies in der Regel von Teams. Diese Teams haben oft einen festen Standort vor Ort, bewegen sich parallel jedoch auch frei, zumeist erkennbar im Geschehen. In erster Linie fungieren sie dabei als Ansprechpartner*innen. Menschen, die sich aus etwaigen Gründen unwohl fühlen, können sich an das Team wenden und um Unterstützung bitten.

Ein Festival im Sommer 2021 (Foto: Alexis Waltz)

Wer beispielsweise rassistische Übergriffe, Belästigung, sexualisierte Gewalt oder anderweitige Anfeindungen erlebt, soll deshalb nicht die Party verlassen müssen, sondern eine Anlaufstelle haben, an der nach einer individuellen Lösung gesucht werden kann.


„Ein Club ist immer ein Ort des Exzesses, an dem Menschen, allein schon durch Konsum, stets auch ihre eigenen Grenzen überschreiten.”

Susu

Die Unterstützung kann vielerlei Formen annehmen. Awarenessarbeit kann aus Gesprächen, einem Glas Wasser oder der Möglichkeit des Rückzugs bestehen. Es kann bedeuten, dass ein gemeinsames Gespräch mit der mutmaßlich gewaltausübenden Person geführt wird oder aber in Absprache mit der betroffenen Person weitergehende Konsequenzen gezogen werden. So haben Awarenessteams in der Regel auch das Recht, Menschen von der Veranstaltung zu verweisen.

Andere Detailfragen bleiben Auslegungssache. So ist es vielerorts eine wichtige Prämisse, dass Awarenessteams ausschließlich dann handeln, wenn sie explizit von einer betroffenen Person dazu aufgefordert werden, nicht jedoch proaktiv ins Geschehen eingreifen. Auch ob die Unterstützung bei substanzinduziertem Unwohlsein oder Überdosierung zum Aufgabenfeld gehört, wird unterschiedlich gehandhabt.

Clubs sind Teil der Welt, die man zu kritisieren versucht

Der Club Mensch Meier in Berlin setzt sich seit Beginn dafür ein, einen Raum zu schaffen, „in dem sich Menschen gegenseitig wahrnehmen (…) und wertschätzen”, wie es auf ihrer Website heißt. Dennoch sei man auch als Club Teil der Welt, die man kritisiere, weshalb es auch dort immer wieder zu Übergriffen komme. Aus diesem Grund hat der Club seit drei Jahren ein eigenes internes Awareness-Team aufgebaut, das auf allen Veranstaltungen anwesend ist.


“Es ist ganz normal, dass es an so einem intensiven, extatischen Ort zu Situationen kommt, in denen ich mich unwohl fühle oder getriggert werde.”

Susu

„Ein Club ist immer ein Ort des Exzesses, an dem Menschen, allein schon durch Konsum, stets auch ihre eigenen Grenzen überschreiten”, sagt Susu, Teil des Mensch-Meier-Kollektivs und zuständig für Awarenessarbeit. „Raven bedeutet ein Freiheitsgefühl, das man sonst im Alltag nicht erlebt. Dieses Gefühl kann sich bei mir aber erst einstellen, wenn ich respektiert werde und weiß, dass es mir und den Menschen um mich herum gut geht”, erklärt sie.

„Clubkultur hat sich vor allem in der elektronischen Musik lange Zeit stets auf den Cis-Typ am Pult fokussiert, der geile Mucke macht, den alle anfeuern. Es ist aber auch wichtig, was in der Masse geschieht”, findet auch Mate, ebenfalls aus dem Mensch-Meier-eigenen Awarenessteam.

In einem Club habe sie nicht nur den Anspruch an ein gutes Soundsystem und gute Musik, sondern vor allem auch an das Miteinander. „Es ist ganz normal, dass es an so einem intensiven, ekstatischen Ort zu Situationen kommt, in denen ich mich unwohl fühle oder getriggert werde. Ich wünsche mir, dass ich in solchen Momenten aufgefangen und gesehen werde.”

Ein Festival im Sommer 2021 (Foto: Alexis Waltz)

Für Susu und Mate ist unpolitisches Feiern undenkbar. Ein Club sei stets auch eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die eines Umgangs bedürfen. Daher sei es wichtig, auch vom Publikum selbst ein entsprechendes Bewusstsein zu erwarten. „Die Besucher*innen sollen ihre Kontrolle bei uns nicht an der Tür abgeben.” erklärt Susu. Clubs sollen auch ihren Raum dafür nutzen, für die Verantwortung einzelner zu sensibilisieren.

Awareness ist nicht Konsens

Nicht alle vertreten diese Haltung. Erst in diesem Sommer kam es auf einem Festival, bei dem ich selbst gearbeitet habe, zu Uneinigkeiten bezüglich der Notwendigkeit und der Aufgabenbereiche von Awarenessarbeit. Auch wenn ein Team anwesend war, befanden Teile der Organisation, dass Konzepte, die potenziell die Freiheit einschränken können, dem hedonistischen Gedanken der Veranstaltung zuwiderlaufen würden.

Bei der Idee, Betroffenen prinzipiell und beweislos Glauben zu schenken und in Folge dessen Menschen eventuell des Festivals zu verweisen, laufe man Gefahr, ungerecht zu handeln und das Feiererlebnis der Mehrheit zu stören. Eine Denkweise, die auch aus dem Umgang mit sexualisierter Gewalt bekannt ist.


Diskriminierung geschieht nicht nur auf dem Floor oder in den Toiletten. Sie geschieht auch innerhalb der Teams, im Booking, in der Programmgestaltung sowie an der Tür. 


Vor allem aber auch eine Denkweise, die einem mehrheitlich weißen, cis-männlichen Team entstammt. Eine solche Haltung entsteht meist ohne Bewusstsein für die rassistischen und anderweitig diskriminierenden Mechanismen, die den eigenen Strukturen inhärent sind. Die Verantwortung dafür, diese zu erkennen, sie zu reflektieren und ihnen entgegenzuwirken, liegt bei uns allen: Denjenigen, die in der Clubszene arbeiten, sie künstlerisch prägen, aber auch bei denjenigen, die sie konsumieren und zum Vergnügen nutzen. Denn Diskriminierung geschieht nicht nur auf dem Floor oder den Toiletten. Sie geschieht innerhalb der Teams, in der internen wie externen Kommunikation, im Booking und der Programmgestaltung sowie an der Tür.

Eine Clubkultur, die sich als Freiraum begreift, sollte versuchen, diesen für ihr gesamtes Publikum zu gewährleisten. (Illustration: Dominika Huber)

Das Revier Südost, das nach dem Vorfall mit Nicholas Rose im August jegliche Veranstaltungen und Kommunikation eingestellt hat, hat sich nun, knapp drei Monate später, mit einem ausführlichen Statement zurückgemeldet. Neben eines neuen Security-Teams, Umstrukturierungen im Management und einem Diversity- und Konfliktlösungs-Training für das gesamte Team des Clubs gehört dazu auch der Aufbau eines Awareness-Teams, GROOVE berichtete darüber. Damit scheint der Club das zu erfüllen, was es nach einem derartigen Vorfall braucht: Konfrontation, grundlegenden strukturellen Umbau und eine ehrliche Auseinandersetzung der rassistischen Sozialisation der einzelnen Akteur*innen. Abzuwarten bleibt, wie dies schlussendlich in der Praxis umgesetzt wird.

Wenn Hedonismus, dann bitte für alle


Wer sich dem Hedonismus verbunden fühlt, sollte sich im Klaren darüber sein, dass nicht alle diesen gleichermaßen ausleben können. Diskriminierungssensible Räume, gerade im Nachtleben, sind daher von fundamentaler Bedeutung. Dafür bedarf es einen achtsamen Umgang miteinander sowie geschultes Personal, das diskriminierende Mechanismen erkennt und ihnen aktiv entgegenwirkt.

Eine Clubkultur, die sich als Freiraum begreift, sollte versuchen, diesen für ihr gesamtes Publikum zu gewährleisten. In unserer patriarchalen, post-kolonialen Gesellschaft bedeutet dies, dass es konkreter Konzepte und Maßnahmen bedarf, die ebenjene Machtgefälle auffangen – denn nur dann kann Feiern wirklich befreiend sein.

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