Der Staub hat sich gelegt, das mediale Geschrei ist etwas leiser geworden und die Griessmuehle schließt trotz Protesten in Neukölln und zieht nach Mitte. Vorerst. Alles also halb so wild? Jein. Das eigentlich Frustrierende ist nicht nur die leider legale Verdrängung eines weiteren, für viele Menschen wichtigen kulturellen Begegnungsortes durch einen milliardenschweren Investor, der nun ab Februar Bürogebäude auf dem Clubgelände hochziehen will. Auch die von schneller Endgültigkeit und schlechter Recherche gezeichnete Berichterstattung sollte zu kritischer Reflexion über Wahrnehmung und Darstellung, Status Quo aber auch Zukunft der Club- und Ravekultur anregen.


Och nö, nicht schon wieder. Da wird einer von vielen international bekannten Clubs in der Hauptstadt durch eine börsennotierte, österreichische Investmentgesellschaft beinahe zur endgültigen Schließung, mindestens aber zum provisorischen Umzug gezwungen, und schon kloppt das Feuilleton auf eine Subkultur samt deren Musik ein, die mit den 2010ern ihre bis dato wohl kreativste und kulturell erfolgreichste Dekade erlebt hat. Häh? Was? Techno müsse sterben, Berlin sei ohne dieses „elektronische Gebimmel” (Tagesspiegel) viel besser dran, das heutzutage ja sowieso nur noch das „Ballern synthetischer Drogen” (taz) einer „masturbierenden Tanzkundschaft” (Freitag) begleite. So sieht das also oberflächlich betrachtet aus, wenn der Beißreflex nonstop kantige Komposita ausspuckt. Liest sich wie verbitterte Nostalgie zur Verklärung der Wirklichkeit, ohne dass es tatsächlich einen Grund gäbe. Klang und Rausch – das war schließlich schon immer ein unschlagbares Team, egal in welcher musikalischen Sparte, egal in welcher Generation. Wenn einstige Pioniere wie Dr. Motte nun endlich die elektronische Musikkultur, die schon längst nicht mehr unter dem „Utz Utz Utz” des Techno-Grobschnitts subsumiert werden kann, und ihre Anhänger*innen aufs nächste Level heben wollen, um mehr Rechte für Clubs und ihre Besucher*innen rauszuholen, wird das verächtlich belächelt. Die Loveparade als größte Friedens-Tanz-Demo des Planeten wiederbeleben? Die Zeiten seien doch vorbei, die heutige Jugend könne ja eh nichts mehr zustande bringen und der Spirit von damals? Längst gestorben.

Doch nicht etwa spekulierende Immobilien-Heuschrecken, nein, die Clubkultur solle sich lieber wieder gesundschrumpfen, aber dann doch bitteschön nicht verschließen und exklusiv sein, sondern weiterhin offen, egalitär, bezahlbar bleiben und gleichzeitig noch tüchtig ihren Sound weiterentwickeln, um bei den ewig gestrigen Kastenköpfen bloß nicht als seelenloses Gewummer zu gelten.

Dass derart onkelig nicht bloß von Außenstehenden, die den Anschluss verpasst haben, sondern in den (a)sozialen Medien vereinzelt auch von Akteur*innen innerhalb der Szene schwadroniert wird, sagt mehr über diese Leute als über die Szene aus. Sofern überhaupt von „der Szene” gesprochen werden kann. Die ist nämlich entgegen aller Unkenrufe im Großen wie im Kleinen so diversifiziert wie noch nie, egal ob es um Festivals, Spielstätten oder die Musik selbst geht. Von der Fusion in Lärz bis zur Nature One bei Kastellaun, vom winzigen Zugvøgel-Festival in der Eifel bis zum großen Melt! in Gräfenhainichen, vom Habitat nahe Hamburg bis zum Echelon bei Rosenheim gibt es doch mittlerweile für jeden Geschmack, jeden Zeitgeist, jedes Ohr, jeden Tanzstil das passende Erlebnis großer Gemeinschaft. Ist das schlecht? Clubs werden ohnehin hier geschlossen und da wieder neu eröffnet – das war schon immer so. Die neueren Beispiele reichen vom noch gar nicht so alten Berghain bis zum Münchener Blitz, vom Institut für Zukunft in Leipzig bis zum Gewölbe und Helios 37 in Köln oder dem Hamburger PAL und sind insgesamt ähnlich bekannt wie zahlreich. Doch nicht etwa spekulierende Immobilien-Heuschrecken, nein, die Clubkultur solle sich lieber wieder gesundschrumpfen, aber dann doch bitteschön nicht verschließen und exklusiv sein, sondern weiterhin offen, egalitär, bezahlbar bleiben und gleichzeitig noch tüchtig ihren Sound weiterentwickeln, um bei den ewig gestrigen Kastenköpfen bloß nicht als seelenloses Gewummer zu gelten. Ach, und außerdem täte sie gut daran, sämtliche existenziellen Erfolge der letzten Jahrzehnte ebenso wie künftige kulturpolitische Ambitionen (Stichwort: Weltkulturerbe) über Bord zu werfen und wieder zu einer insinuierten Unabhängigkeit irgendwann in den 90ern zurückzukehren, als die Loveparade ganztägig vom Bertelsmann-Konzern auf RTL2 übertragen wurde. Also was jetzt? Na alles, einfach alles für maximale Bedeutungslosigkeit und ein bürgerliches Ambiente zum Flanieren – rein, ruhig, berechenbar, clean-cut.

Dass Techno mit den Spielarten Acid, Ambient, Bleep, Detroit, Dub, Industrial, Minimal, Wonky sowie den unterschiedlichen Trance-Gattungen mittlerweile so breit aufgefächert ist wie noch nie und zudem in seiner Entstehungsgeschichte kaum von kreuzbefruchteten Genres wie Breakbeat, Drum’n’Bass, Electro, Hardcore, House, IDM, UK Bass oder dem gerade erst aufkommenden Deconstructed Club trennbar war, kann von außen betrachtet natürlich keine Rolle spielen. Elektronische Musik ist ein riesiges experimentelles Prisma, Techno vielleicht nur die medial am stärksten vibrierende Facette. Von lokalen Grabenkämpfen aufs Globale schließen verbietet sich da. Viele auf sich gestellte Festivals, die zum Teil durch Spenden oder einfach nur ehrenamtliches Engagement in ganz Europa realisiert werden, halten diese Subkultur außerdem ebenso am Leben und entwickeln sie weiter, ohne dass das großartig Beachtung fände. Stattdessen wird die längst nicht immer und überall, aber gerade in den öffentlichsten Formen von Chauvinismus, Sexismus, Konsumismus und Geldgeilheit weitgehend ihres Impetus beraubte Hip-Hop-Szene pauschal als „alle soziale Schichten umspannende Jugendkultur” gepriesen. Techno – das ist im Kontext der Berichterstattung dann nur 4/4-Pumpen für Suchtis. Clubkultur gibt es natürlich bloß in Berlin und wenn die Kacke im viel gepriesenen Techno-Mekka am dampfen ist, kann es andernorts ja nur noch schlimmer miefen. Wie auf Ibiza. Finale Statements mit borniertem Geschmäckle jenseits der komplexen Realität, um ein Maximum an Aufmerksamkeit zu erzeugen – zumindest das ist vielen Lohnschreiber*innen ja kurzfristig blendend gelungen.

Selbstverständlich müssen dann auch noch die betrunkenen Touris, umhergeisternde Obdachlose, die im sorgsam begrünten Familienpark Platte machen, Kotzflecken auf den neuen Sitzbezügen in der Ringbahn und fortschreitende Gentrifizierung des Berliner Stadtkerns als durch die Clubkultur importierte Probleme identifiziert werden.

Im Zuge dessen immer wieder die gleichen Buzzwords und Verklammerungen: Loveparade, Duisburg, Drogen, Tote, Assis, Sellout, Hedonismus, Hipster, Hype und natürlich die flugs gegoogelten BPM-Zahlen, um Themenkompetenz zu mimen. Wer kauft das? Was ist da los? Das in den meisten Metropolen der westlichen Welt offenkundige Problem der Gentrifizierung, der nun auch die Griessmuehle zum Opfer fiel, wird umgemünzt auf ein Versagen von Clubs und deren Besucher*innen, ja, der ganzen Subkultur dahinter. Gleichzeitig werden die Betreiber*innen in einem Atemzug mit Kapitalgesellschaften genannt, die hunderte, tausende, zehntausende Wohnungen aufkaufen, kaputt renovieren, unbezahlbar machen und wieder gewinnbringend verkaufen, Menschen letztlich auf die Straße setzen. 

Welcher Eindruck soll also ganz gezielt erweckt werden? Dass irgendwelche Jetset-Schnösel repräsentativ für elektronische Musik und Clubkultur seien, die sabbernd in ihrem Reichtum schwelgt. Gern genutzte Projektion: Der bonzige Instagram-DJ mit maximal in Spotify-Plays messbarem Einfluss, der kurzerhand zur alles definierenden Leitfigur erklärt wird, für den sich aber ein Großteil aller Raver*innen unterm Strich null interessiert. Nuancierung fiel hier wohl dem Zeichenlimit der jeweiligen Artikel zum Opfer. Selbstverständlich müssen dann auch noch die betrunkenen Touris, umhergeisternde Obdachlose, die im sorgsam begrünten Familienpark Platte machen, Kotzflecken auf den neuen Sitzbezügen in der Ringbahn und fortschreitende Gentrifizierung des Berliner Stadtkerns als durch die Clubkultur importierte Probleme identifiziert werden. Zumindest am Rande in Erwägung ziehen, dass es sich dabei vor allem um Fälle für eine Politik handelt, die gesichtslosen Investmentgesellschaften, Hedge Fonds und einer globalisierten Welt zunehmend sedierter gegenübersteht, mag man lieber nicht. Alles davon war schon vor der Berliner Clubkultur da, nichts davon würde mit ihr verschwinden. Vielleicht ist es also nicht die Szene, die alt geworden ist, sondern nur ihre lautesten Beobachter*innen.

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