Wir machen ja alles von der Produktion bis zum Vertrieb selber und geben nichts aus der Hand. Dass es dann nicht möglich ist, Tausende Platten zu produzieren und alle paar Monate ein Repress rauszubringen, das sehen die Leute halt nicht“, ärgert sich Labelmitgründer DJ Dustin. Er ist genervt von dem Hype, der vom Label nie so intendiert oder forciert worden sei. Dass Giegling diese Aufmerksamkeit durch ein gewisses Anti-Marketing jedoch durchaus auch selbst befeuert, lässt sich allerdings nicht ganz von der Hand weisen. Als Gegenentwurf zur medialen Dauerpräsenz vieler DJs erfährt man kaum etwas über Giegling in sozialen Netzwerken. Auf die Spitze treibt dies der Inkognito-Künstler Prince of Denmark, der unter anderem auch Platten als Traumprinz und DJ Metatron herausbringt. Seine euphorische, tranceartige Hymne „2 The Sky (Metratron’s What If There’s No End And No Beginning Mix)“ war 2016 in nahezu allen Jahresbestenlisten zu finden. Gleichzeitig weiß niemand genau, wer hinter den zahlreichen Pseudonymen steckt, da er nicht öffentlich auflegt. Das letzte Prince-of-Denmark-Album 8, eine umfangreiche Vinylbox für 100 Euro, war im Versand bereits ausverkauft, noch bevor auch nur ein Track online zu hören war.

Ebenso wie Giegling in ihren Produktionen nichts aus der Hand geben, so ist es für Konstantin auch in puncto Außenwirkung und Publikum besonders wichtig, die Kontrolle zu behalten. Die Welttournee war für ihn daher auch ein Versuch, den Hype selbst wieder etwas bewusster zu steuern. „Wenn uns das Publikum teilweise nicht mehr gefällt, dann muss man dafür auch die Verantwortung übernehmen und sich fragen: ‚Wo sind die Leute, auf die wir Bock haben?‘ Das Publikum ist das, was eine Party geil macht. Daher haben wir dieses Dreieck aus Konzert, Ausstellung und Party, mit dem man ein jeweils etwas anderes Publikum anspricht. Auf der Party kommt dann alles zusammen. Wir haben gehofft, damit noch ein Publikum zu finden, das ein bisschen neugieriger ist“, erklärt er.

Boys’s Club

Konstantin scheint der visionäre Kopf der Gruppe zu sein, auch wenn er diese Zuschreibung ablehnt. Der kollektive Gedanke, nach dem sich alle Mitglieder gleichberechtigt einbringen, steht für ihn im Vordergrund. Deshalb findet er es auch besonders wichtig, dass Giegling in der Presse geschlossen mit einer Stimme spricht, ohne einzelne Individuen herauszustellen. Dass dies problematisch wird, sobald Einzelstimmen mit der im Kollektiv vorherrschenden Meinung kollidieren, wird spätestens am nächsten Tag deutlich.

Ich treffe Konstantin am darauffolgenden Morgen in der Bahn auf dem Weg zum Konzert nach Leipzig wieder. Über eine belanglose Anekdote entspinnt sich eine ziemlich unerwartete Diskussion über Feminismus im Allgemeinen und explizit über Frauen in der elektronischen Musikszene. Wie bei vielen Labels an der Spitze ist auch bei Giegling der Anteil beteiligter Frauen verschwindend gering, die meisten agieren wenn überhaupt im Hintergrund. Nach außen hin repräsentiert das Label das, was in feministischen Kreisen als Boys’s Club bezeichnet wird – eine homogene, männerdominierte Gruppe, die undurchlässig für Frauen erscheint. Statt sich jedoch, wie man es aus den tendenziell eher linken Räumen der Technoszene erwarten würde, für mehr Gleichberechtigung der Geschlechter an den Decks und die Unterstützung weiblicher und nicht binärer DJs auszusprechen, äußert sich Konstantin in diesem Punkt unerwartet heftig. Er empfände es als ungerecht, dass weibliche DJs zurzeit so sehr gefördert würden, obwohl sie seiner Meinung nach meist schlechter auflegten als Männer. Seiner Logik zufolge sei es demnach für Frauen wesentlich einfacher, als DJ erfolgreich zu werden, da die wenigen Frauen, die sich für das Auflegen interessierten, unverhältnismäßig gepusht würden.

Dass genau solche Initiativen aufgrund von institutionalisierter, struktureller und vor allem versteckter Diskriminierung für einen gesellschaftlichen Wandel dringend notwendig sind, scheint für Konstantin kein Argument. Stattdessen begründete er seinen Standpunkt mit pseudowissenschaftlichen Belegen für ein „natürliches“ Machtstreben und Geltungsbedürfnis, das dem Mann von Natur aus inhärent sei. Folglich würden Frauen, die eine Karriere in dem von Männern dominierten DJ-Business anstrebten, ihre „weiblichen Qualitäten“ verlieren und zusehends „vermännlichen“.

Ich suche daraufhin das Gespräch mit Dustin und der bildenden Künstlerin Frauke. Sie ist eine der wenigen Frauen, die als Teil des Kollektivs auch auf der Tour mit dabei war. Beide versichern mir, dass dies im Kollektiv eine explizite, wenn auch nicht unbekannte, Einzelmeinung sei. Diese habe nichts mit den Ansichten der restlichen Labelmitglieder zu tun, die sich geschlossen davon distanzierten. „In einem Kollektiv macht natürlich jeder auch noch sein eigenes Ding und geht seinen eigenen Weg. Grundsätzlich ist Sexismus aber kein Thema in der Gruppe. Wir haben gerade seit der Tour alle ein familiäres Verhältnis. Ich habe keine Geschwister, aber ich denke, so fühlt sich das an – man liebt sich und man streitet sich eben auch über gewisse Dinge“, beschreibt Frauke das Verhältnis untereinander.

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