Nina Kraviz. Foto: Matilda (Presse)

Es war der Techno-Aufreger der Woche: Nina Kraviz postete am vergangenen Samstag auf Instagram ein Foto von sich mit Cornrows – schmale, am Kopf fest geflochtene Zöpfchen – und schrieb arglos darunter „I LOVE my hair“. Kurze Zeit später explodierte die Diskussion sowohl unter ihrem mittlerweile gelöschten Post und vor allem auf Twitter. Ohne hier alle Screenshots einzelner Tweets reposten zu wollen (einen guten, nüchternen Überblick über die Geschehnisse gibt es zum Beispiel auf Resident Advisor und auf Mixmag), wurde von verschiedenen Seiten vor allem der Vorwurf der „cultural appropriation“ oder auf deutsch „kulturellen Aneignung“ laut. Im Verlauf dieser Debatte geriet die DJ auch für die Verwendung des Wortes „Ghetto“ in ihrem Clubhit „Ghetto Kraviz“ in die Kritik. 

Von „kultureller Aneignung“ wird dann gesprochen, wenn Menschen aus gesellschaftlich dominanten Gruppen etwa Frisuren, Kleidung oder auch sprachliche Slangs einer marginalisierten Kultur zu ihrem eigenen Nutzen übernehmen, ohne den Wert der jeweiligen Kultur zu respektieren. Diese Debatte kommt häufig etwas auch um das Coachella-Festival auf, wenn weiße Festivalkids sich indische Bindis aufmalen, die in Südasien Weisheit und Spiritualität repräsentieren, oder Federschmuck indigener Völker Nordamerikas tragen. Doch auch die Musikwelt ist muss sich diesem Vorwurf stellen: Vom Rock ‘n’ Roll angefangen bis hin zu Techno und House bedienten sich weiße Musiker*innen immer wieder bei ihren afroamerikanischen Kolleg*innen und greifen dabei bis heute sehr oft Fame und Kohle ab. 

Beim Thema „kultureller Aneignung“ geht es dabei vor allem um ein Bewusstsein für gesellschaftliche Machtverhältnisse. Historisch bedingt beruht der Wohlstand des weißen Westens nunmal auf der Ausbeutung des globalen Südens durch Kolonialismus und Sklaverei und die dadurch demonstrierte kulturelle Dominanz. Dass People of Colour bis heute immer noch mit Diskriminierung und rassistischen Anfeindungen zu kämpfen haben, muss man wohl kaum erwähnen. Nina Kraviz wegen ihrer, vermutlich wirklich arglos getragenen, Cornrows sofort als Rassistin zu beschimpfen, dient dem Diskurs aber leider reichlich wenig. Vielmehr unterhöhlt es den Begriff „Rassismus“. Auch die Frage, ob Cornrows wirklich eine typisch afrikanische Frisur sind oder sich nicht auch schon die Wikinger die Haare flochten, wie Kraviz kurzerhand argumentierte, ist nicht zielführend und lässt das Ganze eher wie eine kleinkarierte Befindlichkeitsdebatte erscheinen. 

Warum „kulturelle Aneignung“ für People of Colour so schmerzhaft ist, hat die Detroiter DJ und Autorin Ash Lauryn in diesem sehr persönlichen Kommentar dargelegt: „Als schwarze Frau, die regelmäßig Cornrows trägt, ziehe ich Stolz und Kraft daraus, diesen Stil zu rocken, denn es fühlt sich oft wie eine Form von Widerstand gegen die weiße Gesellschaft an, die mir sagt, dass ich mein Haar glatt tragen muss, um akzeptiert zu werden. Vielleicht ist es das, was das Thema so heikel macht, denn für mich ist der Stil nicht nur eine Modeerscheinung oder ein Kostüm für die Nacht – es ist mein Erbe.“

Cornrows sind eben nicht nur eine „neue Frisur“. Niemand kann Nina Kraviz verbieten, Cornrows zu tragen. Und natürlich scheint es ungerecht, dass sie, als eine der wenigen Frauen an der Spitze der DJ-Elite, nach all den sexistischen Kommentaren in der Vergangenheit nun auch noch für dieses sensible Thema ins Kreuzfeuer gerät. Die Art, mit der Nina Kraviz allerdings auf die Anschuldigungen online reagierte, ist jedoch unbedingt zu kritisieren. Statt die Kritik ernstzunehmen und sich ihrer privilegierten gesellschaftlichen Stellung als weiße Frau bewusst zu zeigen, stellte sie ihr eigenes Weißsein sogar infrage und bezeichnete die DJ und Mitgründerin des feministischen New Yorker Kollektivs Discwoman, Frankie Decaiza Hutchinson, als Rassistin. Abgesehen davon, dass so etwas wie „umgekehrter Rassismus“ nicht existiert, weil Rassismus per Definition von oben nach unten zielt und Weiße in der Hackordnung nunmal meistens die Pole Position innehaben, ersticken solche Anschuldigungen jeglichen Form von Diskurs im Keim.

Menschen machen Fehler und sollten auch im Twitterzeitalter die Möglichkeit bekommen, rehabilitiert zu werden. Dazu müssen wir aber in Diskussionen auch aufeinander eingehen und zuhören – ein Schluss, zu dem auch Ash Lauryn kommt: „Hört zu, wenn Schwarze oder Minderheiten sich durch bestimmte Wörter, Verhaltensweisen oder Handlungen beleidigt fühlen. Zeigt uns den Respekt, uns zuzuhören. Das Abschreiben und Ignorieren unserer Bedenken fördert nicht das gemeinsame Wachstum und gegenseitige Verständnis.“ Jetzt nur schweigend darauf zu warten, dass das Thema wieder von der Agenda verschwindet, wäre also ein fatales Zeichen für unsere Community, die auf gegenseitigem Respekt, Akzeptanz und der friedlichen Gemeinschaft unterschiedlichster Menschen auf dem Dancefloor beruht.

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