In jedem möglichen Wortsinn “klassisch” wird es wenn der unermüdlich kosmische Krautrock-Synthesizer und Piano-Ambient-Nestor Hans-Joachim Roedelius am Werk ist. Einfluss (Deutsche Grammophon) ist seine erste Kollaboration mit dem ungefähr eineinhalb Generationen jüngeren, pianistisch nicht weniger versierten aber daneben auch elektronisch arbeitenden Produzenten Arnold Kasar, der sonst bei den ironisch-nostalgischen Electropoppern Nylon hinter den Maschinen steht. Die gegenseitige Einflussnahme bleibt, gegen den Titel des Albums, recht subtil. Das Piano, mal eher ambient und impressionstisch, mal neuromatisch melodiesatt intoniert, ist und bleibt das unverrückbare Zentrum ihrer Kollaboration. Hin und wieder umspülen flächig zarte digitale Sounds diesen robusten Kern. Die Meisterschaft und scheinbar unendlich tiefe Inspiration der beiden Pianisten rettet dieses ansonsten überaus konventionelle Soundrezept.
Video: Hans-Joachim Roedelius & Arnold Kasar – Trailer
Die Old Apparatus-Hälfte LTO aus Bristol geht auf seinem Soloalbum Storybook (Injazero) von einer ähnlich abgegriffenen Idee aus: neoklassisches Piano und knisternd-stotternde Glitch-Sounds, die sich zwischen abstrakteren Collagensound und Aphex Twin artigem „Avril 14th“-Kitsch bewegen. Dass diese eher biedere Mischung nicht endlos langweilig, sondern ziemlich großartig geworden ist, ist defintiv eine Leistung für sich. Voller Respekt!
Stream: LTO – When
Für Dmitry Evgrafov ist Neoklassik ein dutzendfach überschriebenes Tape kurz vor der endgültigen Löschung. Die Stücke des wirklich noch jungen – nicht junggebliebenen – Russen stammen aus einer Welt in der Arvo Pärt und die Filmscores von Jóhann Jóhannsson denselben hohen Rang einnehmen. Allerdings bildet Evgrafov die Stücke seiner Idole nicht unmittelbar nach. Die Vorbilder sind als verrauschte Lo-Fi Schatten in einem digital stark verwitterten Sounddesign wie von Milchglas gefiltert aus der Entfernung spürbar. Die kurzen, skizzenhaften Stücke seines dritten Albums Comprehension Of Light (130701/Fat Cat) deuten Neoklassik als Shoegaze mit einer gehörigen Portion Melancholie und Morbidität. Am stärksten ist Evgrafovs Duo mit dem – richtig alten aber unglaublich junggebliebenen – serbischen Modularsynthesizerbastler Abul Mogard. Dessen feine Maschinen machen das Stück „Znanie“ zu einem Fest entrückter Schönheit.
Stream: Dmitry Evgrafov – Anthem
Erste Regel des Twin Peaks-Clubs: Rede nicht über den Twin Peaks-Club. Die mittlerweile zum Trio geschrumpfte französische Doom-Jazz Mini-Bigband Dale Cooper Quartet & The Dictaphones hat auf ihrem fünften Album Astrild Astrild (Denovali) den engen Grenzen ihres Genres einige Fenster in die Jetztzeit geöffnet. Ihr heimelig orchestraler Lounge-Sound wird immer wieder von deftigen Noise-Attacken und mysteriöse Signale nach Dark Ambient-Manier aufgescheucht. Ein schlüssiger Hybrid für die Stunden nach der letzten After-Afterhour wenn es schon wieder dunkel und kalt wird da draußen und die Gesellschaft von psychotischen Barkeepern, enigmatisch-charismatischen Alkoholabhängigen und suizidalen Croonern eine attraktive Option erscheint.
Stream: Dale Cooper Quartet & The Dictaphones – Tua Oriel Courvite Isabelle
Lali Puna ist mehr denn je zuvor Valerie Trebeljahrs Band. Auf Two Windows (Morr) hat keiner der Acher-Brüder (The Notwist) mehr mitgespielt, dafür aber jede menge Favoriten dieser Kolumne wie etwa Mary Lattimore, MimiCof und Dntel. Lali Punas Sound bleibt auch auf dem neuen Album im Rahmen der in den vergangenen neunzehn Jahre abgesteckten Koordinaten Dream-Pop und Electronica, ist aber wieder etwas forschender und forscher geworden. So findet auch schon mal ein sanfter Techno Beat unter die Stücke, aber oft bestehen die Songs aus nicht viel mehr denn einem unaufdringlichen Trebeljahrs Hauchstimme und nicht invasivem Glitch oder Analogsynthesizerbrummen – und sind gerade darin perfekt.
Video: Lali Puna – Deep Dream