Aïsha Devi – S.L.F. Versions (Houndstooth)
Schon die im Sommer erschienene Original-Version von Aïsha Devis S.L.F.-Platte hatte sich traditioneller Hörgewohnheiten entsagt. Dass die Remix-Editionen nochmal eine Schippe drauf legen, sollte Fans also erfreuen und den Rest wieder mal überfordern. Was bei Devi noch als spirituelle Techno-Erfahrung gedeutet werden kann, wird in den vier Remixen zur kathartischen Ergebenheit ans Experimentelle in Form von Jungle, Gabber & Co. Während die Kingston-Crew Equiknoxx einen auf Halftime steppenden, verführerisch knisternd-bleependen Dancehall-Track abliefert, macht das indonesische Duo Gabber Modus Operandi seinem Namen alle Ehre und rührt Devis Stimme unter die sich langsam auftürmende Sound-Lawine aus Distortion und synthetischmen Geschrei. Der Industrial-Hardcore des Schweden Varg dagegen schafft es trotz gnadenlos übersteuerter Jungle-Breaks dem esoterischen Flair der Vorlage treu zu bleiben, dessen futuristischer Mystizismus auch im glitchigen Beat-Gewitter 33EMYBWs unverkennbar bleibt. Leopold Hutter
Christopher Rau – Beasts / Riggleysz (Drone)
Christopher Rau nimmt sich auf seiner aktuellen EP der Abwechslung an, ohne dabei zerstreut zu wirken. Er entfernt sich gekonnt von seinem herkömmlichen Klangspektrum, das sich irgendwo äquivok zwischen Techno und House befindet. „Beasts” und „Riggleysz“ sind zwei Nummern, die im Ergebnis regelrecht zu einer verschrobenen Techno-Exkursion einladen, den Rau’schen House aber trotzdem nie komplett verlassen. „Beasts“ bleibt im Dunkeln und punktet mit einem nassen, metallischen Beat. Die tropfenden Akzente und die klirrenden Töne erfüllen die perkussive Aufgabe und peitschen den Beat an. Daneben ist „Riggleysz“ stark im Bass und kombiniert wundervoll kratzige Komponenten mit einem gradlinigen, unbekümmerten Groove. Mittendrin die Rau-Signatur. Beide Tracks verstehen sich als eine geschickte Reise, die auf einem routinierten, pumpenden Fundament aufbaut. Und das alles ist ein packendes Rhythmusgefüge, organisch und originell, das Freude macht. Aline Fürer
Ellen Allien – La Musica Es Dios (UFO Inc.)
Diese Berlinette benötigt keiner Vorstellung mehr. Ellen Allien, das wohl berühmteste (Haupt-)Stadtkind bringt eine saftige EP mit drei Tracks auf ihrem eigenen Label UFO Inc. heraus, das Künstler*innen Raum für roughe und toughe Sound-Thrills gibt. Okay, okay! Genug jetzt mit Referenzen zu lange zurückliegenden Alben der Queen of Berlin. Zeigt sie doch auch selbst mit „La Musica Es Dios“, zu Deutsch „Musik ist Gott“, dass ihre Musik im Hier und Jetzt angekommen ist. Die zwei verschiedenen Mixe des Titeltracks beginnen beide haargleich, schlagen dann aber recht unterschiedliche Wege ein. Sagen wir’s mal so: Wer nicht auf Großraumdisco-Tech-Electro steht, präferiert wahrscheinlich „Mix 2“, der wesentlich ernsthafter und industrieller daherkommt, sich auf pumpende Drums, verträumte Bleeps und ein gelooptes Vocal-Sample fokussiert. Mit auf die Platte packt Ellen Allien dann noch den Titel „Junge sein“ und landet damit den eigentlichen Volltreffer. Das Tempo wird angezogen, mystische Stimmen hallen durch die Speaker, metallische HiHats pushen die Hörer*innen. Die Breaks sind wohl platziert und dürften für ekstatische Hände-in-die-Höhe-Momente sorgen. Andreas Cevatli
Neon Chambers – One (Dekmantel)
Wer One sagt, wird auch irgendwann Two sagen, heißt es bekanntlich im bilingualen Volksmund. Und so darf der erste Satz hier lauten: One ist der Auftakt gemeinsamer Releases der beiden Musiker Kangding Ray und Sigha. Zusammen nennen sie sich Neon Chambers. Beide müssen an dieser Stelle kaum vorgestellt werden, denn beide haben in den letzten zehn, fünfzehn Jahren der elektronischen Musik ihren Stempel aufgedrückt. Der Franzose David Letellier mit Schallplatten für Raster-Noton und Stroboscopic Artefacts. Der Brite James Shaw mit Releases auf Token, Avian, Hotflush oder seinem eigenen Label Our Circular Sound. One ist nun bei den Niederländern von Dekmantel erschienen. Für beide ist dieses Projekt eine Chance. Für Sigha, um den geltenden Normen des Clubs ein Stück weit wieder zu entkommen und sich seine Experimentierfreude der Anfangstage zurückzuerobern. Für Kangding Ray gilt genau der entgegengesetzte Weg: sich einem größeren Publikum zu öffnen, ohne sich gleich in Schablonen drücken zu lassen. Beide können sich also in der Mitte treffen und machen das auch. Auf den fünf Tracks einigt man sich auf krumme Basslines, effektvoll verwendete Synthesizer, den Einsatz von Vocals und darin, sich nicht auf ein Genre festlegen zu wollen. So werden in erster Linie die Fäden der Bassmusik der 2000er Jahre wiederaufgenommen und 2-Step („Apollo”), Trance („Cascade”), Post-Dubstep („What It Takes”), Drum’n’Bass („Your Touch”), dystopischer Techno („Helles”) neu beatmet. Insgesamt überwiegt die britische Seite. Sebastian Hinz
Tableau Vivant – Double Dream Hands (Kame House)
Der Opener „Double Dream Hands“ entwirft eine Form von Electro unter orchestralen Vorzeichen, wie man sie noch kaum gehört hat. Das Soundspektrum wurzelt tief im 80er-Synthpop, nicht nur die Snare erinnert an Depeche Mode. Und Tableau Vivant trauen sich zudem, dem Stück einen Breakdown zu bescheren, der ohne weiter aufzufallen auch auf einem Yes-Album Mitte der 70er funktioniert hätte. Im letzten Viertel des Tracks zwitschert dann eine 303 die Erinnerung an die späten 90er herbei, gefolgt von Detroit-Gedenk-Synthychords, die darauf aufmerksam machen, dass es hier zwar um Eklektizismus, aber keinesfalls um augenzwinkernde Vergangenheits-Verklärung geht. Klugerweise versuchen Tableau Vivant nicht, diese formidable Breitwandkaskade nochmals zu toppen, die drei weiteren Tracks der EP sind eher verhalten bis meditativ. „As The Vapour Rises“ und „Hypertonic Heist“ lassen an Yellow Magic Orchestra denken, das finale „End Orb“ an krautig-psychedelische 70er-Elektronika – immer unter dem Vorzeichen moderner Produktionsweise und zeitgemäßem Sounddesign. Mathias Schaffhäuser