Patrick Ellis, jüngster Neuzugang auf dem immer auf angenehme Weise eklektisch agierenden japanischen Label Flau kommt aus Brooklyn und macht genau das, was man als junger Mensch aus Brooklyn gerade gerne so macht, nämlich eklektische instrumentale Popmusik mit dem Mitteln des instrumentalen Hip Hop. Feinwarme, immer leicht nostalgisch eingefärbte Samples in milde plätschernden Beats, Loops und Dubs machen Ellis’ Debüt The Deserter (Flau, 18. August) zu einem wundervoll leichten Sommervergnügen, das wehmütiges Schwelgen in Erinnerung an die späten Neunziger und vor allem Jörg Follerts einmalig gebliebenes Projekt Wunder provoziert. Von Letzterem übrigens mehr in der nächsten Ausgabe der Kolumne.
Die Hyperaktiven unter uns geben keine Ruhe. Der Chicagoer Produzent Max Allison alias Mukqs braucht zum Überkompensieren nicht mehr als eine rudimentäre Sampler-Sequenzer-Beatbox, jede Menge Insta-Inspiration und Fantasie. Sein in zwei One-Take-Sessions runtergeschrubbtes Album In Human Form (Husky Pants, 3. August) klingt dabei keineswegs so roh, unsortiert und Lo-Fi, wie man eventuell erwarten würde. Aus dem souveränen Wissen um die Kniffe und Tricks, mit denen die leicht altmodische Technik des Roland SP-404 zu Höchstleistungen zu bewegen ist, und mit steter Inspiration am kleinteiligen Frickeln kommt Mukqs bemerkenswert weit.
Worum es dem ähnlich geheimnisvoll und unvorhersehbaren Kanadier Chris d’Eon geht, ist ebenfalls nicht so klar. Eindeutig allerdings, wie d’Eon, der immerhin die Anfänge von Superstar Grimes als Produzent begleitete, auf Rhododendron (Hausu Mountain, 13. August) die Möglichkeiten des Synthesizers in etwas seltsam Archaisches verbiegt. Etwas, das mal nach gefühltem Drehleier-Mittelalter, mal nach arabeskem Pop und den volkstümlichen Chansons eines sehr fernen, sehr nahen Landes klingt, in dem die digitalen Freund*innen von Pupsi und Rosalie mit elektrischen Kobolden lustige Kräuter rauchen.
Der Berliner Ludwig Wandinger (auch Alban Winter) ist gelernter Drummer, Freiimprovisateur und Ensemble-Jazzer. Aber digitaler Destruktion von Strukturen und Referenzen ist er offenbar ebensowenig abgeneigt. Die Tape-EP Rooms (Orange Milk, 18. August) schreddelt sich jedenfalls entlang mikroskopischer Klangpartikel in heftiger Glitch-Disruption und erstaunlicher Tiefenschärfe.
Die hochexperimentelle digitale Akustik-Electronica 之 / OF (Métron Records, 16. August) der nomadischen, zur Zeit zwischen London und Shanghai lebenden, multimedial produzierenden und weder in Bezug auf musikalisches Genre noch identitär-lebensweltlich konventionell-konformen Poly-Künstler*in Li Yilei bringt traditionelle und selbstgebaute Instrumente mit digitaler Technik zusammen in einer Denk- und Lebensweise jenseits binärer Kategorien.
So trifft eine von Li Yilei speziell für das Album konstruierte Xun-Keramikflöte, ein archaisches Instrument, dessen nächste hiesige Verwandtschaft wohl eine Okarina in bauchiger wäre und dessen Geschichte sich in China über 7000 Jahre zurückverfolgen lässt, auf Synthesizer-Plinkern und geloopte Field Recordings, kann im chaotischen Freakout explodieren oder introvertiert und nahe der Hörschwelle verweilen. Sollen wir es der Einfachheit halber Sound Art nennen? Oder doch einfach pure Freude an Schönheit und Spiel?
Die Hymnen der nichtbinären südafrikanischen Extrem-Diva Desire Marea, eifrigen Groover*innen eventuell aus dem extraordinären Gqom-Duo FAKA bekannt, das auf NON veröffentlichte, bringen die experimentelle Elektronik in einen Zusammenhang, der ebenso eindeutig Pop ist wie queer. Exaltiert dramatischer Gesang und eine an Techno wie Ambient geschulte Produktion machen das voriges Jahr bereits im Eigenvertrieb digital erschienene Großwerk Desire (Mute, 6. August) zu einem definitiven Statement des globalen (Post-)Club-Sounds, aber eben gleichermaßen zu einem, wenn nicht dem grandiosesten Pop-Alben des Jahres. Immer knapp am Mainstream vorbei, und doch mittendrin.
Der Oslo-Berliner Saxofonist Bendik Giske, der vor kurzem eine spannungsgeladene, dem Original an kontrollierter Energie in nichts nachstehende akustische Variation von Caterina Barbieris jungem Synthesizer-Klassiker „Fantas” abgeliefert hatte, betreibt auf Cracks (Smalltown Supersound, 27. August) eine ebenfalls äußerst avancierte Politik des ambivalenten, tendenziell nichtbinären Körpers und Geistes. Unglaubliche Brain/Body-Music aus improvisiertem Saxofon und digitaler Verfremdung mit Algorithmen aus der KI-Forschung, die quasi-organisch agieren, während das analoge akustische Instrument dank zirkulärer Atmung und extremer instrumentaler Körperbeherrschung in fantastisch zitternde, flatternde Loops gefügt wird, die die Freiheit zum Noise-Aufschrei aber noch genauso innehaben wie die elektronische Verschmelzung in einen ambienten Flow.
Ebenfalls vorwiegend handwerklich akustisch hergestellt, aber mit einem Sound-Feeling, einer Textur, die eher an vollelektronische Produktionen erinnert, kommt das Cello-Orgel-Duo aus Lucy Railton & Kit Downes daher. Die sehr eigene Konfluenz von Praktiken und Erfahrungen, die Downes als mehr oder minder frei agierender Jazzer und Railton mit Kommission in elektroakustischer Komposition am Pariser Ina-GRM-Institut und einem Solo-Cello-Album für das Techno-Label Modern Love mitbringen, findet auf Subaerial (SN Variations, 13. August) eine luftige und erstaunlich viel Raum und Leere lassende Art von Drone-Neoklassik. Das muss man erst mal hinkriegen mit dieser Instrumentierung.