Black Roots, White Fruits – Reloaded, Reissued

Es ist nicht zu leugnen, dass die meisten Reissue-Labels von wohlhabenden, oft weißen, nordamerikanischen oder europäischen Männern betrieben werden. Die mögen uns mit ihrer Arbeit zwar allen einen Gefallen tun, aber eben auch die klassischen kolonialen Mechanismen reproduzieren, die bis heute die Weltwirtschaft bestimmen. Diese immer wieder witzige, wenn auch nicht mehr aktuelle Grafik eines Forumnutzers verdeutlicht die Metapher vom Kampf um einen „Platz an der Sonne“ unter den Reissue-Labels recht gut:

Das klingt alles nicht nach der gewohnten „Es geht um die Musik“- oder „Historische Artefakte retten“-Rhetorik, die es in Interviews zu hören gibt. Sondern eher nach dem, was von der Kritik als “Black Roots, White Fruits”-Logik bezeichnet wird. Reissue-Labels unterliegen eben auch den Regeln aus dem BWL-Studium. Sie müssen Margen erreichen, Steuern zahlen und Trends erkennen, bevor andere es tun. Während zum Beispiel früher eher Afrobeat aus Nigeria gepresst wurde, gibt es mittlerweile viel lokalen psychedelischen Rock und Funk zu hören, die langsam von Boogie und Disco als populärste Genres abgelöst werden. Das führt zu einer erfreulichen Vielfalt an verfügbaren Platten – zeigt aber auch, dass sich viele Labels eher daran orientieren, was in europäischen oder amerikanischen Blogs und DJ-Sets passiert, als daran, ein akkurates Bild der lokalen Musikgeschichte nachzuzeichnen.

Der Verweis auf koloniale Muster und eine „westliche“ Perspektive ist am Ende also berechtigt. Er sollte aber eher als Warnung und nicht als Totschlagargument für internationale Reissues dienen. Schließlich gibt es viele Labels, die ihr Geschäft mit Respekt und Leidenschaft erledigen, den MusikerInnen faire Preise bezahlen wollen und ein hochwertiges Release in die Welt setzen, das dem Original gerecht wird. Es hat schon seinen Grund, dass die Major-Labels jenseits sicherer Pferde wie Media-Markt-tauglicher Flohmarktplatten von den Rolling Stones oder selbst James Last noch weitgehend die Finger von Reissues seltener Schallplatten gelassen haben. Eine liebevoll gemachte Nachpressung, die von originalen Bändern neu gemastert wurde und mit zeitgenössischen Fotos sowie detaillierten Liner-Notes veröffentlicht wird, um ein paar hundert Mal an kleines Publikum verkauft zu werden, ist eben immer noch kein Millionengeschäft.

Neu aufgelegt und wiederbelebt

Natürlich kommen Reissues nicht allein aus wirtschaftlich schwachen Ländern mit kolonialer Vergangenheit. Tatsächlich wird die internationale Musikgeschichte zwischen Köln und Kinshasa ein weiteres Mal umgekrempelt, irgendwo scheint immer eine fantastische Funk-Band vergessen worden zu sein. Der kulturschaffende Aspekt von Reissue-Labels ist keineswegs blauäugig zu betrachten, er scheint aber Wirkung zu zeigen: Die leidliche „Weltmusik“-Sektion ist in den meisten Plattenläden abgeschafft, in Vergessenheit geratene Koryphäen wie Ebo Taylor, Tony Allen oder Mulatu Astatke können heute wieder international touren und verdanken das teilweise der lebhaften Reissue-Kultur, die ihre Musik wieder in Nordamerika und Europa bekannt gemacht hat.

Letztlich liegt die Verantwortung beim Publikum, das auch mal kritisch nachfragen muss: Stammt ein Reissue von den originalen Tapes? Wer verdient an den Neuauflagen? Warum kosten die Reissues mancher Labels so viel mehr als andere? Die Szene wirkt eigenbrötlerisch und intransparent, redet aber in den meisten Fällen gerne über das eigene Tun. Denn wer genauer hinschaut, wird schnell merken, hinter welchem Label Herzblut steckt und wo reine Profitgier am Werke ist.

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