Was ist modern? Wo brennt der Shit? Die collageartige Verheiratung oder Konfrontation diverser Post-XYZ Genres zu einem ultimativen Hybrid-Sound?

Die Antwort von Fatima al-Qadiri ist eindeutig vieldeutig: ja, wenn das Hybrid explizit und queer ist. Das fängt schon beim Cover ihrer EP Shaneera (Hyperdub) an. Al-Qadiri gibt eine Drag-Performance als arabische Frau ab, die eine Männerrolle performt, welche wiederum eine Frauenrolle performt. Diese komplexe mehrfache Brechung und Spiegelung von Identitäten, Masken und Traditionen wiederholt sich sowohl musikalisch, in der Überkreuzung von Abstrakt-R&B mit arabischem Pop und Grime-Beats, wie auch in den Vocals, die Erkennungserkmale wie Geschlecht oder nationale Zugehörigkeit nicht mehr zulassen. Die ordentlich knallenden Post-Clubtracks der EP bringen al-Qadiris hypercleveren Zugang zu Musikproduktion und Konzeptkunst schlüssiger zusammen als je zuvor. Ihre Wut, ihr Kunstwille und ihr Hedonismus – auf ihre bisherigen Alben und EPs jeweils separat ausgearbeitet – sind hier glücklich in eins gesetzt.


Stream: Fatima Al Qadiri – Alkahaf Feat. Bobo Secret & Lama3an

Die musikalischen Überkreuzungen der Ägypterin Nadah El Shazly sind weniger in westlicher Clubmusik verwurzelt als in Postpunk, Hardcore und Free Jazz, den Traditionen von Kairos Pop-und Folk-Szene und arabischer Klassik. Ihr Debüt Ahwar (Nawa, VÖ 10 November) amalgamiert diese Genres sanft aber energisch, ohne das geringsten Zaudern. So löst sich etwa ihr Cover der schmachtenden Liebeshymne „Ana I’shiqt“ von Sayed Darwisch (der auch die ägyptische Nationalhymne geschrieben hat) nach und nach in feinen freien Jazz im Stile des Art Ensemble of Chicago auf. Die restlichen Stücke des Album lassen ähnlich unvereinbar scheinende Kontraste (akustisch und elektronisch, Electronica, arabischer Folk und Free Improv) auf organische Weise ineinander aufgehen. Dabei bleiben ihre Stücke immer sanft melancholisch und auf eigenwillige Weise wehmütig schön.


Stream: Nadah El Shazly – أفقد الذاكرة (I Lose memory)

Und wenn die abgefahrene aber supereinschmeichelnde Next-Level Electronica des in New Yorker lebenden Briten Joni Judén alias Celestial Trax nicht der Hyperzukunft Sound ist dann weiß ich auch nicht. Nothing Is Real (Purple Tape Pedigree) bringt Abstrakt-R&B der Aaliyah-Schule, Fieldrecordings und neoklassische Pianoballaden zusammen als wäre das die offensichtlichste Kombination die überhaupt möglich. Die Beats leiht er sich dazu vom Post-Irgendwas-Step seiner alten Heimat und backt all diese Sounds bei großer Hitze zu etwas das dann noch irgendwie Ambient ist, aber auch kopfnickerkompatibel, Lounge und Pop.


Stream: Celestial Trax – Nothing Is Real

Der ebenfalls in Brooklyn, New York ansässige Peter Negroponte alias Do Pas O geht noch eine Stufe brachialer und ungehemmter vor. Sein Debüt-Tape Join The Fucking Drum Circle (Hausu Mountain) feiert eine schmutzbunte Messie-Party in Lo-Fi Glitch. Von Haus aus Schlagzeuger bei der Post-Hardcore/Free Noise Band Guerilla Toss, benutzt Negroponte Samples wie Percussion oder Punchingbälle. Immer gut draufdreschen – aber mit Gespür für Pop. Grob aber toll ist das.


Stream – Do Pas O – The Perfect Sandwich

1
2
3
Vorheriger ArtikelBicep: Videopremiere von “Glue”
Nächster ArtikelCTM Festival 2018: Erste Programmpunkte angekündigt