Bei besonderen Anlässen handeln wir die Platten der Woche als Roundtable ab. Mit dieser Runde verabschieden wir uns von unserem Praktikanten Raoul Kranz, der für uns in den letzten drei Monaten zahllose starke Track Premieren, News, Reviews und Features produziert hat. Raoul wird weiterhin für uns als Autor tätig sein, zur Zeit arbeitet er an einem Feature über Konx om Pax.

 

DJ Haus – See U In My Dreams (Unknown to the Unknown)

DJ Haus – See U In My Dreams 

Raoul: Tja, der Unknown To The Unknown-Boss DJ Haus braucht wohl keine große Einführung. Schön tight produziert, vor allem die Bassline drückt extrem gut.

Alexis: Klassischer, um nicht zu sagen klassizistischer Chicago House. Für meinen Geschmack etwas digital und glatt produziert. Bräuchte aber mehr Crunch und mehr Patina.

Max: Ich war 2016 mit einem Kumpel beim Schall im Schilf in München bei DJ Haus. Sein Kommentar dazu: “So ein Bauer” (natürlich nicht für die Endfassung bestimmt).

Alexis: Für ihn ist das eigentlich ein Kompliment: Stoisch und beharrlich durchpflügt er seinen Dancefloor-Acker.

Cristina: Also ich hör mir die Sachen gar nicht mehr an, wenn sie in meinem Promo-Postfach landen. Meistens sind die Tracks knackig und dancy, aber irgendwie langweilig und stumpf.

Raoul: Also das Zeug auf UTTU finde ich oft auch eher rough und edgy, aber das hier ist schon sehr glatt gebügelt. Aber es funktioniert!

Alexis: Dennoch gut komponiert. Eine lebendige, upliftende Bassline, ein aufgekratzes Vocalschnipsel und psychedelische Synth-Splitter.

Max: Ich weiß nicht, ich konnte mit sowas früher mehr anfangen. Das ist eher was, was man hört, wenn einem eh schon alles egal ist nach ein paar Stunden, oder?

Raoul: Ja es lebt von Bassline und den witzigen Vocals. Das Highlight kommt gleich noch – der Lone Remix.

Cristina: Aber ein bisschen nach Baukastenprinzip komponiert. Viel schiefgehen kann da nicht.

DJ Haus – See U In My Dreams (Lone Remix)

Raoul: Höre Lones letzten Longplayer „Levitate“ immer noch hoch und runter, wobei ich seine Performance mit Live-Drummer ein bisschen mau fand. Den frühen Kram wie Emerald Fantasy Tracks feiere ich so hart und unter den Ambivert Tools vom letzten Jahr sind auch echt ein paar gute Stücke dabei. Das hier ist ein richtig liebevoller Remix geworden, nicht mal eben in fünf Minuten zusammengeklickt. Lones melodischer 90er-Trademark-Sound trifft auf das nette Vocal-Sample von DJ Haus. Die Beats sind schön breaky, die Bässe krachen gut rein, die knackige Bassline des Originals ballert im Rework so richtig deftig rein. Hoffe den auf so manchen Open Airs in diesen Sommer zu hören!

Cristina: Ja, ich mag Lone auch sehr gerne.

Max: Da hat sich jemand aber im Vorlauf schon was zusammengeschustert!

Raoul: So ein Quatsch, ich kann einfach sehr schnell tippen.

Alexis: Lone webt einen Breakbeat in den Haus´ House Groove. Virtuos, und dennoch gelassen.

Raoul: Nur die Panflöte hätte er ruhig mal stecken lassen können.

Alexis: Für mich sind das die Panflöten von “Pacific State” von 808 State. Und als gewaltiges Gegengewicht ein knarziger Bass. Besser geht es nicht.

Cristina: Ah, dieser Orca-Wal-mäßige, wässrige Klang im Hintergrund. Kennt man von den Ambivert-Tools Volume Three. Da war das Cover doch auch so ein Aquarium-Fenster. Das war echt eine tolle Serie.

Max: Mir gefällt der Remix auch weitaus besser. Man weiß gar nicht, welches Element man als das beste hervorheben soll.

Alexis: Und das alles, während die 4/4 Floor Bassdrum durchläuft.

Raoul: Ja gleichzeitig 4/4 und breaky irgendwie.

Max: Die Kicks federn den 4/4 Groove so ab, dass man sich für Breaks oder Durchtanzen entscheiden kann. Quasi ein Komplettpaket.

Alexis: Nerdy und zugleich offen und entgrenzt.

Raoul: Ist ja krass, dass wir uns mal alle einig sind, was für ein geiler Track das ist.

 

Eliphino – Realistic Sex EP (Meda Fury)

Eliphino – Disc Rhythm

Raoul: Wenn ich mich nicht täusche, hat Eliphino jetzt knapp drei Jahre nichts von sich hören lassen.  Schön, dass endlich neues Material nachkommt – und was für welches! Den Bass Music-Experimentator, der zwischen London und Berlin pendelt, dürfte man am ehesten von seinem Über-Brett „Vrybdy“ oder der House-Hymne „Isabella Road“ kennen. Auf der neuen EP fürs R&S Records Sub-Label Meda Fury sprengt er mit Oldschool Jungle, vertrackten Bass-Brettern und House-Hybriden mal wieder alle Genres – so klingt moderne Club-Musik. Eliphino selbst meint dazu: „Das Thema der EP ist deiner eigenen Intuition in einer vor Informationen überfluteten, modernen Welt zu vertrauen.“

Cristina: Danke Raoul für deinen vorgeschriebenen Text. Also diskutieren wir jetzt anhand deiner Review.

Raoul: Naja, das sind ja nur meine fünf Cents und vielleicht völliger Quatsch. Mein Favourite mit “Disc Rhythm” direkt zu Beginn – ab in den Jungle! Auf einem fetten Soundsystem klingt das jenseits von Gut und Böse.

Cristina: Ich kenne Eliphino auch von “More Than Me”, Hymne bei 18. Geburtstagen als ich in der 11. Klasse war haha.

Max: Ist mir leider gänzlich unbekannt, ein Frevel?

Cristina: Hat sich ganz schön verändert der Gute, zum Glück!

Raoul: Puh, das kann ich nur unterschreiben.

Alexis: Diese Tracks haben weniger Melodien und komplexere Grooves als seine UK House- und UK Funky-Produktionen von vor 5 Jahren.

Raoul: Catchy Sounds, intelligent gesetzte und konstruierte Breaks, kein Schema F-Drum ‘n’Bass. Bitte mehr davon.

Max: Ja, diese musikalische Entwicklung würde ich gerne mal erklärt bekommen. Entweder, er hat einen cleveren Ghostwriter, der Trends aufspürt wie ein Trüffelschwein, oder aber er zeigt sich geläutert und vollkommen ergriffen vom Breakbeat-Revival.

Cristina: Auch hier ist wieder ordentlich Druck hinter – ich glaube das wird sich durch Raouls Auswahl diese Woche ziehen, hehe.

Raoul: “More Than Me” ist wirklich nicht representativ für Eliphino.

Max: Ja! Produziert sind die Tracks bislang alle geil, die Büro-Anlage hat zu tun.

Cristina: Hä, ist doch klar, er ist ein Dude, der Trends folgt. Damals war “More Than Me” nicht schlimm, geht ja in Richtung dieser mega poppigen, späten Dubstep-Sachen. Jetzt ist Breakbeat halt cool und ballerige Sachen. Beides setzt er gut um.

Alexis: Auf dem Breakbeat Kontinuum liegt das eine wie das andere, und kitschige Hooks stoßen dem britischen Feiervolk weniger auf als uns Berliner*innen.

Eliphino – Remedy

Alexis: Das ist eine komplexe, vielschichtige Breakbeat-Nummer, die sich allzu virtuos gibt.

Cristina: Ja, angenehm.

Raoul: Fluffig, aber eher eine der schwächeren Nummern auf dieser starken EP.

Cristina: Langsam wird’s zu viel, zu viele Elemente und zu hektisch.

Max: Sehr dreamy. Bisschen einem roheren Bicep-Baukasten entlehnt, mit weiblichen, verzerrten Vocals. Die Acid-Note passt allerdings nicht zu Bicep, die sehe ich da als Alleinstellungsmerkmal bzw. USP. Wie man im Business Techno sagt.

Raoul: Stimmt, erinnert ein bisschen an Bicep mit diesen emotiven Vocals.

Alexis: “Remedy” setzt anders an. Schleppende Snares, eine kurzatmige Acidfigur, ein trippiges Vocal. Entscheidend ist der Kontrast zwischen dem funktionalen Groove und den atmosphärischen Soundscapes.

Cristina: Bis jetzt würde ich die Platte aber noch nicht als “virtuos” bezeichnen, dafür müsste es mich irgendwie mit mehr Innovation beeindrucken.

Max: Virtuosität und Innovation müssen doch nicht Hand in Hand gehen.

Alexis: Ja, so war es auch nicht gemeint. Virtuosität kann auch Angeberei und Selbstzweck sein. Mit den elegischen Streichern am Schluss will er zu viel.

Max: Aber die Acid-Line ist echt on point definiert, die hält den ganzen Track zusammen.

Cristina: Stimmt. Aber bei Virtuosität denke ich an ein Geige spielendes Wunderkind, das impliziert Genie. Und Genies gibt es sehr viel weniger als gute Produzent*innen.

Raoul: Ja, schön wie die Acid-Line am Ende noch einen Auftritt hat – vielleicht wäre bei dem Track weniger mehr gewesen.

Eliphino – NSPG 

Max: Da spüre ich leichte Vril-Vibes in der Melodie. (“Vortekz”). Der Track will aber natürlich wo ganz anders hin.

Raoul: Ich wette, mit dieser fetten Bassline wird das das nächste – gute! – House-Anthem von Eliphino.

Alexis: Jetzt kommt er wieder auf den UK Funky von damals. Beschwingt, mit organischen Percussions. Eine kontinental-minimalistische Note ist auch drin. Bis der Bass droppt. Dann wird es zu eindeutig.

Raoul: Ja voll UK Funky, 2-Step, Post-Garage, bla…

Alexis: Post-Drum & Bass der Calibre-Schule.

Raoul: Aber geil. Da wird die Crowd durchdrehen.

Cristina: Also mich spricht es gerade nicht an. Auf dem Dancefloor aber vielleicht eher, das zieht schon.

Max: Geil irgendwie: Subtile Dubstep-Klangfarben in einem House-Korsett mit schwingenden Hi-Hats. Ich find’s gut, auch genug Abwechslung drin.

Eliphino – Realistic Sex

Raoul: Lieber mal einen Track produzieren als noch mehr Pornos gucken, wa?

Max: Bei so einem plakativen Titel ist man natürlich immer gespannt, wie das umgesetzt wird.

Raoul: Hier taucht er ein bisschen in Industrial-Gefilde ab – damit kann ich persönlich aber am wenigsten von allen Tracks etwas anfangen. Wahrscheinlich aber der “innovativste” auf der Platte.

Cristina: Gut, klingt ein bisschen langweilig. Vielleicht hätte er doch weiter Pornos gucken sollen, um Raouls Analogie zu folgen.

Max: Nein, das ist sinnlich, da baut sich was auf.

Alexis: Sinnlichkeit empfinde ich da nicht, eher einer heruntergetunte Industrialstimmung mit viel Hall und Kompression, er lässt die Drumsounds durch den Stereoraum laufen.

Max: Ich find’s stark. Aber mehr Home Listening als Dancefloor-Avantgarde.

Cristina: Sehr loungig, aber auch da zu glatt. Hotelbar-Hintergrundmusik, daher natürlich nicht unangenehm.

Alexis: Sex findet für ihn offensichtlich auf einem heruntergetunten Stimmungsniveau statt und ist leicht unheimlich. Auch: Sein take on IDM mit sehr vielen Klangeffekten.

Max: Immer wieder auch angedeutete Bleeps dazwischen. Was Carl Craig wohl zu dieser akustischen Definition von Sex sagen würde?

Raoul: Also für IDM ist mir das zu gerade und glatt.

Alexis: Gut daran ist der spröde, schiebende Bass und die unterdrückte Stimmung, die nicht wirklich lesbar ist.

Cristina: Hahaha Carl Craig. Solange das “Sex” im Titel durch “Vaginal” ergänzt wird, fände er das bestimmt super.

Raoul: Ja, da will was an die Oberfläche, aber darf nicht.

Max: Realistisch muss es halt sein.

Eliphino – Formula

Alexis: Jetzt noch das Digital Exclusive.

Max: Digital Exclusives. Die Floppy-Disks des kontemporären Techno.

Alexis: Ein Acidstück, dass ähnlich wie die anderen Tracks verschiedene Stilelemente zitiert und elegant verwebt.

Cristina: Sagen wir mal so: Ich verstehe, warum dieser Track digital exclusive ist. Aber in der Gesamtheit ergänzen sich die Tracks auf der EP gut, das stimmt.

Max: Wollte gerade exakt dasselbe schreiben, zum Digital Exclusive.

Alexis: Ooooch, ich finde den Track hübsch, da kommt so eine spielerische Note durch, die wir bisher noch nicht von ihm gehört haben.

Max: Dann aber doch wieder UK-Allüren.

Alexis: Mit denen verbaut er sich was.

Max: Bleibt festzuhalten: Wenn man die Tracks abschreibt, überraschen sie doch immer wieder.

Raoul: Eine schön abwechslungsreiche EP auf jeden Fall, wünschte mehr Produzent*innen hätten den Mut dazu, als immer dieselbe Formel durchzuexerzieren.

 

Trudge – 100 (1Ø Pills Mate) 

Trudge – A

Raoul: Erst kürzlich über den französischen Produzenten Trudge gestolpertobwohl das eigentlich genau mein Sound ist. Hardcore Techno meets Breakbeats in feinster Ilian Tape-Manier. Gelandet ist seine überragende 100-EP aber auf dem Lobster Theremin-Sublabel 1Ø PILLS MATE. Ich sag mal so: Bei dem geilen Sound würde auch eine Elfte nicht schaden.

Alexis: Das Ambient Intro klingt erstmal relativ stereotyp.

Cristina: Dito. Aber let’s see.

Max: Ich mag Ambient-Intros, sie erfinden aber selten das Rad neu.

Raoul: Ja, allerdings trotzdem ein schöner Weg eine doch sehr roughe EP zu eröffnen.

Max: Foreshadowing á la [Raoul] Kranz.

Alexis: Hier mal ein stehender Synth erfreulicherweise ohne Streicher, angenehm Spröde.

Trudge – From Sorrow To Darkness 

Raoul: Schön optimistischer Titel.

Cristina: Ein perfekter Übergang zum nächsten Track.

Max: Geil.

Raoul: Die Kickdrums kommen extrem geil auf unserer Anlage hier. Das will ich im Berghain hören.

Max: Die Snares gehen für mich eher in Richtung Electro.

Raoul: Herrlich, wie die Pads reinfliegen.

Cristina: Es schiebt wieder ordentlich Kranz’esk.

Raoul: Der Kontrast zwischen den roughen Drums und den emotionalen Pads, dann das Hi-Hat und Snare-Gemetzel drüber … hach, da geht mein Herz auf.

Cristina: Aber macht viel Spaß, da fühlt man eine richtige Energieexplosion.

Max: Also ich bin einigermaßen hin und weg. Euphorisch mit Spannungswechseln, da ist so ziemlich alles drin. Zielt auf die Synapsen.

Alexis: Ambitioniert produzierter Breakbeat Techno im Dystopian Paradigmas. Objekt ist auch drin. Gut gemacht, für mich vielleicht ein wenig steril.

Raoul: Echt? Dystopian höre ich da nicht raus.

Max: Hatte Trudge ja eher als YouTube-Algo-Phänomen abgespeichert. Eine Art Producer, der im echten Leben gar nicht existiert.

Cristina: Der Break war ein gaaaaanz kleines bisschen kitschig.

Max: Kitsch ist definitiv dabei, aber find’s nicht zu schlimm.

Alexis: Ja, kitschig ist das. Aber das ist ja nicht per se schlecht.

Max: Ne, würde man sich dem Kitsch verwehren, hätte man ja nie was Hymnenhaftes.

Trudge – Burning Inside

Cristina: Krass, ich dachte, Kitsch ist schon eher schlecht. Vielleicht ein Berliner Vorbehalt. “Burning Inside”, wow, der Titel ist ja sehr Klischee. Da wird jemand von seinen inneren Dämonen oder seinem Liebeskummer zerfressen. Aber was anklingt, klingt gut.

Alexis: Tendenziell ist Kitsch schon schlecht, aber nicht per se.

Raoul: Relativ ähnlich wie der Vorgänger gestrickt. Aber wegen mir kann er noch tausend solche Tracks raushauen. Das Hi-Hat-Gefrickel ist enorm geil.

Max: War ja gerade auf dem Klo, und ich war beim Wiederkommen gar nicht sicher, ob der Track gewechselt wurde.

Cristina: Wenn Kitsch schmeckt wie 100 Zuckerwürfel auf einmal, dann ist ein Hunderstel davon tatsächlich manchmal nötig. Aber genug über Kitsch geredet.

Raoul: Fand den Track davor gar nicht kitschig, das hier schon. Aber ich mag’s, gerade im Kontrast zu den roughen Drums wie gesagt.

Cristina: Ja haha. Das klingt so richtig nach krassem Soundtrack, die Wellen schlagen an den Strand. Trotzdem schön.

Raoul: Oder nach einem finsteren Typen, der sich nichts anmerken lässt, aber eigentlich heulen will.

Alexis: Mich berührt das nicht, Trudge verliert sich in der Produktion und hat zu wenige Ideen für das Arrangement.

Max: Schön ist’s definitiv, wo würdet ihr denn Vergleichsgrößen sehen?

Raoul: Ilian Tape! Andrea, Stenny.

Max: Echt? Schon wieder?

Raoul: Voll finde ich.

Cristina: Ich finde TOTALLY ILIAN TAPE.

Trudge – Tool

Raoul: Fuck yeah, so muss Techno sein: Atzig und intelligent zugleich. Wobei er ganz schön bescheiden mit dem Titel „Tool“ ist – das Ding reißt jeden Rave ab!

Alexis: Das stimmt, aber irgendwas fehlt da.

Raoul: Kommt noch.

Cristina: Finde, der Anfang ist schon toolig und irgendwie klingt es, als wär er nicht ganz fertig geworden. Trotzdem ballert das ganz geil.

Max: +1

Alexis: Ich finde es nicht toolig genug. Es fließt nicht, er nimmt sich zu ernst.

Raoul: Wuuuhuuu!

Max: Was wird da in Helium-Frequenzen geschrien? “Renegade”?

Raoul: Ich schätze mal?

Alexis: Und jetzt noch eine gepichtes Hardcore Vocal: der Mann will auf allen Hochzeiten tanzen.

Max: Sehr wahr.

Raoul: Ich würde ihn zu meiner einladen.

Max: Da ist ja wieder alles drin.

Cristina: Finde diesen Motoren-mäßig aufheulenden Sound sehr ansprechend. Die blubbernde Acid-Line aber nicht, da ist er wieder nicht zum Finetuning gekommen.

Raoul: Ja, ein Tool ist das definitiv nicht.

Alexis: Das alte Problem: Statt sich mit dem eigenen Material auseinandersetzen und da was rauszuziehen, langweilt er sich mit seiner Musik und greift ständig Neues auf.

Raoul: Der Break übergeil gesetzt.

Max: Hm, also wenn ich den Track für sich nehme, muss ich schon sagen, dass er funktioniert. Ein Flickenteppich zwar, aber einer, der auf jeden Fall als Peaktime-Tool spielbar ist. Zeitgeisty.

Raoul: Finde den enorm fett, auch die Acid-Line. Jenseits von Gut und Böse.

Trudge – страсть

Raoul: Das bedeutet übersetzt die Leidenschaft. Hach, was ein Wort, was ein Gefühl, was ein Track! Sagte ich nicht schon mal Ilian Tape? Egal, das lässt mich mit seinen verwaschenen Kickdrums und der Melancholie sofort an Stennys und Andreas unfassbar guten Remix von Peverlists und Kowtons „End Point“ auf Livity Sound denken.

Cristina: Einen Track auf Russisch “Leidenschaft” zu nennen ist jetzt aber auch nicht gerade kreativ, oder?

Alexis: Eher pretentious.

Raoul: Kreativer als “Burning Inside”

Cristina: Interessant, dass der Track aber entgegen der Implikation des Wortes “Leidenschaft” eher mit einer weniger punchigen Kick daherkommt, als die anderen.

Alexis: Nerviges Intro mit Filmsample, dann brettert der Track aber ganz gut los, im DJ Rush Style. Dann reißt er aber schon wieder ab und wir sind Break rein-, Break raus- Modus.

Raoul: Ich glaube, diese Überladenheit, die dich Alexis nervt, feiere ich gerade.

Alexis: Leidenschaft passt da nicht, es ist eher stumpfes Genießen.

Raoul: Ich spüre da schon Leidenschaft, aber unterdrückt.

Max: Das finde ich jetzt zum Beispiel schon extrem kitschig, um den Bogen zu den Vorgängern zu spannen. Wenn man ein konzeptuelles Set entwickeln will, sollte man den vor oder nach “Realistic Sex” laufen lassen.

Cristina: Tja, er ist halt unglücklich verliebt, daher auch “Burning Inside”.

Raoul: In eine Russin. Mal wieder die Groove Gossip Girls hier.

Cristina: GGG – immer für einen Klatsch zu haben.

Raoul: Zusammenfassend lässt sich sagen: Extrem stringente Platte vom Ambient-Intro über die beiden zerbrochenen Tracks zum Mega Peaktime-Geballer und emotionalen Klängen am Schluß. Next!

Eris Drew, Edward, D. Tiffany and Henry Hyde – 
Needs 006: In Aid of the Environment (Needs)

Raoul: Elektronische Musik goes Klimaschutz: Needs legt eine kleine Compilation vor und sammelt auf ihren Events im UK für die Cool Earth-Initiative, nachdem vergangenes Jahr unter anderem mit Peggy Gou die UN Women-Kampagne HeForShe unterstützt und mit DJ Normal 4, Red Axes und Hodge psychische Gesundheit thematisiert wurde. Nicht nur deswegen eine gute Sache, denn die vier House-Tracks von Eris Drew, Edward, D. Tiffany und Henry Hyde können sich sehen, beziehungsweise hören lassen. Eris Drew, gefagte DJ aus Chicago, kollaborierte auf ihrer Debüt-EP direkt mit Octo Octa und schiebt jetzt diese spaßige Nummer nach.

Eris Drew – See You In Snow

Cristina: Pump it, pump it, pump it – animiert!

Max: Na ja, wenn das ganze dem Klimaschutz zugute kommt, macht der Titel schon Sinn. Optimal für ein Warm Up-Set.

Alexis: Ein gradliniges Housestück mit UK-Subtext, angenehm unkompliziert und augenzwinkernd.

Max: House und UK gehen in Raouls Auswahl stetig Hand in Hand.

Cristina: Dito, Alexis. Unkompliziert, keine prätentiös heraufbeschworenen Emotionen.

Max: Absolut.

Cristina: Max pfeift schon mit! Ein Ohrwurm!

Max: Die schönste Melodie bislang, sehr mellow.

Raoul: Ja, könnte auch von frühem Aphex Twin sein, die Melodie.

Alexis: Und angenehm dirty produziert, nicht so poliert wie die drei anderen Platten.

Max: Bislang mein Highlight!

Cristina: Ich glaube meins auch tatsächlich.

Max: Dann ein heraufbeschworener Electro-Break. Ye ye.

Cristina: Eigentlich denkt man doch immer, dass Tracks die auf Compilations sind, eher so die zweite Wahl sind. Das, was die Produzent*innen eben so rumliegen hatten, als sie die Anfrage bekommen haben. Scheint hier nicht der Fall zu sein.

Max: Erinnert mich an die alten B-Seiten-Weisheiten.

Edward – Mind Loop

Cristina: Alter, Edward hat doch ewig nichts gemacht, oder?

Raoul: Edward von Giegling legt nach seiner „Hooked On Magic“-EP [Review] und seinem DFA Records-Debüt eine überraschend soulige, Sample-basierte Nummer vor und schafft es mit nur wenigen Elementen und clever platzierten Breaks, die Spannung über sechs Minuten aufrechtzuerhalten.

Cristina: Ah, falsch, wie ich sehe. Raouls Hintergrundwissen sehr nützlich in dem Fall.

Alexis: Ja. Edward hat gerade einen guten Lauf. Die DFA ist auch toll mit unerwarteten Kraut & Kosmische-Momenten.

Raoul: Für mich persönlich aber die ödeste Nummer der Compilation.

Max: Haha, ich habe bei dem Track so ein Melt-Bild vor Augen, wo die Leute vor der Big Wheel in der Hocke tanzen und dann beim Drop oder bei der Intensivierung gemeinsam aufspringen.

Cristina: Jetzt weiß ich wieder, warum ich Edward nicht weiter verfolgt hatte. Manchmal fährt er diese groovige Deep-House-Schiene, die nur ganz selten in besonderen Dancefloor-Momenten catchy ist, aber oft sehr redundant klingt.

Max: Also vor allem im Vergleich zum Vorgänger fällt das schon brachial ab.

Alexis: Mir gefällt die Nummer, er arbeitet mit überraschend catchigen, fast schunkeligen Elementen. Kompaktig auch. Ich finde es funktioniert. Groovy und gar nicht um Coolness bemüht.

Raoul: Im Gegensatz zu den Tracks, die ich mit Edward verbinde, fällt das ebenfalls steil ab. So Sample-basierte Sachen sind doch echt selten für ihn, wa?

Max: Also für mich klingt’s wie ein Ableton-Workout eines Teenagers. Techno und House wird ja nachgesagt, das Raum-Zeit-Kontinuum biegen zu können. Edward schafft es mit diesem Track, aus sieben Minuten eine Stunde zu machen.

D. Tiffany – Sun Trip

Cristina: Scheint irgendwie von der Stimmung her zwischen den beiden davor zu liegen.

Raoul: Die total unterschätzte kanadische Produzentin D. Tiffany legt einen chilligen Jungle-Hybrid mit röhrendem Subbass und sonnigen Synths vor – mein Favourite der EP.

Cristina: Hä, wird D. Tiffany nicht langsam aber sicher gehypt? Sie hatte zumindest schon nen RA-Podcast, und “Blue Dream” von ihr war doch sehr beliebt.

Raoul: Echt? Habe den Eindruck, viele haben sie gar nicht auf´m Schirm.

Alexis: Mega gehypt.

Raoul: Na denn, hat sie auch verdient

Max: Sehr unaufdringlich, gefällt mir.

Cristina: Oha, jetzt wird es hier dunkler und schraubender. Mag den Track auch, wobei er natürlich dem Breakbeat-Trend folgt.

Max: Berieselt mich in angenehmer Weise, auf so einem Beatkonstrukt breitet sie die Melodien aus.

Alexis: Dieses Drum & Bass Stück ist auch sehr schön. Der Track versucht nichts Neues, klingt in seiner konzentrierten Zurückhaltung dennoch ungewöhnlich.

Cristina: Mega lässig einfach, durch diese Zurückhaltung.

Max: Behutsam, unaufdringlich, laid back, fokussiert, schlicht angenehm. Sehr schön.

Henry Hyde – Every Day´s Is A Good Day For A Swim

Raoul: Zum Abschluss der EP taucht Henry Hyde aka Harry McCanna vom Londoner Undersound-Kollektiv in feinfühlige Leftfield-Gefilde ab – Aphex Twin und Co. lassen grüßen. Schön, dass so Musik auch noch 2019 produziert wird, auch wenn er das Rad sicherlich nicht neu erfindet.

Cristina: Als alte Kitsch-Haterin kriegen mich diese Pads hier doch direkt!

Raoul: Süßer als 100 Zuckerwürfel, hehe.

Max: Empfehlung: Groove #169, Cristina Plett stellt ihre Pad-Top 10 vor.

Raoul: Da werden wir ja alle ganz andächtig.

Max: Voll, Beseelung pur. Würde mir wünschen, dass sowas weitaus öfter in Clubs liefe, um Kontraste zu schaffen.

Raoul: IDM wird das neue Electro.

Cristina: Ist das IDM?

Raoul: Für mich ja.

Alexis: Brian Eno + Breakbeat Loop: Schön, aber etwas langweilig, um nicht zu sagen belanglos.

Max: Man darf bei solchen Tracks den/die Nebenmann/-frau im Club nur nicht zu laut nach einer Kippe fragen. Zerstört das Feeling.

Alexis: Nein, IDM ist das nicht. ADM: Ambitious Dance Music.

Cristina: Hatte da neulich eine Diskussion, was IDM überhaupt ist und kam zu keinem Schluss für mich persönlich. Ich würde das eventuell sogar unter House einordnen.

Max: Das ist der Start von etwas ganz Großem.

 

DJ Detweiler – Los Pianitos EP (Chin Stroke)

Raoul: DJ Detweiler sorgte vor Jahren mit seinem Flute Drop für Furore, wo er Pop-Songs mit schiefen Flöten-Solos versaute. Oder sein berüchtigter Remix von John Cages “4’33“”, der von Soundcloud sofort geblockt wurde und eine Debatte über Copyright im Internet auslöste. Vor ein paar Wochen habe ich ihn auf der Best Films Forever Collective Launchparty gesehen. Unfassbar, wie viel Spaß so ironischer Hardcore macht. Jetzt legt der Wahlberliner mit spanischen Wurzeln auf seinem eigenen Imprint Chin Stroke Records die Los Pianitos EP vor – ein „Piano Roller Coaster“ wie er selbst sagt mit passendem Cover. Also wer sich da nicht am Kinn kratzen muss!

DJ Detweiler – Arp Baffle

Cristina: Gypsy Woman! She’s homeless! Hymne!

Alexis: DJ Detweiler ist ein Mash Up-Artist, der Pophits von TNGHNT oder Gerry Rafferty mit seinen Flötensolos “versaut”.

Raoul: Ich liebe diese schnellen Arpeggiator-Läufe – irgendwo zwischen Minimalismus und Oldschool Rave. Passt auch total zu Lorenzo Senni und Co, irgendwie ein rückwärtsgewandter Zeitgeist. Cheesy as hell, aber genau das will er ja auch. Das mal auf Deutschlandfunk Klassik zwischen ein paar verstaubten Etüden – das wäre was! Ich wette, dass der Track über ein Techno-Tool gelegt richtig geil kommt – drauf deuten ja auch die Claps zum Ende hin. Jeder DJ, der sich das traut, kriegt einen Kuchen von mir.

Max: Mash Ups sind das Werk des Teufels.

Cristina: “Gypsy Woman” versaut er auch ein wenig. Er wiederholt die Signature-Piano-Melodie, bis man wahnsinnig wird. Und das beschreibt eigentlich schon die ganze EP.

Alexis: Jetzt nimmt er sich drei Dance-Klassiker vor: “Gypsy Woman” von Crystal Waters, “Vamp” von Outlander und “Liquid” von Sweet Harmony.

Max: Ich denke bei dem Stichwort an Nirvana mit Biggie Smalls, an Lana Del Rey mit Scooter. Alles, was auf auditiver Schiene provoziert.

Alexis: Jetzt ist seiner Methode sanfter geworden. Er spielt die Songs auf dem Klavier nach und löst die Melodien in endlose Arpeggios auf.

DJ Detweiler – Ecstasy Interpolation

Cristina: Das Piano-Riff von “Sweet Harmony” von Liquid, ein Klassiker auf XL Recordings. Shoutout an meinen ehemaligen Mitbewohner Jon, der mir das Original gezeigt hat. Detweiler zieht es hier leider ins Nervige, aber funny ist es schon.

Alexis: Es ist lustig, aber auch nicht so lustig. Trägt vor allem nicht auf so lange Zeit.

Cristina: Wie scheisse klingt das Keyboard auch?

Alexis: Alleinunterhalter Charme

Max: MIDI-Key mit sehr wenigen Tasten.

Raoul: Da hat er bestimmt lange dran gefeilt, dass es besonders beschissen klingt

Alexis: Ich finde, es klingt zu harmlos. Die Flöten Mash Ups waren da bissiger und gemeiner. Das macht auf Kunst. Am Ende denkt der, er ist Bach.

Max: Ich höre da eher Satie raus.

Alexis: Stimmt.

DJ Detweiler – Anxious Rave Tool

Alexis: Anxious Rave Tool funktioniert nach demselben Muster.

Cristina: RAVE brüllt diese Piano-Hook!

Max: Da wird der Rave angeteast, ich kann mir allerdings denken, dass der wieder gecancelt wird.

Raoul: Ja, “Anxious Rave Tool” macht seinem Namen alle Ehre und ist verdammt schwer zu mixen, weil der Beat zwar gerade scheint, sich aber alles zeitlich ganz merkwürdig verschiebt. Ein „Anti-DJ Tool“ sagt auch DJ Detweiler selber. Für mich die stärkste Nummer: Anxious, also angespannt, im besten Sinne – da dürfte jeder Club mit ein bisschen Humor durchdrehen!

Alexis: Hier kommt er nicht ohne Drums aus. Die helfen aber.

Max: Ah ne, ein Drum-Exkurs!

Cristina: Da wird man echt ungeduldig, wann kann man endlich richtig tanzen, wann kommt die Kick?!?!?

Alexis: Ja, das ist das beste Stück auf der EP, da klingt er wirklich manisch und irre.

Max: Die Grenze zwischen Humor und Selbstgefälligkeit erscheinen mir da schon seeeeehr fließend.

Raoul: Ja ein schmaler Grad, vielleicht finde ich das in ein paar Monaten auch einfach nur noch schlecht und selbstgefällig, aber gerade feiere ich ihn hart.

Cristina: Fazit: Man hat gemerkt, dass hier mal jemand anders ausgewählt hat! Find ich gut.

Raoul: Hehe freut mich.

Alexis: Ja, dank Dir Raoul.

Max: Bin auch sehr zufrieden, mein Geist wurde geschärft!

Raoul: Musik ist die Axt, die die Eismeere… oder so ähnlich 😀

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