AQXDM – Infrared (Houndstooth)

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Hinter dem kryptischen Kürzel AQXDM verbergen sich Aquarian und Deapmash, die jeweils auf Labels wie UNO oder Leisure System mit UK-inspirierter Bass-Musik auf sich aufmerksam gemacht haben. Nach einer gemeinsamen EP für Bedouin ist Infrared auf Houndstooth ihre zweite gemeinsame Veröffentlichung. Der in Berlin lebende Kanadier und der Franzose denken Techno wenn überhaupt vom Randbereich des Genres her. Soll heißen: Der Weg ist das Ziel und der Weg ist nicht immer die kürzeste Verbindung zwischen den Punkten A und B. Die fünf Tracks sind von einer brachialen Härte, kommen aber keineswegs ohne Augenzwinkern aus. Hier schleicht sich ein Lyn Collins-Sample herein („Leisure Techno”), dort werden Goldie-Referenzen unüberhörbar (The Good Old Days Are Tomorrow”). Rundherum aber gruppieren sich die härtesten Kicks diesseits von Blawan für ein bisschen flackerndes 90s-Rave-Feeling („Infrared”), spannungsgeladenen Haudrauf-IDM („Tunnel Vision”) und ein klaustrophobisches Industrial-Derivat zum Abschluss („Requiem”) zu einer Wall of Bass. Eine abwechslungsreiche und gleichermaßen kohärente EP, die nicht allein ihrer 33 Minuten Spielzeit wegen Albumcharakter hat. Kristoffer Cornils

DJ Spinn – Da Life EP (Hyperdub)

Es ist nun auch schon wieder fünf Jahre her, dass DJ Rashad gestorben ist. Für die Chicagoer Juke-Szene, die sich damals auf ihrem, gemessen an medialem Interesse und Schaffenskraft, Höhepunkt befand, ein bedeutungsvoller Verlust. Rashad hatte 2013 das Album Double Cup veröffentlicht, ein Meisterwerk dieser hochgepitchten, fein sezillierten, hypernervösen Variante von House Music. Maßgeblich daran beteiligt war auch DJ Spinn, einer der engsten Vertrauten von DJ Rashad. Ein Freund aus Jugendtagen. Gemeinsam formten sie die Crew Teklife. Mit dem Tod von DJ Rashad verflog auch der Hype um Juke. 2015 hatte DJ Spinn noch seinen Beitrag für Boiler Room, sowie eine Kooperation mit Jessy Lanza. Dann wurde es ruhig. Bis jetzt. Allein deswegen lohnt es sich schon Da Life auszuchecken. Verglichen mit DJ Rashad waren die Tracks von DJ Spinn immer schon minimaler, fokussierter auf den Rhythmus, weniger soulful. So zunächst auch hier. „Knock A Patch Out” ist ein rhythmisches Feuerwerk mit zerhackten Lyrics und spärlichen Keyboard-Akkorden. Gemacht für die versierte Fußarbeit der Footwork-Tänzer. Meine Beine verknoten sich schon beim bloßen Zuhören. Die anderen drei Tracks zeigen hingegen eine andere Seite. Sie lassen sich mit dem Titel einer frühen Veröffentlichung von DJ Spinn als Smooth Out Juke zusammenfassen. „Sky Way”, zusammen mit DJ Manny, atmet die Luft von G-Funk. „Make Her Hot”, vielleicht einer der besten Tracks von DJ Spinn überhaupt, ist eine Hommage an den späten DJ Rashad. „U Ain’t Really Bout Dat Life”, nur noch halb so schnell serviert wie „Knock A Patch Out”, ist von der Attitüde her schon fast lässig runtergespulter Hip-Hop. Hörenswertes Comeback. Sebastian Hinz

F.F.O.M. – New Farmland (Unrelatable)

Die Abkürzung F.F.O.M. steht im Französischen für den fermentierbaren Anteil des Hausmülls, im englischen Sprachraum bezeichnet das Akronym entweder einen Stipendiaten der Fakultät für Arbeitsmedizin am Londoner Royal College of Physicians oder ein Nachwuchsförderungsfestival im Bereich der klassischen Musik. Meistens handelt es sich, sieht man sich die Referenzbeispiele an, aber schlicht um einen Tippfehler. Marco Passarani hat bestimmt eine eigene Lesart für sein neuestes Pseudonym – mitgeteilt wird sie uns nicht. Das ist auch gar nicht dramatisch, denn die vier Tracks auf New Farmland zählen aus dem Stand heraus zum Überzeugendsten, was man je von dem italienischen Producer und DJ gehört hat – Passarani at its best! Keine Spur von skizzenhafter Suchbewegung: Der Funk wirkt nicht behauptet, sondern wirklich funky, die Hooks verfangen auf Anhieb, die Grooves kommen nicht konstruiert rüber, sondern grooven einfach, so selbstverständlich wie hemmungslos. Fabulous Fun Of Music! Harry Schmidt

Orson – Delivero EP (Version)

Bass braucht Platz. Viel Platz. Bei Orson Sieverding ungefähr fünf Meter. Gerade genug, um sich mit drei großen Ausfallschritten durch den Club zu boxen, den Kopf in den Subwoofer zu stecken und mit Schleudertrauma in der Notaufnahme zu landen. „Krasse Sache, weißt du noch?” Ja, ne. Egal. Wer nicht gerade damit beschäftigt ist, das Brummen auf superteure Dubplates zu cutten, hört sich bei Version um. Ur-Düsseldorfer Orson scheppert mit seinem Label zwar schon ein paar Jährchen durch die Berliner Szene, bei neuen Platten aus der Kaderschmiede für Bass- und Kopf-Mukke lässt man sich aber immer wieder gerne den Frontallappen durchkneten. Delivero heißt die Scheibe. Klingt nach App für faule Socken, die sich die Poké Bowl moralbefreit nach Hause liefern lassen – boxt das faire Slow Food aber wie auf „Toxic Waste” mit drei geduckten Sub-Bässen aus dem Bio-Ranzen. Immerhin: Platz für Neues schafft das 20 Hertz-Geballer. Zuckerwatten-Melodien stolpern zwischen Wolf Müller-Gedächtnis-Congas („Agadir”) in neue Abenteuer und pusten wie in Zeitlupe ganze Nebelschwadenbilder aus dem Fenster. Damit die Nachbarn auch was davon haben. Christoph Benkeser

RV Trax Vol 4 (R&S)

Mit der Mini-Compilation-Reihe RV Trax hat sich R&S-Labelboss Renaat Vandepapeliere eine Plattform geschaffen, um persönliche Lieblingstracks aus seinen DJ-Sets einer größeren Öffentlichkeit ans Herz zu legen. Drei der vier Stücke auf Volume 4 sind House-Breakbeat-Hybride, die sowohl in Electro- als auch in Four-To-The-Floor-Mixen eine gute Figur machen. Dabei setzt Vandepapeliere weniger auf Knalleffekte und krachige Beats, die Tracks sind allesamt eher verhalten und erzielen ihre Wirkung durch subtile, hintergründige Elemente, vor allem ungewöhnliche Vocalsamples und orientalisch beeinflusste Melodik. Am herausstechendsten ist allerdings das dritte und einzige housige Stück der EP, Tom Flynns „Avenue A”, ein fast schon meditativer Minimal House-Track mit einer bedächtigen Klavierimprovisation über ein verschwurbeltes, eher unharmonisches und krummes Saxophon-Loop. Potenzieller Herbsthit! Mathias Schaffhäuser

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